PRO: Sie legen in Ihrem Buch „Bittersüße Realität“ Ihr Innerstes offen. Schreiben von einer Essstörung, falschen Schönheitsidealen, Kampf mit dem Selbstwert und Ihren Weg zum Glauben. Viele Details haben Sie bisher nicht mit der Öffentlichkeit geteilt. Warum jetzt?
Kira Geiss: Einerseits war es mir wichtig, dass, wenn ich meine Geschichte erzähle, ich es selbst tue und sie nicht in die Hände eines Journalisten oder einer Talkshowmoderatorin lege. Andererseits war klar: Wenn ich mit all diesen Themen, die mich verletzlich machen, an die Öffentlichkeit gehe, möchte ich nicht nur einen kleinen Ausschnitt erzählen, sondern alles. Der Grund, warum ich mich jetzt dazu entschieden habe, all das zu teilen, ist, dass mir in den letzten anderthalb Jahren während unzähliger Termine bewusst geworden ist, dass Menschen ein gewisses Bild von mir und der Glitzer- und Glamourwelt haben. Eines, das nicht der Wahrheit entspricht. Mit diesem Buch möchte ich echte Einblicke in eine Welt geben, die oft nur von ihrer besten Seite gezeigt wird und dadurch ungesunde Ideale und Ansprüche nährt. Mir geht es um mehr Authentizität zwischen all der Oberflächlichkeit, die einem bei Social Media sowie der Unterhaltungsbranche entgegenschlägt.
Sie sprechen davon, wie Sie unter anderem falsche Schönheitsideale bei Social Media in eine Essstörung getrieben haben. Wie kam es dazu?
Das, was wir täglich konsumieren und sehen, entspricht oft nicht der Realität. Körper, Familien, Wohnungen, und sogar Essen werden nachbearbeitet, optimiert und mit Unmengen an Filtern versehen, um die perfekte Version von all dem zu präsentieren. Nur, dass man das als Endverbraucher eben meistens nicht sieht, geschweige denn weiß! Mir hat es sehr geholfen und in manchen Situationen auch die Augen geöffnet, mal hinter die Kulissen dieser Welt zu schauen! Denn diese perfekt inszenierte Welt beeinflusst einen am Ende oft mehr, als es einem bewusst ist. Diese Ideale können mit der Zeit auch zu unrealistischen Erwartungen und tiefer Unzufriedenheit führen, wie ich es selbst an meinem Körper erfahren habe. In meinem Buch teile ich solche Erlebnisse und spreche offen über Herausforderungen in der Hoffnung, dass es auch anderen Menschen hilft und die Augen öffnet.
Wie sieht für Sie ein gesunder Umgang mit Social Media aus?
Für mich war damals der erste Schritt, mein Problem zu erkennen und zu akzeptieren. Das mit Social Media und auch das mit meinem Körper. Der zweite war, mich anderen anzuvertrauen und nicht alleine zu kämpfen. Und der dritte Schritt sind gesunde Grenzen und Hürden, die man sich im Alltag setzt. Bei meinem Social-Media-Konsum habe ich angefangen, einmal im Monat alle Accounts und Influencer auszusortieren, die mir mit ihren Inhalten nicht guttun oder Neid und Unzufriedenheit auslösen. Wieso sollte jemand, der nur negative Emotionen in mir auslöst, Platz in meinem Leben haben? Im analogen Leben würde ich schließlich auch keine Zeit mit ihnen verbringen. Deswegen folge ich heute bewusst Menschen, die authentisch sind und echte Körper teilen und durfte dadurch in den letzten Jahren merken, wie meine Seele immer mehr heilt. Außerdem habe ich mir angeeignet, die letzte halbe Stunde vor dem Schlafengehen zu lesen und nicht am Handy zu hängen und das möchte ich mittlerweile nicht mehr missen!
Sie schreiben, die Art, wie wir heute mit Schönheit umgehen, würde nicht würdigen, wie Gott sich das gedacht hat. Was meinen Sie damit?
Erstens finde ich unsere Sicht auf Schönheit zu begrenzt. Für mich ist Schönheit mehr als ein rein körperlicher Aspekt. Ich finde Menschen schön, die eine positive Einstellung und einen optimistischen Blick auf das Leben haben. Menschen, die empathisch und humorvoll sind. Menschen, die Leidenschaft in sich tragen und liebevoll mit ihren Mitmenschen umgehen. Diese Eigenschaften, diese Wärme, diese Ausstrahlung ist es, die einen Menschen für mich wirklich schön macht!
Zweitens nehme ich das, was in der Bibel steht, ernst. Nach jedem Tag der Schöpfung schaut Gott zurück und sagt „Es ist gut geworden“. Er schaut auf den ganzen Menschen, nicht nur auf seinen Körper und sagt „Es ist gut geworden“. Er schaut in die Natur, auf die Vielfalt und sagt: „Es ist gut geworden“! Aber mit unserer Sicht auf Schönheit, die Menschen lediglich auf Aussehen, Herkunft oder Hautfarbe reduziert und dann noch eine Norm glorifiziert, die auf den Großteil der Frauen und Männer gar nicht zutrifft, geht meiner Meinung nach viel von Gottes Schönheit verloren. Für mich ist ganz klar: Gott hat jeden Menschen ganz bewusst gewollt und schön geschaffen. Er schaut auf jeden und sagt: „Du bist gut geworden“. Aber das macht die Modeindustrie und auch die Unterhaltungsbranche nicht und nährt damit wieder den „Parasiten“ in unserem Kopf, der uns zuflüstert, wie ein „schöner“ Körper auszusehen hat, obwohl der Körper, der bereits besteht, schön ist.
Sängerin Taylor Swift hat unter Jugendlichen eine krasse Bewegung ausgelöst. Darüber schreiben wir auch in dieser Ausgabe. Ihre Fans, die „Swifties“, vergöttern sie geradezu. Sehen Sie darin auch eine Suche nach Halt oder Sinn?
Auf jeden Fall. Aber die Suche nach Halt findet eher weniger in ihr als Persönlichkeit, sondern vielmehr in den Texten, die sie schreibt, statt. Jedes ihrer Alben läuft unter einem eigenen Thema, mit dem sich sicherlich einige identifizieren. Sie drehen sich um Herzschmerz, Beziehungen, den jugendlichen Leichtsinn, Verzweiflung, aber auch Wut und Rache. Und genau das ist vermutlich auch ihr USP (Unique Selling Point, Anm. d. Red.), sie hat für jede Gefühlslage, jedes Thema oder Lebenssituation ein Lied oder Album, das Halt spendet und mit dem man sich identifizieren kann. Für genau das wird sie auch als Person des öffentlichen Lebens gefeiert. Sie schweißt Menschen durch ihre Lieder und Themen zusammen und ihre Fans haben das Gefühl, von ihr verstanden zu werden. Ich bin keiner und trotzdem kann ich verstehen, dass es schön ist, ein „Swiftie“ zu sein, denn es bedeutet, Teil einer sich gegenseitig schätzenden Community zu werden.
Sehen Sie sich als Influencerin?
Um ehrlich zu sein, habe ich mich lange vor dem Begriff „Influencerin“ gesträubt. Ich hatte nie vor, im digitalen Bereich zu arbeiten, aber diese Aufgabe war über Nacht plötzlich Teil meiner Arbeit als Miss Germany. Ich hatte also eigentlich keine andere Wahl. Im Buch beschreibe ich meinen Kampf mit dieser Plattform, die erste gefloppte Kooperation, mein Umgang mit einem Shitstorm in den beiden Social-Media-Kapiteln und vieles mehr ausführlicher. Grundsätzlich ist mir mit der Zeit aber bewusst geworden, was für ein Segen Social Media sein kann. Heute komme ich immer noch ab und zu an meine Grenzen! Aber ich habe viel mehr Freude an dieser Arbeit als zu Beginn. Mein Ziel ist es mittlerweile, die Inhalte zu produzieren, die mir früher gutgetan hätten. Ich zeige echtes Leben und echte Körper, spreche über Themen, die mich bewegen, wie zum Beispiel gesunde Freundschaften, Beziehungen oder auch Gefahren von Alkoholkonsum, und versuche es selbst ein bisschen zu genießen. Also ja, irgendwo und irgendwie bin ich wohl eine Influencerin und auch wenn sich da manchmal immer noch etwas in mir sträubt, kann ich mittlerweile auch Freude daran finden.
Vielen Dank für das Gespräch!