Jemand würdigt etwas herab, was anderen heilig ist. So kann man Blasphemie beschreiben. Welche heftigen Konsequenzen dies in unterschiedlichen Epochen und Gesellschaften hatte, damit beschäftigt sich der Dresdener Historiker Gerd Schwerhoff. Er stellt fest, dass die Spottlust gegen das Heilige nichts Neues ist. Wer gegnerische Positionen herabwürdige, könne oft auch die eigenen Anhänger mobilisieren und sie zum Handeln bewegen.
Der Historiker hat sein Buch chronologisch aufgebaut. Er beginnt mit der biblischen Geschichte, in der ein Mann Gott lästert und dafür hart bestraft wird. Bereits in der Antike ist deutlich, dass ein Vergehen gegen Gott dasjenige gegen Mitmenschen übertrifft.
Noch in der Antike setzte dann ein „Kampf der Götter“ ein, führt Schwerhoff aus. Gegnerische Götter wurden geschmäht, um den eigenen Glauben gegen eine Herabwürdigung zu schützen. Für Anhänger alter Kulte erschien der „neue“ Glauben an Christus suspekt. Kaiser Konstantin verstand es als Mandat Gottes, dass er unter einem christlichen Gott seine Alleinherrschaft errang. Als Schiedsrichter wollte er die Streitigkeiten innerhalb des Christentums regeln.
Antijüdische Stereotype halten bis heute
Durch Kaiser Justinian wurde erstmals Blasphemie klar fixiert und kriminalisiert, auch wenn sich schon im Neuen Testament viele Belege dafür finden. Im Laufe der Jahrhunderte verstärkte sich der Konflikt zwischen Christen und Juden, weil es unterschiedliche Auffassungen zur Person Jesu und dessen Anspruch als dem verheißenen Messias gab. Hier, so Schwerhoff, entwickelten sich „tiefsitzende Stereotype und religiöse Feindbilder“, die oft bis heute nicht an Bedeutung verloren haben.
Im Islam, der sich Anfang des 7. Jahrhunderts entwickelte, versuchten die Kalifen gleich zu Beginn ihrer Amtszeit, den rechten Glauben mit Eifer zu verteidigen. Der Prophet Mohammed war häufiger das Opfer von Blasphemie als Allah selbst.
Um das Jahr 1200 stellten kirchliche und weltliche Gesetzestexte die Blasphemie erstmals unter Strafe. Für Schwerhoff scheint dieser Schritt folgerichtig, weil die christliche Mission nun nach außen gerichtet war. Auch die europäischen Staatsoberhäupter stellten mit gesetzgeberischem Eifer gerne ihre Frömmigkeit unter Beweis. Als Strafen für Gotteslästerung drohten den Menschen Geldbußen oder Landverlust, aber auch körperliche Strafen wie das Abschneiden der Zunge bis hin zum Todesurteil. In den unteren gesellschaftlichen Schichten diente es auch als Gemeinschaft stiftendes Ritual über Gott zu lästern.
Stigmatisierung der religiös Andersdenkenden
Die anbrechende Reformation verstärkte die Herausforderung, anderen Glaubensströmungen ausgesetzt zu sein. Es war aus Sicht des Historikers „der Höhepunkt, aber nicht die Wiederentdeckung“ der Blasphemie. Für diese historische Phase bezeichnend ist die Stigmatisierung der religiös Andersdenkenden wie etwa der Täufer, der Ungläubigen oder Atheisten. Dafür wurden immer öfter auch Bilder genutzt. Ab dem 18. Jahrhundert veränderte sich die Religionspolitik und andere Bekenntnisse wurden zunehmend toleriert.
Auch in der Moderne ist das Delikt der Gotteslästerung keineswegs obsolet geworden, schreibt Schwerhoff. Abgeschafft wurde es, wie in Frankreich mit der Revolution, nur selten. Gerne wurde Blasphemie – auch in Form von Bildern – als politische Waffe eingesetzt. So war der Gotteslästerungs-Prozess, in dem es zu Beginn des 20. Jahrhunderts um öffentliche antisemitische Hetze ging, eine Art Vorläufer zur Debatte um die Mohammed-Karikaturen.
Die Bewegung der 68er hatte sich den radikalen Protest auf die Fahne geschrieben und neue Standards gesetzt. Der Humor der Monty Python in dem Film „Das Leben des Brian“ ärgerte fromme Christen weltweit und auch die Ausstellung „I. N. R. I.“ von Betina Reims, die biblische Geschichten in die Bildsprache der Gegenwart übersetzte, sorgte für Aufsehen. Eine globale Dimension bekam die Debatte dann mit einem Fall aus der islamischen Welt. Gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie wurde wegen seines Romans „Die satanischen Verse“ das Todesurteil ausgesprochen.
Gotteslästerung kann bis heute Leben kosten
Auch in der Moderne kann Gotteslästerung das Leben oder die Freiheit kosten. Dies zeigt Schwerhoff an einigen Beispielen. Natürlich thematisiert er auch die Debatte um die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ sowie die Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty, der in seinem Unterricht Mohammed-Karikaturen eingesetzt hat. Gesetze gegen Blasphemie seien keineswegs auf muslimische Länder beschränkt. Hier nennt der exemplarisch die Debatte um die Frauenpunkband Pussy Riot, die in einer russischen Kirche auf dem Altar getanzt hat.
Schwerhoff bietet eine sachliche Aufarbeitung des Themas an. Dabei beleuchtet er die unterschiedlichen religiösen und juristischen Aspekte. Er verdeutlicht, dass das Thema auch in Zukunft brisant bleiben wird. Der Historiker erzählt die Geschichte trotz des Umfangs sehr anschaulich über alle Epochen hinweg.
Der Historiker führt den Leser am roten Faden der Geschichte entlang. Es wird deutlich, dass das Thema von der Antike bis in die Moderne die jeweilige Zeit geprägt hat. Gotteslästerung ist laut Schwerhoff kein Relikt aus alten Tagen, sondern wird bis heute eingesetzt, um das jeweils andersdenkende Gegenüber zu provozieren. Gleichzeitig bekommt der Leser auch ein Gespür dafür, was es heißt, wenn religiöse Gefühle verletzt werden. Diesen Spott müssten ausnahmslos alle Religionen ertragen können, erklärt Schwerhoff.
In seinen Worten hört sich das Fazit so an: „Immer wieder gerät die Meinungsfreiheit in Konflikt mit dem Ziel, heilige Werte zu schützen, ob es sich dabei um die Ehre Gottes, die Existenz des Staates oder um die Integrität diskriminierter Minderheiten handelt. Die Geschichte der Blasphemie erweist sich so als Teil des sehr viel weiter ausgreifenden Ringen zwischen der Herabwürdigung des Hochgestellten und seiner Verteidigung; ihr letztes Kapitel ist noch nicht geschrieben.“
Gerd Schwerhoff: „Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie“, S. Fischer, 528 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 9783103974546.
Eine Antwort
Blasphemie unter „Meinungsfreiheit“ zu verbuchen erscheint mir wenig angemessen.
Geht es dem Blasphemiker doch um gezielte Beleidigung, Herabwürdigung und Verletzung seiner Mitmenschen.
(Umgekehrt wird leider aber auch der ungerechtfertigte Blasphemie-Vorwurf verwendet um zum Hass gegen andere aufzustacheln, siehe Pakistan https://www.pro-medienmagazin.de/pakistan-14-jaehrige-im-blasphemie-fall-frei-gesprochen/)
Letztendlich ist es Bösartigkeit gegen Mitmenschen, die zur Blasphemie veranlasst, – und ebenso ist es Bösartigkeit wenn Meinungsfreiheit unterdrückt wird.
Was hilft hier also?
Offensichtlich nicht das Verbot der Blasphemie.
Sondern nur die “ moralischen Substanz des Einzelnen“ (Böckenförde).
Letztendlich eine Neubesinnung. Erst wenn Menschen Christen werden, wird sich das Problem von Hass und Bösartigkeit lösen lassen.
Paulus bringt es auf den Punkt:
„Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen.
Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt,
sondern durch die Liebe diene einer dem andern.
Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt (3. Mose 19,18):
»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!«
Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst,
so seht zu,
dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet.
…
Die Frucht aber des Geistes ist Liebe,
Freude, Friede,
Geduld,
Freundlichkeit, Güte,
Treue,
Sanftmut, Keuschheit.“