Nur 251 Millionen Menschen, verteilt auf 38 Nationen, leben weltweit in Freiheit. Das entspricht rund drei Prozent der Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis kommt der Atlas der Zivilgesellschaft, der seit sechs Jahren jährlich von „Brot für die Welt“ und „Civicus“ herausgegeben wird.
6,7 Milliarden (85 Prozent) Menschen leben demnach in „beschränkten“, „unterdrückten“ oder „geschlossenen“ Zivilgesellschaften. In diesen Staaten beschneiden Regierungen Freiheitsrechte und drangsalieren, verhaften und verfolgen Kritiker.
Mehr Menschen, aber weniger Länder in Freiheit
Im Vergleich zum Vorjahr leben rund elf Millionen Menschen mehr in Freiheit, zudem haben sich zehn Länder in der Bewertung verbessert, darunter Tschechien und die USA. So habe sich die Stärkung der Gewerkschaften in den USA positiv auf die Bewertung ausgewirkt.
Allerdings wurden zeitgleich 15 Länder herabgestuft. So gilt für Russland und Afghanistan nun die Kategorie „geschlossen“. Hintergrund der Verschlechterung Russlands ist der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser habe zu noch mehr Repressionen gegen die eigene Zivilbevölkerung geführt.
Kategorien des Atlasses der Zivilgesellschaft
Offen – 38 Staaten (3,2 Prozent der Weltbevölkerung)
Der Staat ermöglicht alle zivilgesellschaftlichen Freiheiten
Beeinträchtigt – 42 Staaten (11,3 Prozent der Weltbevölkerung)
Der Staat ermöglicht überwiegend alle zivilgesellschaftlichen Freiheiten. Es kommt zu einzelnen Verletzungen.
Beschränkt – 40 Staaten (14,9 Prozent der Weltbevölkerung)
Die Regierung beschneidet eine freie Grundrechtsentscheidung durch rechtliche und praktische Einschränkungen.
Unterdrückt – 50 Staaten (42,2 Prozent der Weltbevölkerung)
Der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt.
Geschlossen– 26 Staaten (28,4 Prozent der Weltbevölkerung)
Der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum ist ‒ in rechtlicher und praktischer Hinsicht ‒ komplett geschlossen.
Europäische Flüchtlingspolitik
Großbritannien und Griechenland wurden von „beeinträchtigt“ nach „beschränkt“ herabgestuft.
Ursache für die negativere Bewertung Griechenlands ist der Umgang mit Migranten. Denn in diesem Jahr beschäftigt sich der Atlas der Zivilgesellschaft im Besonderen mit Menschen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen. „Wer sich für Menschen einsetzt, die Schutz und Unterstützung am dringendsten brauchen, wird kriminalisiert, an der Arbeit gehindert oder bedroht“, sagte die Präsidentin von, „Brot für die Welt“, Dagmar Pruin, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.
Der Bericht bemängelt vor allem das Vorgehen der Europäischen Union. „Die Regierungen blockieren die Seenotrettung im Mittelmeer massiv. Der Tod dient als Abschreckung.“ Das sei ein „zynisches Spiel“ mit Menschenleben, kritisiert Pruin.
Rettungsschiffe werden festgesetzt
So würden in Griechenland durch „willkürliche und unverhältnismäßige“ Auflagen die Arbeit von Helfern erschwert, heißt es im Bericht. Eine Auswertung von „Brot für die Welt“ ergab, dass seit 2016 Rettungsschiffe im Mittelmeerraum zusammengenommen 1.116 Kalenderwochen von staatlichen Stellen blockiert wurden.
Der Atlas der Zivilgesellschaft zählt zudem mindestens 102 Menschen, die im vergangenen Jahr in der EU angeklagt wurden, weil sie Flüchtlinge unterstützt haben. Das betrifft neben Griechenland (35 Anklagen) vor allem Italien (48 Anklagen). In Polen gab es zwölf solcher Anklagen. „Brot für die Welt“ kritisiert vor allem, dass Journalisten und Mitarbeiter von NGOs keinen Zugang ins polnisch-belarussische Grenzgebiet haben.
Flüchtlingshelfer weltweit in Bedrängnis
Laut dem Atlas der Zivilgesellschaft sind aber weltweit Flüchtlingshelfer in ihrer Arbeit eingeschränkt. Als Beispiele führt der Bericht unter anderem Mexiko, Algerien und Südafrika auf. Demnach wird auch weit hinter den eigentlichen Grenzen gegen Flüchtlingshelfer vorgegangen. Unter Druck stünden zunehmend auch private Helfer, Unterstützer oder Anwälte. Sie seien Ziel politischer Angriffe und Diffamierungen – auch deshalb, weil sie bisweilen als Sündenböcke leichter zu attackieren seien als Flüchtlinge selbst.
Die Daten für den Atlas der Zivilgesellschaft basieren auf Erhebungen von „Civicus“ und der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, beispielsweise zur Rede- oder Versammlungsfreiheit. „Civicus“ unterteilt die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in die fünf Kategorien offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen.