PRO: Worum geht es bei dem neuen Studiengang „Spiritual Care“?
Traugott Roser: Es geht darum, Menschen in ihrer Krankheit und deren Angehörige in ihren spirituellen Bedürfnissen und Nöten zu unterstützen und zu begleiten. Ebenso gilt das für die Mitarbeitenden in der Pflege, die ja täglich schweren Situationen ausgesetzt sind. Er ist eine Reaktion auf die gesellschaftliche und auch kirchliche Entwicklung. Uns fällt schlichtweg das Personal in der Seelsorge in Krankenhäusern, Altenheimen und so weiter weg. Es fehlt in Zukunft an evangelischen Pfarrerinnern und Pfarrern oder Diakonen, die diese Stellen besetzen. Die Absolventen von Theologiestudiengängen gehen eher in den Pfarrgemeindedienst.
Aber gab es bisher denn noch keine adäquate Ausbildung in der Seelsorge?
Seelsorge gehört natürlich zu den Pflichtlehrveranstaltungen in der Theologie, und auch im Vikariat sammeln die Studierenden Praxiserfahrungen, auch in Krankenhäusern. Dann gab es eine Zusatzqualifikation, die „klinische Seelsorge-Ausbildung“. Aber darüber bekommen wir am Ende nicht mehr genügen Personal.
Den neuen Studiengang gibt es aber bereits in anderen Ländern, richtig?
Neu ist deutschlandweit, dass er an einer Theologischen Fakultät stattfindet. Es gibt berufsbegleitende Zertifikatsstudiengänge an Schweizer Universitäten, in England, Irland, den Niederlanden, Belgien. Wir versuchen, uns da international anzugleichen und die Standards mitzuentwickeln. Der Studiengang ist sehr international orientiert, die Forschung dazu findet meistens auf Englisch statt.
Der Studiengang „Spiritual Care“ startet zum Wintersemester 2024, im Mai beginnt die Bewerbungsphase. Die Anforderungen an interessierte Studierende bestehen in einem Abschluss in einem gesundheitsberuflichen, psychosozialen oder theologischen Hochschulstudium – das können ein Abschluss in Pflegewissenschaften, Medizin oder in therapeutischen Studiengängen, in Diakoniewissenschaft oder Religionspädagogik oder ein Kirchliches Examen sein, teilen die Initiatoren mit.
„Gesucht sind auch Menschen mit Berufserfahrung“, heißt es in der Informationsbroschüre der Fakultät. Im Studium gehe es um „Grundfragen des Menschseins, von Krankheit und Gesundheit ebenso wie um die zentralen theologischen und ethischen Fragestellungen“, um christliche und nichtchristliche Vorstellungen. Die Studierenden lernten Rituale für die Praxis kennen sowie pastoralpsychologische Gesprächsmethoden.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät an der Uni Münster aus?
Wir hoffen, einen Teil unserer Studierenden in den Bereichen Theologie, Religionspädagogik oder Religionswissenschaft zu gewinnen, die sich darüber hinaus Grundwissen im Bereich Krankheitsbilder und -verläufe und Gesundheitswesen aneignen wollen. Dies kann natürlich nur die Medizinische Fakultät leisten. Eine zweite Kohorte an Studierenden kommt aus den Gesundheitsberufen, sie hat einen medizinischen oder pflegewissenschaftlichen Abschluss. Die Dozenten sind aus beiden Fachbereichen, aus der evangelisch-theologischen Fakultät und der Medizin.
Wie viel Religion steckt in dem Aspekt „Spiritual“?
Wir wissen, dass wir in einem Umfeld arbeiten, das nicht konfessionell dominiert ist, auch nicht unbedingt christlich. Viele Mitarbeitende in Gesundheitsberufen sind nicht in der Kirche oder kommen aus nicht-christlichen Religionen – genauso wie die Patienten und die Angehörigen, die wir auch begleiten müssen. Sprich: Wir müssen offen sein für unterschiedliche Formen von Spiritualität, aber wer bei uns seinen Abschluss macht, wird gemäß der evangelischen Theologie ausgebildet. Was nicht bedeutet, dass er selbst unbedingt evangelisch sein muss.
Und wenn jemand esoterisch ist und beispielsweise an Heil-Steine glaubt?
Wir arbeiten mit einem Begriff von Spiritualität, wie er in der internationalen Palliativversorgung üblich ist: Der ist offen, er umfasst Religion, aber auch andere, nicht-religiöse Wertvorstellungen. Das kann auch Esoterik sein. Der Umgang mit nicht-christlichen Religionen gehört zum Pflichtcurriculum dazu. Ich bin bekannt für eine recht pragmatische Herangehensweise: Spiritualität ist das, was der Patient dafür hält. In meinen vielen Jahren als Seelsorger hatte ich natürlich auch mit muslimischen Patienten zu tun; ich mit meinem evangelischen Hintergrund habe sie begleitet, wenn sie einverstanden waren, aber ich habe nie versucht, sie zu missionieren oder ihre Spiritualität zu kritisieren.
Darf ein „Spiritual Care Giver“ dann auch geistliche Ämter ausüben, also zum Beispiel taufen oder beerdigen?
Das muss mit den Anstellungsträgern ausgehandelt werden. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unterstützt unseren Studiengang mit einer anständigen Summe. Wir haben mit einigen Landeskirchen darüber gesprochen, dass unsere Absolventen in kirchlichen Seelsorgestellen einen Auftrag bekommen können und in einer Dienstordnung vereinbart wird, welche Leistungen sie ausführen können.
Herr Roser, vielen Dank für das Gespräch!