Schon der Besitz einer Bibel kann für Christen im Iran den sicheren Tod bedeuten. Viele fliehen deshalb – auch nach Deutschland. In Berlin beleben die Christen eine alte Kirche wieder.
Von PRO
Foto: Gottfried Martens
Jede Woche Weihnachten: Die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz ist jeden Sonntag voll – dank hunderter Konvertiten aus dem Orient
Dicht gedrängt sitzen die Gottesdienstbesucher auf den hölzernen Bänken, die bei jeder Bewegung laut knarzen. Die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Von hinten betrachtet bietet sich ein ungewohntes Bild: Nur ein paar wenige Blonde oder Ergraute leuchten regelrecht zwischen den vielen Schwarzhaarigen hervor. Und noch etwas ist ungewöhnlich: Neben Pfarrer Gottfried Martens im cremefarbenen Talar steht noch ein weiterer Mann im Altarraum, der die Epistel- und Evangeliumslesungen in Farsi, also Persisch, übersetzt.
Fast zwei Drittel der etwa 800 Gemeindemitglieder kommen aus dem Iran oder Afghanistan. Viele von ihnen mussten wegen ihres christlichen Glaubens fliehen. „Einem Konvertiten droht im Iran der Tod“, sagt Amir Hussein, der vor zwei Monaten nach Deutschland kam. In Teheran besuchte der 35-jährige Architekt eine geheime Hauskirche – manchmal sind es nur fünf oder sechs Gläubige, die sich dort ein oder zwei Mal pro Woche zum gemeinsamen Bibellesen, Gebet und Gesang treffen. Der iranische Staat beobachtet die wachsende christliche Untergrundbewegung aber mit Argwohn. In einige Kirchen hat die Polizei sogar Spitzel eingeschleust. Die Christen werden dann vorgeladen und von einem Gericht wegen angeblicher „Feindschaft mit Gott“ oder anderer vorgeschobener Gründe zu Haftstrafen verurteilt. „Im Gefängnis werden Christen dann oft von Mithäftlingen als Verräter ermordet“, erklärt Hussein. Seiner eigenen Verhaftung entging er nur knapp: Als die Polizei sein Haus durchsuchte und seinen Laptop beschlagnahmte, war er nicht zu Hause – sein Vater hatte ihn telefonisch gewarnt.
Zum Abendmahl können sich jeweils höchstens acht Personen auf die Bank im Altarraum der altlutherischen Dreieinigkeitskirche knien, wo ihnen Pfarrer und Kommunionhelfer Brot und Wein reichen. Die Gottesdienstbesucher kennen den Ablauf genau: Bankreihe für Bankreihe erheben sie sich und gehen nacheinander nach vorn. Aufgrund der vollen Kirche dauert es so fast eine dreiviertel Stunde, bis alle das Abendmahl empfangen haben. Viele haben silberne oder goldene Ketten mit imposanten Kreuzen um den Hals hängen. Deren Träger sind stolz, ihr Christsein hier so offen und ungefährdet zeigen zu können.
„Der iranische Staat will deine Seele“
Fast alle der persischen Christen in Steglitz wuchsen als Muslime auf und sind später zum Glauben an Jesus gekommen. Über 300 der Konvertiten hat Pfarrer Martens selbst getauft – wie viele genau, kann er auf Anhieb gar nicht sagen. Obwohl viele der Flüchtlinge bereits im Iran Untergrundkirchen besuchten, wurden die meisten erst im Ausland getauft. Das Missionieren ist in der Islamischen Republik Iran verboten. „Pastoren werden geköpft, wenn sie taufen“, sagt Abolfazl Amia. Als die zwei Pastoren seiner Hauskirche verhaftet wurden, fühlte er sich im Iran nicht länger sicher. „Ich hatte Angst um mein Leben“, erklärt der 29-jährige Agraringenieur. Eine Zeit lang versteckte er sich vor der Polizei im Haus eines Freundes außerhalb von Teheran. Eigentlich sollte er für seinen Arbeitgeber – er war bei einer großen Straußenfarm tätig – im Januar an der Internationalen Grünen Woche in Berlin teilnehmen. Das Visum hatte er bereits. Da kam ihm die rettende Idee: Mit einem gefälschten Pass reiste er in die Türkei, denn er befürchtete, im Iran zur Fahndung ausgeschrieben zu sein. Von der Türkei aus ging es mit seinem regulären Pass und dem Visum weiter nach Deutschland. Im Iran gebe es keine religiöse Toleranz, sagt er heute. „Der Staat hat einen absoluten Machtanspruch, er will sogar deine Seele.“
Nach dem Gottesdienst steht Pfarrer Martens im Eingangsbereich und verabschiedet jeden Besucher mit einer Umarmung und persönlichen Worten. Es ist ein inniges Verhältnis, das Martens zu seiner besonderen Gemeinde pflegt. Für die Flüchtlinge ist er nicht nur Seelsorger, sondern auch Ratgeber und Helfer in ganz praktischen Dingen. Im Laufe der Jahre ist er zu einem Fachmann für Asylrecht und -verfahren geworden, in Gerichtsverhandlungen musste er schon oft als Zeuge aussagen. „Pfarrer Martens ist wie Familie, wie ein Vater zu uns“, sagt Wahid Salimi Hajmahmud. Als er neu in Deutschland war, habe er viele Probleme gehabt, sei krank und depressiv gewesen. „Ich habe mir große Sorgen um mein Kind gemacht“, sagt der 30-jährige Teheraner. Seine Frau und den dreijährigen Sohn musste er im Iran zurücklassen. Hajmahmuds Familie hatte Auto, Schmuck und Wertsachen verkauft, um die umgerechnet 10.000 Euro aufzubringen, die ein Schleuser dafür haben wollte, dass er ihn außer Landes bringt. Was folgte, war eine abenteuerliche Flucht über die Türkei nach Bulgarien, wo er verhaftet und von der Polizei misshandelt wurde. Mit 70 anderen Flüchtlingen musste er sich bei Wasser und Brot eine winzige Zelle teilen. Die Polizisten verwehrten den Inhaftierten ärztliche Hilfe. Über Serbien und Österreich gelangte er schließlich nach Deutschland und Berlin. Pfarrer Martens habe sich gut um den durch die Flucht Traumatisierten gekümmert und ihn wieder aufgebaut. Hajmahmuds Geschichte mit dem Christentum begann bereits im Iran. Eine Bekannte gab ihm vor zwei Jahren eine Bibel. Aus Neugier las er sie. Seine Eltern sind Muslime, er aber mochte den Islam nicht. „Die Friedensbotschaft der Christen hat mich fasziniert“, sagt er. Mit der Bekannten und fünf anderen Christen traf er sich fortan regelmäßig in einer Hauskirche. Jeden Tag tauschte er sich mit ihnen über den Glauben aus. Schon bald stand für ihn fest: „Ich will Christ werden.“ Begeistert erzählte er seiner Familie und seinen Freunden davon. Irgendwann tauchten Polizisten bei ihm zu Hause auf – und fanden seine Bibel. Auch die Wohnungen der Freunde und Pastoren aus der Hauskirche wurden durchsucht. Diese rieten ihm: Geh nicht mehr nach Hause. Mit Hilfe seiner Familie konnte Hajmahmud in einer anderen Stadt untertauchen. Jeden Tag stand die Polizei vor der Tür der Eltern und fragte nach deren Sohn. Eins ist Hajmahmud klar: Zurück kann er nicht mehr. „Im Iran gibt es keine Freiheit“, erklärt der junge Mann. Die Hauskirche sei für ihn eine Zuflucht gewesen. Dort habe er sich sicher gefühlt und offen sprechen können. „Die anderen Christen waren so hilfsbereit und so gut zu mir.“ Nun ist er in Berlin. Hier sucht er politisches Asyl, weil er in seiner Heimat wegen seines Glaubens verfolgt wird. Aber er macht sich Gedanken um seine Familie, die er unfreiwillig in Gefahr gebracht hat und die nun an seiner Stelle unter dem Mullahregime leiden muss.
Persisches Mittagessen nach Gottesdienst
Geschichten wie die von Hajmahmud hat Pfarrer Martens in seiner wöchentlichen Sprechstunde zu Hunderten gehört. Er hilft den Flüchtlingen in seiner Gemeinde bei ihren Asylanträgen. Einige von ihnen sind sogenannte Dublin-Fälle, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland kamen. Sie sollen wieder in jene Länder zurückgehen, in denen sie europäischen Boden zuerst betreten haben. Denn nach EU-Recht sind diese für die Asylverfahren zuständig – könnten die Flüchtlinge jedoch auch in ihre Herkunftsländer abschieben. Norwegen etwa erkennt Konvertiten nicht als politisch Verfolgte an.
Manche der Steglitzer Flüchtlinge kommen nicht nur zum Gottesdienst in die Dreieinigkeitskirche, sie leben auch da: im Kirchenasyl. Aktuell haben drei in einem Gemeinderaum eine provisorische Unterkunft gefunden. Lange war diese Praxis umstritten, weil sie die europarechtlichen Vorgaben der Dublin-Verordnung unterlaufe. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Kirchen dafür öffentlich gerügt. Ende Februar einigten sich sein Ministerium und Vertreter der Kirchen dann darauf, dass die Gewährung von Kirchenasyl nur in besonderen Härtefällen als letzter Ausweg in Betracht kommt. Die Kirchenleitung der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), zu der Martens‘ Gemeinde gehört, stehe bei seinem Engagement für Flüchtlinge hinter ihm, „weil konkret Menschen an Leib und Leben bedroht sind“. Die Unterstützung seiner christlichen Glaubensgeschwister betrachtet Martens als Selbstverständlichkeit. Er sagt aber auch: „Wir helfen Menschen in Not nicht nur dann, wenn sie sich taufen lassen.“ Die Bibel lehre schließlich: „Lasst uns jedermann Gutes tun.“
Nachdem alle Gottesdienstbesucher verabschiedet sind, geht der Pfarrer über eine Treppe nach unten. Im Keller des unscheinbaren Kirchenbaus aus den 1920er Jahren warten schon über 200 Menschen auf ihn. Dicht gedrängt sitzen sie auf Holzstühlen an langen Tafeln zwischen den Stützsäulen. Jeden Sonntag gibt es hier ein gemeinsames persisches Mittagessen. Der Duft nach gebratenem Geflügel erfüllte die Kirche schon während des Gottesdienstes. Der 52-jährige Martens steht in der Mitte des Raumes und versucht mit einer Glocke, sich in dem Stimmen- und Sprachengewirr Gehör zu verschaffen. Es dauert eine ganze Weile, bis endlich Ruhe herrscht. Der Pfarrer spricht ein Dankgebet, dann wird Reis mit Hühnchen und einer orientalisch gewürzten Soße auf Plastiktellern verteilt.
Mit der Glocke in der Hand und einem Dolmetscher an seiner Seite gibt Martens nach dem Essen wichtige Informationen bekannt. Wann der nächste Taufunterricht stattfindet. Und dass er in der kommenden Woche zwar Urlaub habe, die persische Bibelstunde am Samstag aber wie gewohnt stattfinde.
Andernorts werden Gemeinden wegen sinkender Mitgliederzahlen zusammengelegt oder geschlossen. In Berlin-Steglitz ist genau das Gegenteil passiert: Dank der Christen aus dem Orient hat sich die Dreieinigkeitskirche wieder von ihrer Schwestergemeinde gelöst. Mit einem großen Festakt wurde sie am 10. Mai wieder für eigenständig erklärt. (pro)
Lesen Sie den Artikel auch in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, Ausgabe 3/2015.
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