Kaum im Amt als Premierminister, hatte Abiy Ahmed damals den seit Jahren anhaltenden Krieg mit dem Nachbarn Eritrea beendet. 2019 bekam er dafür den Friedensnobelpreis. Es lohnt sich, in seiner Rede nachzulesen: „Ich habe die Hässlichkeit des Krieges aus erster Hand miterlebt. Krieg ist für alle Beteiligten der Inbegriff der Hölle. Ich weiß das, weil ich dort war und zurückgekommen bin.“
Nun wurde unter seinem Kommando in den letzten Wochen die nördliche Region Tigray bombardiert. Über 100.000 Menschen sind in den Sudan geflüchtet. Das Gebiet ist nach wie vor abgesperrt, es scheinen auf allen Seiten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden zu sein. Die politischen Folgen für die gesamte Region sind unabsehbar, nicht nur Eritrea ist stark involviert. Es droht ein endloser Guerillakrieg.
Sowohl das Nobelpreiskomitee als auch die internationale Gemeinschaft sind schockiert. Wie wohltuend waren vor über einem Jahr die Nachrichten vom Frieden mit Eritrea, von der Aussöhnung mit den Rebellengruppen der Oromo, von der Freilassung Tausender Gefangener, von der Heimkehr vieler aus der Diaspora. Nun rätseln alle über die Motive der Zentralregierung, mit militärischer Gewalt die Lösung für die ethnischen Spannungen in dem Vielvölkerstaat zu suchen.
War die Entmachtung der Kader der regionalen Regierungspartei Tigray People’s Liberation Front (TPLF), die das Land über Jahrzehnte beherrscht hatten, nach Abiys Wahl vor knapp drei Jahren nicht erfolgreich? Tigray hatte als einzige Region entgegen seiner Anweisung Wahlen abgehalten, währenddessen die Zentralregierung diese wegen der Pandemie auf unbestimmte Zeit aussetzen ließ. Seitdem ist sie nicht mehr demokratisch legitimiert, ein klarer Verfassungsbruch.
Die Bevölkerung leidet unter dem Konflikt
Es gibt andererseits viele Stimmen in Äthiopien, die die zunehmenden Anschläge, Morde und ethnischen Vertreibungen in den letzten zwei Jahren mit dem bewussten Versuch der tigrayischen Eliten erklären, das riesengroße Land zu destabilisieren, um wieder an Macht und Einfluss zu kommen. Die Tigray hatten in den letzten 25 Jahren einen ethnischen Föderalismus etabliert, der die neun Regionen des Landes entlang der Bevölkerungsgruppen einteilte, sie selbst aber an die Spitze stellte. Nun stehen sich im Land zwei politische Systeme gegenüber: eine starke Zentralregierung gegen autarke ethnische Regionen wie die in Tigray oder anderswo.
So wird dem Lastwagenfahrer aus Oromia, der in der Hauptstadt seine Waren abliefern möchte, von dem jungen Polizisten am Kontrollpunkt bedeutet, dass sein Führerschein aus dem Süden ab der Stadtgrenze nicht mehr gilt. Die Gefahr wächst bedrohlich, dass das Land auseinanderfliegt und sich die ethnischen Konflikte vielerorts verstärken. Im Westen Äthiopiens gibt es einen nicht erklärten Krieg von Regierungstruppen gegen die Oromo Liberation Front und weitere Rebellen, die ihre Waffen nach ihrer Rückkehr aus dem Exil nicht abgegeben haben.
Die Mitglieder der Partnerkirche des Berliner Missionswerks Mekane Yesus stehen oft zwischen den Fronten. Die Bevölkerung leidet, Ernten können nicht eingeholt werden, Zivilisten werden vertrieben oder massakriert. Der Interreligiöse Rat von Äthiopien fleht in seinem Aufruf um Mäßigung: „Wir möchten euch alle auffordern, euren Einfluss geltend zu machen und dabei zu helfen, dass der gewaltsame Konflikt zwischen Brüdern nicht eskaliert!“ Die Mekane-Yesus-Kirche hat sich in diesem Krieg nicht positioniert. Zu Beginn seines Amtsantritts hatte sie sich klar auf Abiy Ahmeds Seite gestellt. Aber einen Krieg der Regierungstruppen gegen eine autonome Region kann sie nicht gutheißen. Er könnte auch sie selbst, in deren Leitung Oromo dominieren, als Nächste treffen.
Es ist umso bewundernswerter, wie unsere Partner auch in diesem Jahr unverdrossen versucht haben, ihre Projekte weiterzutreiben. So konnten mehr junge Frauen als je zuvor ihr Theologiestudium abschließen. Sowohl in Dembi Dollo im Westen als auch in Arba Minch im Süden schaffen die Hostienbackmaschinen, die das Berliner Missionswerk gemeinsam mit der Evangelischen Landeskirche Anhalts gesponsert hatte, durch den Verkauf der Hostien nun eigenes Einkommen. Die kleinen Gemeinden auf dem Land versuchen, der militärischen Gewalt zu trotzen. Die Gemeinde in Zieko an der Elbe unterstützte sie vor Weihnachten, indem sie wie jedes Jahr gerade wieder hundert leckere Stollen im alten Backofen im Pfarrgarten gebacken hat.
Der Beitrag ist zuerst erschienen in der Mitteldeutschen Kirchenenzeitung Glaube + Heimat, Nr. 50/2020, meine-kirchenzeitung.de