Gesundheitsausschuss: Kirchen üben Kritik an Widerspruchslösung bei Organspende

Experten aus Kirche und Ethik haben in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses Kritik an der Widerspruchslösung bei Organspende geübt. Einig waren sich die Fachleute dennoch: Es braucht mehr Spenden.
Von Anna Lutz
Wie stark darf der Glaube die Arbeit von Ärzten beeinflussen?

Nach dem Vorstoß von Abgeordneten verschiedener Fraktionen zu einer Neuregelung der Organspende in Deutschland war ein Gesetzesentwurf zur sogenannten Widerspruchslösung am Mittwoch Thema im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. 

Der Entwurf stammt unter anderem von Karl Lauterbach (SPD) und Jens Spahn (CDU). Das mögliche Gesetz sieht vor, dass jeder, der seinen Willen zur Organspende nicht zeit seines Lebens schriftlich erklärt hat, automatisch zur Organspende vorgesehen wird. Grundlegend dafür sollen Informationen aus dem Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende sein. „Hat die Auskunft aus dem Register ergeben, dass die mögliche Spenderin oder der mögliche Spender dort keine Erklärung registriert hat und liegt der Ärztin oder dem Arzt auch kein schriftlicher Widerspruch der möglichen Spenderin oder des möglichen Spenders vor und ist im Gespräch mit den Angehörigen auch diesen kein entgegenstehender Wille bekannt, ist eine Organ- oder Gewebeentnahme zulässig“, heißt es in dem Entwurf. Ausdrücklich nicht entscheidungsberechtigt sind Angehörige volljähriger Verstorbener. 

Was ist mit Menschen mit Behinderung?

Kritik an dem Entwurf kam unter anderem aus der evangelischen Kirche. Die geladene Sachverständige Prälatin Anne Gidion, Politikbeauftragte ihrer Kirche, erklärte, Religionsgemeinschaften ermutigten zur Organspende. Dennoch sei eine Zustimmung jedes Einzelnen dazu wichtig. Gidion stellte infrage, ob das Gesetz vulnerable Gruppen wie Menschen mit Behinderung oder geringer Bildung sowie geringem Zugang zu Digitalität und Informationen ausreichend schütze.

Ebenfalls als Sachverständiger geladen war der Professor für Systematische Theologie, Peter Dabrock. Auch er gab sich zurückhaltend, was die Einführung einer Widerspruchslösung angeht. 

Schweigen könne in Fragen der Selbstbestimmung keine Zustimmung bedeuten. Das widerspreche dem Prinzip der Freiwilligkeit. Dabrock warnte vor einer aus der Regelung entstehenden „verpflichtenden Abgabeerwartung“ Stattdessen wünschte er sich eine umfassendere Infrastruktur zur Organspende in Krankenhäusern und verwies auf positive Beispiele im Ausland. „Da müssen wir ansetzen.“ 

Erhöhung der Spenderzahl fraglich

Kevin Schulte, Klinikdirektor am Universitätsklinikum in Kiel, stimmte überein. Niemand könne wissen, ob die Einführung zu einer Erhöhung der Spenderzahlen führen würde. Unterschiede i n den Zahlen seien schon im Vergleich deutscher Unikliniken erkennbar, abhängig vom Engagement der Mitarbeiter in dem Bereich.

Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg kritisierte, die Widerspruchslösung baue darauf, dass es Personen geben werde, die sich nicht äußern und so zum Organspender würden. Selbst die Pflicht, sich mit dem eigenen Tod zu befassen, sei verfassungsrechtlich heikel. Dem widersprach sein Fachkollege Josef Franz Lindner. Die Widerspruchslösung sei gerechtfertigt, weil eine Mangelsituation vorliege. Zudem werde niemand gezwungen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, man müsse nichts tun, außer vorsorglich Widerspruch einzulegen.

Einig waren sich die Experten bei der Feststellung einer dramatischen Mangelsituation in Deutschland, auch im internationalen Vergleich. Auf 8.500 Personen auf der Warteliste für ein Organ kamen im Jahr 2024 953 Spender. Während in Spanien etwa 50 postmortale Organspender auf eine Million Einwohner kommen, sind es in Deutschland rund 11,5.

Wann die Neuregelung der Organspende wieder Thema im Deutschen Bundestag wird, steht derweil nicht fest. Eine Debatte dazu hab es bereits im Dezember. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Organspende dort verhandelt wird. Bereits 2020 strebte eine Gruppe um Jens Spahn die Widerspruchslösung an. Das lehnte der Bundestag mit 379 zu 292 Stimmen und drei Enthaltungen ab. Nun könnte über das Thema noch vor Ende der Legislatur im Februar erneut abgestimmt werden. 

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