Zwischen Bundesländern und der Bundesregierung knirscht es derzeit gewaltig bei der Frage, wer wie viel für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen bezahlt. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres stellten 102.000 Menschen Asylanträge, das sind 78 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – da ersuchten gut 57.000 Menschen Asyl.
Dazu kommen mehr als eine Million Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen sind. Sie müssen das Asylverfahren nicht durchlaufen und bekommen gleich einen Aufenthaltstitel. Versorgt und untergebracht werden müssen auch sie.
Die Kommunen, die vor Ort dafür zuständig sind, klagen, dass sie nicht genug Geld und Kapazitäten dafür haben. Der Bund, der für die Regeln rund um Migration und Asyl zuständig ist, solle mehr Geld dafür geben.
Beim Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am Mittwoch sagte Scholz eine weitere Milliarde Euro Unterstützung für die Kommunen zu. Allerdings sollen die Details noch in Arbeitsgruppen beraten und erst im November entschieden werden – aus Sicht der Kommunen zu spät.
Außerdem liegt das Thema auf dem Tisch, die Zahl derjenigen zu begrenzen, die in Deutschland Asyl beantragen. Mehr Grenzkontrollen, eine verlängerte Frist für die Abschiebehaft, Asylzentren an den Außengrenzen der EU oder zumindest an denen Deutschlands gehören zu den Plänen.
Ist das moralisch verwerflich oder unchristlich?
Geflüchtete brauchen akut Hilfe
Der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Christian Stäblein, warnte im Vorfeld des Gipfels vor einer „Politik, die auf Entrechtung, menschenunwürdige Unterkünfte und Abschiebungen“ setze. Auch Geflüchtete seien Kinder Gottes.
Damit hat er völlig Recht. Es sollte unser Land auszeichnen, zumindest den Anspruch aufrecht zu erhalten und möglichst auch zu erfüllen, dass Flüchtlinge in einer halbwegs zumutbaren Unterkunft leben können. Diese Schwelle ist bei Massenunterkünften in Zelten oder Hallen schon recht niedrig angesetzt. Keiner würde dort freiwillig einziehen, der es nicht muss.
Aber das ist nicht die einzige Herausforderung. Es geht auch um Integration, um Kindergartenplätze, Schulbildung, Arbeit. Stäblein sagt, durch die hohe Zahl von Flüchtlingen werden die Probleme offenbar, die es hier ohnehin schon gibt. Die Asylsuchenden sollten dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Auch das ist richtig.
Allerdings: Für die ankommenden Menschen braucht es akute und längerfristige Hilfe. Manche bereits bestehenden Baustellen hierzulande sind jedoch so schwerwiegend, dass sie nicht kurzfristig zu lösen sein werden, Stichwort bezahlbarer Wohnraum, Kita-Plätze, Lehrermangel.
Es ist nicht damit getan, Kinder, die kein Deutsch können, in eine Betreuungseinrichtung zu geben oder einzuschulen und dann ihrem Schicksal zu überlassen.
Eine zügige Integration von Erwachsenen in den Arbeitsmarkt ist mit schnellen Verfahren unbedingt anzustreben. Aber gerade auf dem Land kann das schon an der fehlenden Busverbindung zu einem möglichen Arbeitgeber scheitern. Ganz abgesehen von sprachlichen Hürden und der Anerkennung von Abschlüssen.
Aus christlicher Sicht ein Dilemma
Die Herausforderungen sind groß und komplex. Gerade wenn geflüchtete Menschen die Chance haben sollen, in Deutschland Fuß zu fassen, und wenn ihre individuellen menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden sollen, muss man begrenzten Kapazitäten ins Auge sehen.
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Es liegt auf der Hand: Je mehr Menschen in kurzer Zeit zusätzlich behördlich und sozial versorgt werden müssen, desto schwieriger wird das.
Das heißt auch, dass es sinnvoll sein kann, Menschen, die voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl haben, frühzeitig zurückzuweisen statt sie wochen- und monatelang warten zu lassen – um Ausreisepflichtige am Ende doch im Land zu behalten. Denn mit einem solchen Status können sie sich hier erst recht kein Leben aufbauen.
Daher ist es nicht per se unmoralisch oder menschenunwürdig, etwa Grenzkontrollen durchzuführen und Menschen zurückzuweisen. Unmoralisch ist es vielmehr, etwas in Aussicht zu stellen und Hoffnung auf ein besseres Leben zu machen – wissend, dass diese Hoffnung enttäuscht werden wird.
Aus christlicher Sicht bleibt die politische Frage dennoch ein Dilemma. Denn Notleidenden, auch Fremden, zu helfen, gehört zur christlichen DNA. Formale Kriterien, die es für politische Regeln braucht, sagen am Ende nur wenig aus über die persönliche Not eines Menschen.
Umso mehr sind Christen ganz praktisch an die Einzelnen gewiesen, um ihnen Wegbegleiter in ihrer neuen oder vorübergehenden Heimat zu sein.