Am 23. Juni dieses Jahres enthüllte die armenische Wochenzeitung Agos in Istanbul die Enteignung von 50 kirchlichen Liegenschaften im Raum Mardin im Südosten der Türkei. Zu den konfiszierten Kirchengütern gehören einerseits verlassene Kirchengebäude, Klöster, Monumente, umfangreiche Ländereien, aber auch teilweise noch in Gebrauch befindliche Dorffriedhöfe und zwei aktive Klöster. Die Objekte wurden erst der Staatskasse einverleibt. Dann überschrieben die türkischen Behörden die Ländereien an Kommunen und die Gotteshäuser an das staatliche Religionsamt Diyanet. Dieses Amt reguliert alle sunnitisch-muslimischen Einrichtungen der Türkei, hat jedoch keine Befugnisse über die nicht-muslimischen Minderheiten. Bereits drei Jahre zuvor, am 12. August 2014, hatte das Provinzgericht in Mardin die Überschreibung beschlossen. Die Mardiner Stadtverwaltung rechtfertigt die Vorgänge durch eine Kommunalreform, bei der auch angeblich verwaiste Liegenschaften beschlagnahmt wurden.
Die drei betroffenen aramäischen Kirchengemeinschaften informierte indes niemand über die Enteignung. Doch die Enthüllungen der Zeitung Agos, die umgehenden Proteste der Kirchen und das große Medienecho im Ausland haben dazu geführt, dass die Übertragung der Gebäude an das Religionsamt bereits am 3. Juli 2017 annulliert wurde. Die Kirchen bekamen die enteigneten Güter allerdings nicht zurück. Dazu hätte es einer Gesetzesänderung bedurft. Stattdessen flossen die Güter wieder an die Staatskasse. Auf eine erneute Petition der Kirchen hat die Regierung in Ankara bis zum Abschluss der Recherchen für diesen Artikel nicht geantwortet. Möglicherweise spielt die türkische Regierung auf Zeit. Denn wenn der Staat weiterhin nicht handelt, müssten die Kirchen für jedes einzelne Objekt ein kostspieliges und langwieriges Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang anstrengen.
In der benachbarten und hauptsächlich von Kurden bewohnten Provinzstadt Diyarbakir beschlagnahmte der Staat im März 2016 alle sechs christlichen Kirchen per Kabinettsbeschluss. Die Kirchen liegen in einem Altstadtviertel, das durch Kämpfe stark beschädigt ist und deswegen zum Sperrgebiet erklärt wurde. Tausende von Gebäuden zog die türkische Regierung ein, angeblich, um die Altstadt „neu zu entwickeln“.
Unter den Gebäuden befindet sich die größte armenische Kathedrale im Mittleren Osten, die Armenisch-Apostolische Kirche Surp Giragos. Erst 2011 hatte die armenische Diaspora dafür gesorgt, dass die Kathedrale renoviert und nach jahrzehntelanger Schließung wiedereröffnet werden konnte. Diese Kirche ist daher von hoher symbolischer Bedeutung für die schwindende armenische Minderheit. Der Staatsrat setzte die Enteignung im April 2017 zwar aus, die Sperrung der Kirche hob er aber nicht auf. Am 1. September veröffentlichte die Zeitung Agos Bilder, die im Juli heimlich aufgenommen worden waren und die Kathedrale verwüstet und entweiht zeigen.
Bebauungsplan in Istanbul bedroht Kirchen
Im September bekannt gewordene Bebauungspläne der Stadt Istanbul, nach denen sich die Bevölkerungszahl der Prinzeninseln vor der Stadt verfünffachen soll, riefen jüngst Proteste hervor, berichtete die Katholische Nachrichtenagentur (KNA). Wo neue Straßen und Wohnblöcken gebaut werden sollen, stehen aktuell auch denkmalgeschützte Kirchen, Klöster und Synagogen. Wie nirgends sonst in der Türkei sind auf den Prinzeninseln verschiedene christliche Minderheitsgruppen und Juden vertreten. Die Inseln gelten als letztes Relikt der alten, multireligiösen und -kulturellen Türkei. Auf einer der Inseln, Chalki, liegt auch die seit 1971 vom Staat geschlossene griechisch-orthodoxe Theologische Hochschule, die ihren Betrieb noch nicht wieder aufnehmen durfte. Ob es je dazu kommt, wenn die Bebauungspläne umgesetzt werden, erscheint laut KNA höchst zweifelhaft. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte bislang die Wiedereröffnung von Konzessionen Griechenlands gegenüber den dortigen türkischen Muslimen abhängig gemacht. Der griechische Staat hat dieses Jahr eine Moschee in Athen finanziert und eröffnet.
Hoffnungsschimmer durch EU-Beitrittsverhandlungen
Diese drei Beispiele zeigen, dass Enteignungen christlicher Minderheiten in der Türkei programmatisch sind. Ein Blick in die Historie des Landes verdeutlicht, dass dieses Muster einer traurigen Tradition folgt: Bereits im Zuge des Völkermordes an den Armeniern in Anatolien enteigneten die Machthaber ab 1915 systematisch Minderheiten. Das konfiszierte Eigentum der ungefähr 1,5 Millionen Opfer aus nicht-muslimischen Volksgruppen, zu denen vor allem die Armenier, aber auch Griechen, andere christliche Minderheiten wie die Aramäer, und Juden gehörten, ermöglichte die Gründung der türkischen Republik erst, denn es stellte deren wirtschaftliche Grundlage dar. Großangelegte Enteignungswellen nicht-muslimischer Eigentümer wiederholten sich unter verschiedenen Vorwänden periodisch im 20. Jahrhundert.
Manche Hoffnungsschimmer weckten Gespräche der türkischen Regierung mit den christlichen Minderheiten seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. So versprach der damalige Minister- und heutige Staatspräsident Erdogan den anerkannten religiösen Minderheiten, ihnen ihren seit 1936 weggenommenen Besitz zurückzugeben, und unterzeichnete zuletzt 2011 ein entsprechendes Dekret. Doch die Hoffnungen erfüllen sich, wenn überhaupt, nur schleppend: Zum einen bekommen nur wenige Religionsgemeinschaften ihren Besitz zurück. Darunter keine westlichen, also nicht-orthodoxen, Kirchen. Zum anderen sollte ohnehin nur ein geringer Teil des einstigen Kirchenbesitzes zurückgegeben werden. Die bürokratischen Hürden sind enorm.
Muslime bevorzugt
Sema Kiliçer von der Menschenrechtsdelegation der EU für die Türkei und Mine Yildirim von der Religionsfreiheitsinitiative des Norwegischen Helsinki Komitees beklagen in einer Publikation der Konferenz Europäischer Kirchen, dass religiöse Minderheiten in der Türkei gegenüber der muslimischen Bevölkerungsmehrheit systematisch benachteiligt werden. Ein Beispiel: Seit 2004 gibt es die Möglichkeit, in gleicher Weise wie für Moscheen auch für andere Gottesdienststätten eine Baugenehmigung zu beantragen. Allerdings haben die Kommunen bislang fast ausnahmslos auf dem Verwaltungsweg entsprechende Bauvorhaben boykottiert.
Verwaltungsvorschriften, unzureichende Rechtsbestimmungen und uneinheitliche Umsetzung an der Basis verhindern Religionsfreiheit. Daher fordern die Betroffenen anstelle des existierenden Stückwerks von Einzelreformen eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller Bürger und eine religiöse Neutralität des Staates.
Christen in der Türkei sind nicht als einzige mit derartigen Problemen als Minderheit in einem mehrheitlich muslimischen Land konfrontiert. Ähnliche Situationen bestimmen das Leben der Christen im Sudan, im Iran, in Ägypten und in weiten Teilen Nordafrikas und der arabischen Halbinsel. Die systematische Zerstörung von Kirchen durch den IS im Irak und in Syrien hatte zum Ziel, selbst die Spuren der vertriebenen religiösen Minderheiten auszulöschen.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 5/2017 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441-915-151, per E-Mail an info@kep.de oder online.