Hass und Hetze per Mail oder via Twitter kennen der ARD-Fernsehjournalist Arnd Henze und die Landessuperintendentin in Hannover, Petra Bahr, aus eigener Erfahrung. Die Beleidigungen, die Henze online bekommt, richten sich nach seiner Aussage häufig gegen seine Frau, laut Bahr geht die geballte Aggression in 140 Zeichen meist unter die Gürtellinie. Die Hemmschwelle sei sehr gering, solange man nur einen Klick tätigen müsse, meinte Bahr. „Es ist etwas anderes, wenn man es einem Kollegen am Schreibtisch gegenüber äußert. Das ist nicht banal, sondern das ist infektiös und pandemisch.“
Dem widersprachen einige Zuhörer unter der hohen Kuppel der Predigtkirche des Berliner Doms. Denn per Twitterwall, also über eine Projektion des Kurznachrichtendienstes auf Leinwand, konnte, wer wollte, unter #guckstduhier seine Meinung mitteilen und so die Diskussion nach außen tragen.
Ist der Hass wirklich pandemisch oder war er vorher vielleicht nur nicht sichtbar, fragte einer, ein anderer: Bleiben gute Dinge genauso hängen oder wollen wir nur Negatives hören? Und was mit den positiven Aspekten des Netzes wie zum Beispiel Hilfsbereitschaft sei, wollte jemand per Twitterwall wissen.
Keine Freiheit ohne Verantwortung
Die große Freiheit im Netz sei nicht zu haben ohne Verantwortung, darauf pochte der Ex-EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber in seinem Vortrag. Die Welt habe sich in ein kommunikatives Dorf verwandelt, sowohl Revolutionen als auch Terroranschläge würden digital vorbereitet. „Sind wir der Medienrevolution gewachsen, die wir heute erleben?“, ist laut Huber die entscheidende Frage des digitalen Zeitalters – ob das, was der Mensch geschaffen habe, ihm diene oder über ihn herrsche. Die Entkopplung von Freiheit und Verantwortung hält Huber deshalb für eine große Gefahr. Generell werte er das Positive der Digitalisierung allerdings stärker als das Negative, betonte er.
Grünen-Bundestagsfraktionsvize Konstantin von Notz forderte erneut ein Vorgehen gegen Rechtsverletzungen im Netz und kritisierte das im Bundestag debattierte Anti-Hate-Speech-Gesetz als schlecht gemacht. „Die Politik ist gefragt, bestimmte Dinge zu regeln“, so der Netzpolitikexperte. Der Gesetzgeber habe die Verantwortung, Menschen vor bestimmten Geschäftsmodellen zu schützen, vor allem, wenn man nicht einsehen könne, auf was man sich einließe, sagte er unter anderem mit Blick auf Facebook.
„Vermachtungsstrukturen“ müsse man jetzt entgegenwirken, warnte der Grünen-Politiker: „Wir brauchen Transparenz und Wettbewerb – daran gibt es maximalen Mangel.“ Er sieht in diesem Punkt vor allem die Politik in der Verantwortung. Der Einzelne könne sich der Digitalisierung und ihren Folgen kaum noch entziehen. Smartphone und ständige Erreichbarkeit seien heutzutage Voraussetzung für viele Jobs, eine Freiwilligkeit gebe es hier längst nicht mehr.
Ein Plädoyer für das Live-Gespräch
Wie der Einzelne sich sinnvoll in der digitalen Welt bewegen kann, wie und wo digitale Umgangsformen überhaupt gelernt werden können – diese und andere Aspekte konnten in den Talkrunden im Dom nur angerissen werden. Endgültige Antworten konnten in einer Zeit des Umbruchs weder Theologen noch Politiker geben. Dass neben der digitalen auch die analoge Kommunikation wichtig sei, das eine ohne das andere im Grunde nicht existiere, darin waren sich alle einig.
Auf der Twitterwall war im Verlauf der Veranstaltung ein Plädoyer für das Live-Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu lesen: „Analog ist das neue Bio“ hieß es in einem Tweet. Der passende Kommentar darauf folgte auf dem Fuß: „Digital ist das neue vegan!“
Von: Christina Bachmann