"Religion in der Verantwortung – Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung". Schon der Titel des Buches zeigt die Skepsis, mit der Schmidt, nach eigenem Bekunden Christ, dem Glauben gegenübersteht. In seinen Texten zeigt er die Gefahren auf, die er in politisierten Religionen und deren Absolutheitsansprüchen sieht, und kritisiert dabei besonders das Christentum.
"Ich habe Gläubige Zeit meines Lebens immer respektiert, gleich welcher Religion sie anhängen", schreibt Schmidt. "Aber ebenso habe ich religiöse Toleranz immer für unerlässlich gehalten. Deshalb habe ich die christliche Mission gegenüber Andersgläubigen stets als Verstoß gegen die Menschlichkeit empfunden". Das Zitat stammt aus der Einleitung des Buches, die ein Nachdruck eines Kapitels aus Schmidts 2008 erschienener Autobiografie "Außer Dienst" ist. Überhaupt ist an "Religion in der Verantwortung" außer einem 4-seitigen Vorwort und dem Schlusskapitel nichts neu: Das Buch ist schlicht eine Sammlung von Schmidts Reden zu dem Thema. So wird der Leser mit auf eine Zeitreise durch sozialdemokratische Spiritualität genommen, vom "Kant-Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung" 1981 bis hin zur "Stiftung Weltethos" in Tübingen 2007.
Schmidt lobt Papst Johannes Paul II. und seinen Kritiker Hans Küng, unternimmt Ausflüge zu den Politphilosophen Max Weber, Immanuel Kant und Samuel Huntington und mahnt immer wieder die Toleranz an, die sämtliche Religionen an den Tag legen müssten. Von dieser Toleranz hänge der Frieden in der Welt maßgeblich ab. Der Wahrheitsanspruch einzelner Glaubensrichtungen ist mit Schmidts Vorstellung von Toleranz unvereinbar. Wer behaupte, allein seine eigene Religion sei von Gott offenbart und gesegnet, der sei "ein böser Mitmensch", weil er gegen die Freiheit und Würde Andersgläubiger verstoße. Vereinzelt geht der Altkanzler auch auf Islam und Islamismus ein und rät: "Der Westen – und hier würde ich ausdrücklich den Vatikan einschließen – scheint insgesamt gut beraten, eine herablassende, überhebliche Haltung gegenüber dem Islam sorgsam zu vermeiden. "
Schmidt geht auch auf seine persönliche Religiosität ein, die "nie sehr ausgeprägt" gewesen sei. "Für meine Frau Loki und für mich war die Kirchenmusik immer wichtiger als die Kirche", gibt der frühere Bundeskanzler freimütig zu. "Aber auch wenn unsere Skepsis gegenüber vielen Glaubensinhalten und unsere Ablehnung aller dogmatischer Lehren im Laufe der Jahre stetig zugenommen haben, so habe ich mich doch immer noch als Christ empfunden."
Das jüngste Buch von Helmut Schmidt ist also ein Sammelsurium von Fragmenten vergangener Jahrzehnte. Es ist zu vermuten, dass nur hartgesottene Historiker diese mit Gewinn lesen – und solche, für die Helmut Schmidt noch immer der Inbegriff des Elder Statesman ist, von dem sie auch nach zahllosen Büchern und verrauchten Fernsehauftritten nicht genug bekommen können. (pro)
Helmut Schmidt: Religion in der Verantwortung – Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung. Propyläen-Verlag, 251 Seiten, 19,99 Euro.