Der Motor brummt und der Propeller setzt sich in Bewegung. Der Lärm ist ohrenbetäubend und die stechende Mittagssonne hat den Innenraum des Flugzeugs in eine Sauna verwandelt. Die kleine Cessna rumpelt über das grasbewachsene Rollfeld und nimmt Fahrt auf, wird immer schneller. Der angrenzende Wald kommt bedrohlich nahe. Kurz davor zieht Pilot Jan Klassen das Steuer hoch. Das Flugzeug hebt ab, steigt höher und überfliegt die Baumwipfel gerade so. Die Maschine wackelt und sackt immer wieder leicht ab, bis sie die Flughöhe erreicht hat und ruhig dahingleitet. Dann können die Passagiere den Blick auf Marburg und Umgebung genießen.
Das Startmanöver ist holprig, so wie es im Busch sein dürfte. Später auf diesem Flug wird Klassen die Landebahn einen oder zwei Meter über dem Boden überfliegen, die Maschine kurz vorm Ende der Piste noch einmal steil hochziehen, einen gro-ßen Bogen machen und dann wieder landen. Klassen ist einer von neun Piloten, die auf dem Flugplatz nahe dem hessischen Marburg einen Teil des Buschpiloten-Trainings von MAF absolvieren. MAF steht für Mission Aviation Fellowship und ist ein internationales christliches Hilfswerk. Weltweit ist die Organisation in bis zu 30 Ländern mit 135 Kleinflugzeugen im Einsatz. Die Flugkapitäne nennen sich Missionspiloten und leisten Hilfe in den entlegensten Orten der Welt. „Wir fliegen Hoffnung, Hilfe, Heilung“ lautet der Slogan des Werks. Unter anderem in der Amazonasregion Brasiliens, im Urwaldgebiet von Indonesien, in Papua-Neuguinea, wo es kaum Straßen gibt, und in vielen afrikanischen Ländern versorgen die Piloten die Menschen mit Hilfsgütern, transportieren Kranke in Hospitäler oder befördern Ärzte, Missionare und Bibelübersetzer – oder leisten Kastastrophenhilfe. Nach dem Tropensturm Idai in Mosambik im vergangenen Jahr war MAF zum Beispiel eine der ersten Hilfsorganisationen vor Ort.
„Wir befördern nicht nur Christen. Derjenige, der Hilfe braucht, wird geflogen“, sagt Klassen. Das können neben den Einwohnern zum Beispiel auch Touristen, Entwicklungshelfer oder Ärzte sein, die sich in Not befinden. Doch auf den christlichen Glauben der Piloten legt MAF großen Wert. Das Gebet vor dem Abflug ist fester Bestandteil der Checkliste, die die Piloten vor dem Start durchgehen. Nicht immer beten sie laut. Wenn Passagiere dabei seien, die keine Christen sind, könne das sonst für Verunsicherung sorgen, erklärt Klassen. Der 25-Jährige aus Frankenthal in Rheinland-Pfalz ist „Pilot in Vorbereitung“ bei MAF. Die Berufspilotenausbildung hat er schon abgeschlossen, jetzt fehlten nur noch einige Trainings wie das in Hessen. Drei spezielle Trainingscamps mit unterschiedlichen Schwerpunkten muss jeder Pilot bei MAF absolvieren, bevor er in den Einsatz darf. Beim Trainingswochenende in Marburg geht es um das Thema „Airstrip Evaluation“, was übersetzt so viel wie „Einschätzung der Landebahn“ bedeutet. Der Pilot muss sich dabei aus der Luft einen bestmöglichen Eindruck von der Beschaffenheit der Landebahn verschaffen. Denn im Busch könne es sein, dass Menschen oder Tiere auf der Bahn sind, erklärt Klassen. Dort gibt es keine Tower, die dem Piloten die Piste freigeben oder für eine sichere Landung sorgen können. Er ist vollkommen auf sich allein gestellt. Die Landebahnen gehörten oft zu Dörfern dazu und würden zum Beispiel als Fußballplatz von Kindern genutzt. Die Piste in Marburg eignet sich gut als Teststrecke, weil sie grasbewachsen, hügelig, relativ kurz und von Wald umgeben ist – ähnliche Bedingungen wie im Busch also. Die Piloten können hier hervorragend den „low pass“ üben, das extrem niedrige Überfliegen des Bodens.
Allein in einer fremden Kultur
Am Abend nach dem Training treffen die anwesenden Journalisten Klassen zum Gespräch im Hangar des Flugplatzes, wo die MAF-Leute für dieses Wochenende untergebracht sind. Er ähnelt einer Jugendherberge. Mit dem Unterschied, dass es überall nach Diesel stinkt. Direkt an die Flugzeughalle grenzen ein paar Besprechungsräume, eine kleine spartanische Küche und sanitäre Anlagen. Die Piloten und ihre Trainer haben sich hier für das Wochenende eingerichtet, auf dem Tisch stapeln sich Lebensmittel und vor allem holländische Brotaufstriche. Die meisten Teilnehmer sind aus dem Nachbarland angereist. Übernachten werden sie draußen. Hinter dem Hangar sind mehrere kleine Zelte aufgebaut. Die Atmosphäre ist familiär. Alle duzen sich, einige beschäftigen sich mit Freizeitspielen wie Badminton.
Klassen wird voraussichtlich im kommenden Frühjahr zusammen mit seiner Frau Rebecca und der wenige Wochen alten Tochter ausreisen. Wohin, das steht noch nicht fest. Es könnte Mikronesien und anschließend Afrika werden, sagt er. Mindestens vier Jahre lang wird die kleine Familie Deutschland dann nur für kurze Heimataufenthalte besuchen. Besonders für die Frauen der Missionspiloten ist das nicht einfach, sagt Klassen. Durch das Fliegen sind die Männer viel unterwegs und die Frauen viel alleine in einer fremden Kultur ohne Familie und Freunde. Die Entscheidung, diesen Weg gemeinsam zu gehen, hat das Paar deshalb nicht leichtfertig getroffen.
„Ich wusste, dass ich alles daransetzen werdem um Buschpilot zu werden.“
Klassen weiß seit 2013, dass ein Leben als Buschpilot sein Weg ist. Für ihn ist das eine Berufung von Gott. So eindeutig, dass er sogar sagt: „Ich hätte meine Frau nicht geheiratet, wenn sie nein gesagt hätte.“ Auch, wenn das für ihn sehr hart gewesen wäre. Dass der blonde, braungebrannte junge Mann mit der Piloten-Sonnenbrille sich einmal mit dieser Entschiedenheit äußern würde, war nicht immer klar. Denn als Jugendlicher konnte er sich ein Leben in der Mission gar nicht vorstellen. „Ich wurde sogar mal konkret danach gefragt, ob ich mir die Mission vorstellen könnte, und habe gesagt: Nein, überhaupt nicht“, erinnert er sich. Sein Traumberuf sei zwar schon immer Pilot gewesen. „Ich habe aber gedacht, dass ich das nie schaffe und man nur Einsen in der Schule braucht.“ Außerdem leidet er an Heuschnupfen und Asthma. Den medizinischen Test zu bestehen, hielt er für aussichtslos. Nach seinem Abitur bewarb sich Klassen auf verschiedene Ausbildungsstellen, bekam aber immer nur Absagen, obwohl er die Einstellungstests bestanden hatte. Klassen betete um eine Antwort von Gott. „Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich dabei an einer Stelle blockiere, indem ich sage: Mission mache ich aber auf keinen Fall.“ Über die Deutsche Missionsgesellschaft erfuhr er dann von MAF. Die Kombination aus Fliegerei und Menschen helfen fand er spannend. „Ich dachte, ich gucke mal, ob ich den medizinischen Check bestehe und wenn ich durchfalle, soll es nicht sein.“ Klassen bestand zu seiner eigenen Überraschung. „Ab dem Moment wusste ich, dass ich alles daransetzen werde, um diesen Weg zu gehen.“
Es folgten die Privatpilotenlizenz und eine Ausbildung zum Logistikkaufmann, denn die werden bei MAF gebraucht. Mit finanzieller Hilfe von seiner Familie und durch Nebenjobs brachte er die etwa 50.000 Euro für die Pilotenausbildung auf und verbrachte in den vergangenen vier Jahren jedes Wochenende von Frühling bis September auf dem Flugplatz, um Flugstunden zu sammeln. Meistens setzte er Fallschirmspringer ab. Derzeit arbeitet er zur Hälfte als Beauftragter für Luftaufsicht auf dem Flugplatz von Worms und zur anderen Hälfte bei der Hagelabwehr. Die kümmert sich bei Unwettern darum, Landwirtschaft und Bevölkerung vor starkem Hagelschlag zu schützen, indem zum Beispiel durch ein Silberiodid-Aceton-Gemisch in die Wolken „geimpft“ wird, um die Größe der Hagelkörner zu verkleiner. Für MAF ist Klassen in seiner Freizeit aktiv und bereitet sich durch Trainings wie das in Marburg auf die Ausreise vor. Sein Gehalt wird er im kommenden Jahr durch Spenden finanzieren müssen. Das ist bei allen MAF-Piloten so. Jeder Missionspilot muss sich einen eigenen Spenderkreis aufbauen. Das sei eine Herausforderung, sagt Klassen. Während der Heimataufenthalte halten die Piloten zum Beispiel Vorträge in Gemeinden und berichten von ihrer Arbeit.
Der Esel des Barmherzigen Samariters
Der Job als Flugkapitän bei MAF ist nicht ungefährlich. Denn man wisse im Busch fernab jeglicher Zivilisation nicht immer, auf welche Menschen man treffe; ob sie einen freudig empfangen oder ob man sich eher an die Begegnungen herantasten sollte. Klassen nimmt dies auf sich, weil er sich seiner Berufung sicher ist. „Ich weiß, dass Gott will, dass ich nicht Airline fliege, sondern Buschpilot bin. Auch wenn der Job schlechter bezahlt wird und viel härter ist.“ Das ist vielleicht schwierig zu verstehen, wenn man diese Berufung nicht fühlt, meint er. Der Mann mit dem jungenhaften Grinsen hat ein ganz besonderes Bild, um den Beruf Missionspilot zu beschreiben: In der biblischen Geschichte vom Barmherzigen Samariter rede niemand über den Esel, der den Kranken transportiert habe. „Wir vergleichen uns mit dem Esel. Denn ohne den wäre es nicht möglich gewesen, den Kranken zu versorgen.“ MAF ermögliche Mission und Hilfe in den Regionen, „in die man ohne uns nicht oder nur durch tagelange Fußmärsche kommen würde“. Demut und das Zurücknehmen der eigenen Person braucht es in diesem Job, um Menschen am Ende der Welt zu erreichen.
Mission Aviation Fellowship (MAF) ist ein internationales, christliches Hilfswerk mit 1.400 Mitarbeitern. Mit über 130 Kleinflugzeugen ist die Organisation weltweit in bis zu 30 Ländern im Einsatz. Die Missionspiloten leisten Katastrophenhilfe, machen Transportflüge oder medizinische Notfallflüge in Regionen, die sonst nicht erreichbar wären, wie zum Beispiel im Busch von Papua-Neuguinea oder im Amazonasgebiet. Die Piloten verpflichten sich für mindestens vier Jahre, ihr Gehalt finanziert ein jeweiliger Spenderkreis, den jeder Mitarbeiter aufbauen muss. Während der Heimataufenthalte besuchen sie zum Beispiel Kirchengemeinden und halten Vorträge. Mehr Infos finden sich unter maf-deutschland.de.
Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 4/2019 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie die pro hier.
Von: Swanhild Zacharias