In einem Brief an die italienische Zeitung „La Repubblica“ habe Franziskus geschrieben, ein Nichtgläubiger sei so lange vor dem Feuer der Hölle sicher, wie er bei Entscheidungen über Gut und Böse seinem eigenen Gewissen gehorche. Schlussfolgernd brauche der Mensch weder Gott noch die Kirche, die einem sage, wie man sich verhalten solle, schreibt Doolan in seinem Essay „Snowden und der Papst“. Die Aussage des Papstes lasse also vermuten, dass das eigene Gewissen eine Alternative zu Gott biete.
Passend dazu bezieht Doolan die Aussage des Papstes auf den Fall Edward Snowden. Dieser habe den Anspruch gehabt, im Einklang mit seinem Gewissen zu handeln, als er aus Protest gegen das Ausspionieren von US-Bürgern Staatsgeheimnisse verriet. Augenscheinlich habe Snowdens Verhalten also der Meinung des Papstes darüber entsprochen, was eine moralische Person ausmacht.
Vielleicht gebe es in unserem Zeitalter für ethisches Verhalten tatsächlich keine andere Instanz als das Gewissen mehr. Schließlich habe sich auch die Kirche mit der Zeit gewandelt und die Aussage des Papstes stehe „im Einklang mit dem extremen Individualismus unser Zeit.“ Doolan folgert daraus: „Wenn die heiligen Schriften uns nicht mehr den Unterschied zwischen Gut und Böse vorgeben können, müssen wir selbst entscheiden.“
Andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine Orientierungsfunktion der Politik bei moralischen Fragen, schließt er aus. Es gebe zwar politische Ideologien, die feste Ansichten über Recht, Unrecht und das Gemeinwohl hätten, unter anderem Sozialismus und Kommunismus. Und die Sozialdemokratie sei oft vom Christentum geprägt. Doch habe dieser Einfluss zunehmend abgenommen und es herrsche derzeit eine Art des Liberalismus, „der es nicht nur an einer klaren, moralischen Grundlage fehlt, sondern der viele staatliche Interventionen als Angriffe auf die persönliche Freiheit betrachtet.“
Auch das Internet sei als moralische Instanz nicht geeignet. Es ermögliche durch soziale Netzwerke zwar die Mobilisierung der Bevölkerung für gute Zwecke. Im Großen und Ganzen aber „hat das Internet bisher nichts weiter getan, als der Wirtschaft zu ermöglichen, riesige Datenbanken über unser Leben, unsere Gedanken und Sehnsüchte zu erstellen.“ Genau das habe Snowden dazu veranlasst, die geheimen Informationen zu veröffentlichen.
Trotzdem sei es wohl nicht das, was „Papst Franziskus im Hinterkopf hatte, als er versuchte, die Kluft zwischen seinem Glauben und unserem Zeitalter des ungezügelten Individualismus zu überbrücken“, schließt Doolan. (pro)