Haya Schulmann wirft HR-Moderatorin antisemitisches Verhalten vor

Eine Moderatorin des Hessischen Rundfunks (HR) soll die deutsch-israelische Professorin Haya Schulmann antisemitisch beleidigt haben. Der HR erklärt die Moderatorin für unschuldig. Damit ist der Fall für die Betroffene aber nicht abgeschlossen.
Von Jörn Schumacher
Haya Schulmann

Die deutsch-israelische Informatik-Expertin Haya Schulmann hat schwere Vorwürfe gegen eine Moderatorin und die Redaktion des Hessischen Rundfunks (HR) erhoben. Schulmann ist Professorin für Informatik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, sie leitet den Forschungsbereich „Analytics Based Cybersecurity“ in ATHENE, dem Deutschen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit, und sie gründete unter anderem die Abteilung „Cybersecurity Analytics and Defences“ am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT.

Als der HR in der Fernsehsendung „Hallo Hessen“ am 28. Januar 2025 das Thema Datenschutz in Europa behandelte, bat er Schulmann zu einem Interview. Auf der Plattform „Linkedin“ beschrieb die Expertin danach, was aus ihrer Sicht vor dem Interview geschehen war. Da sie die Grippe hatte, sei sie online zugeschaltet worden, so Schulmann. Bei der Technikprobe vor der Sendung habe sie zunächst „sehr nett“ mit der Moderatorin geplaudert, die türkischer Abstammung ist. Die HR-Journalistin fragte, woher ihr Name käme. „Auf meine Antwort ‚Israel‘ reagierte sie mit einem entsetzten ‚Bäääääh‘ und streckte die Zunge heraus – danach sagte sie kein weiteres Wort, und ich wurde stummgeschaltet“, schreibt Schulmann.

Es falle ihr schwer, dieses Verhalten anders als rassistisch oder antisemitisch zu deuten, fügt die Informatik-Professorin hinzu. „Nie zuvor ist mir so etwas in einer etablierten, deutschen Sendung begegnet.“ Als sie den Vorfall gegenüber der Redaktion angesprochen habe, habe man ihr gesagt, die Moderatorin habe es nicht so gemeint, sie habe es wohl falsch verstanden – die Redaktion habe das schon mit ihr geklärt. Schulmann weiter: „Alle in der Redaktion haben das gesehen, aber anscheinend hielten alle das Verhalten für ‚in Ordnung‘“. Es gab auch keine Entschuldigung, weder von der Redaktion noch von der Moderatorin, so die Informatikerin.

HR beauftragte eigene Kanzlei zur Untersuchung

Mehr als zwei Wochen später, am 13. Februar, veröffentlichte der Sender eine Stellungnahme zu dem Vorfall. Darin nennt der Sender auch den Namen der betreffenden Moderatorin, Selma Üsük. Der HR habe die Vorwürfe „sehr ernst genommen“ und „umgehend eine unabhängige und ergebnisoffene Untersuchung angestoßen“, heißt es in der Stellungnahme. Die Anwaltskanzlei „Feigen Graf“ sei damit beauftragt worden, den Fall zu untersuchen. Es seien 18 Interviews durchgeführt worden, dafür seien alle HR-Mitarbeiter kontaktiert worden, die sich an dem Tag im Studio und der Regie befunden hätten. Außerdem seien alle externen Gäste der Sendung befragt worden. Sämtliches Videomaterial, das von der fraglichen Zeit vorlag, sei gesichtet und analysiert worden, sogar von einer Lippenleserin. Auch Schulmann selbst sowie ihr Ehemann seien befragt worden.

Nach Abschluss der Untersuchung komme die Kanzlei zu dem Ergebnis: „Aufgrund der Untersuchungsergebnisse ist nach Überzeugung von Feigen Graf davon auszugehen, dass die von Prof. Dr. Haya Schulmann […] vorgeworfenen Beleidigungen durch Selma Üsük nicht erfolgten.“

Weiter heißt es: „Teile dieser Vorwürfe und (ergänzenden) Behauptungen wurden in dem mit Feigen Graf geführten Interview nicht mehr aufrechterhalten.“ Der HR gehe allerdings davon aus, dass Schulmann und ihr Ehemann eine Reaktion von Selma Üsük auf die Nennung der Herkunft des Vornamens „Haya“ „missverständlich als beleidigend“ aufgefasst habe. Der Sender bedauere, dass bei Schulmann eine solche Wahrnehmung entstanden sei. Der HR fügt hinzu, dass er sich „gegen die seitdem in der Öffentlichkeit erfolgte Vorverurteilung unserer langjährigen, geschätzten Kollegin und des gesamten Teams“ verwehre. Es habe „öffentliche Hetze“ unter anderem in den sozialen Medien gegen die Moderatorin gegeben, es seien 43 Hasskommentare zur Anzeige gebracht worden.

„Kafkaeske Untersuchung“

Schulmann wiederum kommentierte die Stellungnahme in einem Post auf „Linkedin“ und nannte sie „kafkaesk“. Die Informatikerin kritisierte, dass die Kanzlei „Feigen Graf“ mitnichten unabhängig agiert habe, sondern im Interesse des HR. In der Befragung habe die Kanzlei selbst darauf hingewiesen, „als Rechtsanwälte des Hessischen Rundfunks“ gesetzlich verpflichtet zu sein, „ausschließlich die Interessen des HR zu wahren“. Des Weiteren gehe die Kanzlei zwar von einem als Beleidigung wahrnehmbaren Verhalten aus, sei aber davon überzeugt, dass es nicht beleidigend gemeint war. Schulmann stellt fest: „Ausschließen können sie eine antisemitische Motivation aber nicht. Sie erklärten auch nicht, was sonst dieses Verhalten verursacht hat.“

Dem Eindruck, sie habe ihre Vorwürfe mittlerweile zurückgenommen, stellt sich die Informatikerin entgegen. „Ich hatte lediglich Feigen Graf meine Beobachtungen ausführlich beschrieben. An meinem Vorwurf änderte das nichts.“ Schulmann wiederholt: „Ich war über das Verhalten der Moderatorin entsetzt.“ Noch besorgniserregender sei aber die Reaktion des HR, da kein Wort der Entschuldigung gefallen sei. Die vom HR beauftragte Untersuchung halte sie für kafkaesk, irreführend und diskreditierend.

Schulmann kritisiert zudem, dass der HR nicht bekannt gebe, wie der Auftrag genau aussah und was die Belege und Begründungen für das Urteil sind. Schulmann habe trotz wiederholten Bitten keine Kopie des Abschlussberichts erhalten, die Inhalte der Interviews, des Videomaterials oder des Gutachtens der Lippenleserin seien ihr nicht mitgeteilt worden. Umgekehrt hätten sie und ihr Mann der Kanzlei aber alle Belege zur Verfügung gestellt und „ausführlich Rede und Antwort gestanden“.

Schulmann zeigt sich enttäuscht, dass der HR keine allgemeine Distanzierung von Antisemitismus geäußert habe. „Ich weiß nicht, welchen Grund die Moderatorin für ihr Verhalten im tiefsten Inneren hatte. Aber, wenn man jemanden zum Stolpern bringt, entschuldigt man sich, auch wenn es keine Absicht war“, so Schulmann. „Und wenn als Grund etwas so Übles wie Antisemitismus im Raum steht, sollte man sich sicht- und hörbar davon distanzieren.“ Schulmann ergänzt: „Die Reaktion des HR betrifft uns alle. Der ÖRR (Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Anm. d. Red.) ist eine wichtige Instanz in Deutschland, er hat viel Einfluss auf die Meinungsbildung. Deshalb ist es wichtig, dass im ÖRR Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit usw. nicht toleriert, sondern konsequent bekämpft werden.“

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