Filmkritik

Glauben, Morden, Abschlachten

Mormonen spielten in der frühen Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika eine große Rolle. Eine neue Netflix-Serie zeigt: Heilige waren die Angehörigen der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ aber wohl keineswegs.
Von Jörn Schumacher
Netflix-Serie „American Primeval“

Die Zeit der romantischen Western sind endgültig vorbei. Es gibt keine Revolverhelden mehr, die abends am Lagerfeuer sitzen und die Freiheit genießen oder die Friedenspfeife mit dem einen oder anderen friedliebenden Indianer rauchen. „American Primeval“ heißt die sechsteilige Serie, die seit Januar bei Netflix läuft, die endgültig Schluss macht mit jenem Bild von der Gründung der USA, das von Blutsbruderschaft à la Old Shatterhand und Winnetou und schöner Landschaft geprägt ist.

„American Primeval“, was so viel wie „Amerikanische Urzeit“ heißt, zeigt uns eine menschenfeindliche, ständig vereiste Umgebung, aber vor allem ihre zutiefst brutale Gesellschaft, die begierig ist, sich dieses Land untertan zu machen. Die US-Armee bekämpft die Indianer, die Indianer schlachten die Weißen ab, die Siedler bekriegen sich gegenseitig für ein bisschen Land oder ein paar Stiefel. Und mitten drin: die Mormonen, die Mitglieder der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“. Doch diese Gläubigen sind hier keineswegs besser, im Gegenteil, sie sind die Schlimmsten von allen.

Mormonen als die Terroristen des frühen Amerika

Im Zentrum des Geschehens dieser Serie steht ein Massaker, bei dem eine mormonische Miliz im September 1857 in Utah mit verbündeten Indigenen vom Paiute-Stamm etwa 120 Siedler abschlachteten. Rücksichtlos wollten die Mormonen damals alles verfügbare Land aufkaufen und zur Not auch erkämpfen. Blutig, brutal und so gar nicht fromm. Der Anführer, Brigham Young, war zufällig auch Gouverneur des neuen Utah-Territoriums. Beim sogenannten „Utah-Krieg“ kämpften die Mormonen und die US-Regierung zwischen 1857 und 1858 gegeneinander. US-Präsident James Buchanan wollte die Vielehe abschaffen, außerdem ging er davon aus, dass die Mormonen auf amerikanischem Boden einen eigenen Staat gründen wollten – nicht ganz unbegründet.

Brigham Young entwickelte sich zu einem fanatischen Anführer, der seine politische Macht für seine religiösen Ziele gnadenlos ausnutzte. In der Serie ist er entsprechend als geradezu diabolischer fanatisch irregeleiteter Despot zu sehen, der im Dienste seiner Religion bereit ist, wirklich jede Brutalität anzuwenden. Er will Utah zum Gottesstaat machen und am liebsten danach ganz Amerika, in seinen Augen das verheißene „Zion“. US-Präsident Buchanan setzte ihn zwar als Gouverneur ab, doch das interessiert den wenig. Die US-Armee soll ihn und den Gotteswahn seiner Miliz stoppen, die gemeinsam mit verbündeten Indianerstämmen Siedlungen und Forts blutig erobert. Die Mormonen werden in „American Primeval“ dargestellt als ein Haufen fanatischer Guerillakämpfer.

Brutaler Anti-Western

Ihr Anführer Young pendelt ständig zwischen seinen kirchlichen Aufgaben, wie Predigtvorbereitungen, und dem Bedrohen und Töten von Menschen, die das amerikanische Land durchaus nicht als Mormonen-Land betrachten mögen. Der Glaube der Mormonen, die sich untereinander nur mit „Bruder“ und „Schwester“ anreden, kommt in dieser Serie ansonsten nicht detaillierter zur Sprache; besonders hervorgehoben wird regelmäßig die Tatsache, dass bei ihnen Männer mehrere Frauen haben dürfen. Ein Umstand, der unter den unflätigen und schmutzigen Männern ganz besonders auffällt und bei jeder Gelegenheit mit lüsternen Witzen aufs Tapet gebracht werden muss. Frauen werden hier allgemein ohnehin nur als Ware gesehen, die man stehlen, vergewaltigen oder weiterverkaufen kann.

Dieser „Anti-Western“ ist brutal, ständig schnellen überraschend Pfeile durch die Luft, um in allen denkbaren Körperteilen zu landen, Menschen werden skalpiert und zerhackt, wenn sie nicht gerade freudlos durch knöcheltiefen Schlamm der „Forts“ stapfen – Betrachten Sie also diese Rezension als Service, als Gefallen an den Leser, dass er sich die Serie nicht selbst antun muss.

Wer einen starken Magen hat und Geschmack findet an durchaus realistisch dargestelltem Gemetzel, der darf hier desillusioniert werden in Bezug auf die amerikanische Geschichte. Eines steht am Ende fest: Die Geburtsstunde der USA war vielleicht tatsächlich weitaus unromantischer, dafür aber stinkender, blutiger und vor allem unchristlicher, als man es sich zuvor vorgestellt haben mag. Und die Mormonen, sie hatten offenbar durchaus mehr im Sinn, als im Buch Mormon zu lesen und Gottes Wort zu folgen.

„American Primeval“, sechs Folgen, seit seit 9. Januar bei Netflix, Regie: Peter Berg, Drehbuch: Mark L. Smith, ab 16 Jahre

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