Schweißperlen glänzen auf ihrer Nase. Grace ist erschöpft. Zwei Stunden lang hat sie im Gottesdienst gesungen und getanzt. Die Begeisterung steckt an – und auch die Musikanlage tut ihren Teil. Das ganze Dorf kann im Umkreis von fünf Meilen die Lieder mitsingen, so laut schallt die Musik unter dem Blechdach mit den offenen Wänden hervor. Die Kirche ist voll. Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge.
Grace lebt in Pochalla, im Südsudan, einem der ärmsten Länder der Welt. Für die Menschen hier ist Glaube kein „Add-On“, kein Schnickschnack für alte Leute. Der Glaube an Gott ist ein Lebenselixier. Und so feiern sie am Sonntag jede Woche, in der es genug zu essen gab, in der die Kinder gesund geblieben sind. Die Menschen flehen zu Gott um Schutz und um Bewahrung für ihr Leben.
Sonntag für Sonntag ist Grace im Gottesdienst aktiv. Hauptamtlich leitet sie eine Spar-Gruppe, ein Projekt von Tearfund Deutschland und lokalen Partnern im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
In Pochalla gibt es sogenannte „Cash for Work“-Programme. Arbeitslose Frauen und Männer werden angestellt, um wichtige Infrastrukturen aufzubauen. 2022 ist ein Großteil der Ernte vernichtet worden, als der nahegelegene Fluss über die Ufer stieg und die Felder überflutete. Gegen ein neues Hochwasser werden nun Säcke mit Lehm befüllt und entlang des Ufers Deiche errichtet. Auch Schulen werden gebaut. Gemeinschaftshäuser, für die Dorfältesten. Oder ein wettergeschützter Unterstand, der als Marktplatz dienen wird. Die Arbeiterinnen und Arbeiter – 60 Prozent von ihnen sind Frauen – bekommen Bargeld für ihre Arbeit. Früher waren es oft Waren des täglichen Bedarfs, doch da hat sich die Perspektive in der Entwicklungszusammenarbeit geändert. Bargeld gibt dem Empfänger die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was er kaufen möchte. Insbesondere für Frauen steigt damit auch der soziale Status in der Gemeinschaft.
Eine Bedingung für die Teilnahme am Programm gibt es aber: Ein Teil ihres Einkommens wird gespart und später investiert, um eine berufliche Perspektive aufzubauen. In der Gruppe muss Grace dazu enorme Überzeugungsarbeit leisten. Sparen ist kein Teil der Kultur in diesem Teil Afrikas. Und wer kann es den Menschen verdenken? Die Kinder haben jetzt Hunger. Und wie wird sichergestellt, dass das Geld sicher aufbewahrt wird? Wie kann das Sparen der Inflation trotzen? Und wie lässt es sich den vielen Verwandten erklären, dass man nicht allen helfen kann, weil ein Teil des Geldes zurückgelegt wird? Immerhin hat die Familie auch geteilt, als es einem selbst schlecht ging? Grace erklärt mit Engelsgeduld, welche Vorteile das Sparen haben kann.
Dann sprechen sie über Sparziele. Dafür muss zuerst ein Bild von der Zukunft gemalt werden. Wie kann ein Leben aussehen, ohne Krieg, ohne Hunger? Welche Rolle können Menschen darin spielen, die kaum das Existenzminimum besitzen und von denen viele nicht lesen und schreiben können? Grace erzählt ihre eigene Geschichte: Dass die Mutter sich das Schulgeld vom Mund abgespart hat, um sie zur Schule zu schicken, und dass sie dann eine Ausbildung machen konnte. Ein Weg in die Zukunft für die Kinder in Pochalla. Grace gewinnt vor allem die Frauen für ihr Anliegen.
Konkrete Sparziele werden festgelegt. Ein häufiger Wunsch sind eigene Werkzeuge. Die meisten Farmer sind so arm, dass sie nur Erntearbeiter einstellen können, die ihr eigenes Werkzeug mitbringen. Werkzeug sichert Arbeit und damit Einkommen. Andere planen, eine Vorratskammer zu bauen. So können sie Mais und Getreide lagern – und zu einem Zeitpunkt verkaufen, an dem sich höhere Preise erzielen lassen. Einige Frauen sparen für einen Ofen und große Töpfe, um eine Garküche aufzubauen.
Gespart wird ein Jahr lang. Woche für Woche muss Grace die Teilnehmenden neu motivieren. Immer wieder gibt es Rückschläge: Männer verbieten den Frauen zur Arbeit zu kommen. Das Material geht aus, weil es beim Transport einen Unfall gab. Ein feindlicher Stamm droht anzugreifen.
Doch Grace hilft Probleme zu lösen und betet für ihre Gruppe. Dann endlich kommt der große Tag: Weihnachten ist die „Bescherung“. Das gesparte Geld wird wie besprochen investiert. Wünsche, die unerfüllbar schienen, und die nun helfen, eine Zukunft zu bauen, werden wahr. Weihnachtsgeschenke nicht als Almosen, sondern ermöglicht durch die Arbeit der eigenen Hände. Wie stolz das diese Frauen und Männer macht. Im Gottesdienst wird es einen Jubel geben, der noch mal einige Dezibel höher liegen dürfte. Die strahlende Grace mittendrin.
Von: Uwe Heimowski