Ein Schwindel geht um in dieser Welt. Alle Menschen fallen ihm anheim, seien sie reich oder arm, skeptisch oder naiv. Er hält die Menschen davon ab, sie selbst zu sein. Diese düstere Diagnose stellt Manfred Lütz, Leiter des Kölner Alexianer-Krankenhauses, der mit mehreren Verkaufsschlagern wie "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" bekannt geworden ist. Wie jeder gute Arzt diagnostiziert er jedoch nicht nur, sondern weiß auch um eine Therapie, einen Ausweg aus dem "Bluff", der zum "eigentlichen Leben" und zur "eigentlichen Welt" führt und allen getäuschten Menschen offen steht.
Alles kranke an dem Gehabe der Menschen, die jeweilige Weltsicht als die einzig wahre gelten zu lassen, erklärt Lütz. Grundsätzlich habe jeder Mensch seine Lieblingsmeinung, eigene Vorlieben und Themen, über die er am liebsten spricht – während jemand anderes dies völlig langweilig finden könne. Menschen bewegten sich in den Milieus, in denen sie sich wohl fühlen.
Ausblendung existenzieller Themen
Dieses Arrangement mit der eigenen Lebenswelt werde dann problematisch, wenn Menschen andere Meinungen gar nicht mehr wahrnähmen oder unbequeme Grundfragen der Existenz ausblendeten. Diese Fragen blieben "gut versteckt hinter dem lärmenden Maskenzug einer aus ganz vielen Welten zusammengesetzten künstlichen Welt, die sich machtvoll vordrängt und in der der Tod, der wirkliche Tod, nicht vorkommt, die Liebe nicht und auch das Gute, das Böse oder Gott".
Hinzu komme, dass Teile der Gesellschaft – etwa die Naturwissenschaft – ebenfalls der Welt ihre einseitige Sicht der Dinge aufdrücken wollten. Als Beispiel führt Lütz den englischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins an. Wissenschaftler wie er "behaupten einfach lauthals, diese wissenschaftliche Welt sei alles, was es gibt". Aus diesem Grund lehne Dawkins alle anderen Welterklärungen, etwa die der Bibel, grundsätzlich ab.
Dieser "wissenschaftliche Fundamentalismus" widerspreche jedoch sogar dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften, nur einen Aspekt der Welt zu erfassen. Und nur als solche habe sie ihr Recht. "Wer die Wissenschaft als kritisches Dauerprojekt respektiert, wird ihr gerecht. Wer an die Wissenschaft glaubt, gründet bloß eine weitere Sekte mit einer kitschig gefälschten Welt für naive Gläubige."
Alles ist relativ
Wie die Wissenschaft drängten sich auch andere Gesellschaftsbereiche wie die Wirtschaft oder die Medien dem Menschen auf. Lütz führt viele Beispiele an, um einen einfachen Grundgedanken zu belegen: die Dinge dieser Welt erscheinen dann in einem falschen Licht, wenn sie sich verabsolutieren oder verabsolutiert werden. Dadurch verwische die Tatsache, dass sie nur vorläufigen Charakter hätten.
Wie sieht der Ausweg aus? Die Menschen, mahnt Lütz, müssten sich wieder bewusst machen, dass sie sterben werden. Zwar sei der Tod ständig in den Medien präsent, etwa bei Action-Filmen, doch im Grunde lenke dies den Menschen davon ab, wie real der Tod wirklich sei. Aber durch den "sicheren Tod (…), der uns allen unentrinnbar bevorsteht, erscheinen das Leben und die Welt in einem ganz anderen, in einem merkwürdig plastischen, realen Licht".
Dass alles in dieser Welt vorläufig ist und daher relativiert werden muss, ist ein kluger und richtiger Gedanke. Ob das Bewusstsein für die Sterblichkeit tatsächlich dazu führt, auf diesen Gedanken zu kommen, sei dahingestellt. Zumal Lütz die Endgültigkeit des Todes dann doch in Frage stellt. Als Beleg führt er die "ursprüngliche Erfahrung der Menschheit" an, dass mit dem Tod "in Wirklichkeit nicht alles aus ist".
Aus christlicher Sicht ist mit dem Tod tatsächlich nicht alles aus. Christen begründen das aber nicht mit einer vagen menschlichen Erfahrung, sondern mit dem Kreuzesgeschehen. Dieses Heilshandeln Gottes eröffnet die Perspektive auf die Ewigkeit, die im Buch auch nur vage angedeutet ist. Abgesehen von dieser theologischen Unschärfe hat Lütz ein lesenswertes und aufklärerisches Buch geschrieben. (pro)
Manfred Lütz, Bluff! Die große Fälschung der Welt, Droemer Verlag 2012, 189 Seiten, 16,99 Euro.