Syrien: Eine Krise folgt der anderen

Während die Menschen im Bürgerkriegsland Syrien mit den Folgend es Krieges kämpfen, trifft sie die Corona-Pandemie hart. Ein kürzlich verhängtes US-Embargo behindert den Wiederaufbau des Landes zusätzlich und hat auch Auswirkungen auf den krisengebeutelten Nachbarn Libanon. Die Christen in Syrien versuchen ihr Bestes, um mit der Situation gut umzugehen. Ein Gastbeitrag von Lukas Reineck
Von PRO
Im Innenhof der armenisch-evangelischen Bethel-Gemeinde in Aleppo werden Hygienemaßnahmen zum Schutz vor dem Virus erklärt

Seit Anfang Juli hat Syrien eine neue alte Regierung. Die Baath-Partei des Präsidenten Baschar al-Assad sitzt, nach wie vor den Wahlen, fest im Sattel. Die Opposition erklärte die Parlamentswahlen für „ein Theater“, denn selbst die Kandidaten der Opposition habe die Assad-Regierung bestimmt, wie es in einem Bericht der Deutschen Welle heißt. Eine Wahl mit unklarem Ausgang, wie man es in einer Demokratie erwartet: Fehlanzeige. Voraussichtlich sind 2021 Präsidentschaftswahlen in Syrien, auch da ist das Ergebnis schon abzusehen: „Ich vermute, dass Präsident Assad im nächsten Jahr wieder Präsident sein wird“, sagt Pfarrer Harout Selimian, Präsident der Armenisch-Evangelischen Kirche in Syrien.

Für den Westen war Präsident Baschar al-Assad einstiger Hoffnungsträger auf ein neues Syrien. Die Presse sprach damals vom „Damaszener Frühling“. Nach dem Tod seines Vaters Hafiz al-Assad hoffte man auf eine Öffnung und Liberalisierung der syrischen Gesellschaft durch den jungen Baschar, der in London studierte und eigentlich Augenarzt werden wollte. Doch durch den plötzlichen Tod seines Bruders Basil al-Assad wurde Baschar al-Assad unerwartet Präsident Syriens. Das ist jetzt 20 Jahre her.

Das Land bleibt am Boden

Nach neun Jahren Bürgerkrieg, einer hohen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise ist das syrische Pfund kaum noch etwas wert. Im Norden Syriens, in der umkämpften Region um Idlib, ist mittlerweile die türkische Lira von der Bevölkerung als Zahlungsmittel akzeptiert. Durch die Corona-Pandemie und ein jüngst von der USA verhängtes Embargo steht es nicht gut um Syriens Zukunft.

Das Embargo, der Syria Civilian Protection Act, wird auch Caesar-Act genannt, nach dem Codenamen eines desertierten syrischen Militärfotografen. Es soll die Assad-Familie sowie vermögende, Regime-nahe Syrer daran hindern, mit ausländischen Partnern Geschäfte zu machen. Die Regierung in Washington kann nun russische und iranische Aktionen zur militärischen Stärkung Syriens sanktionieren. Dazu gehören auch Militäraktionen der libanesischen Hisbollah, die mit dem Iran einen wichtigen Geldgeber hat und im syrischen Bürgerkrieg das Assad-Regime unterstützte. Reisebeschränkungen und die wirtschaftliche Isolation der Führungselite Syriens sind das Ziel des Embargos. Ein Wiederaufbau Syriens im Sinne Assads soll dadurch verhindert werden, so die Vorstellung der USA. Treffen wird dieses Embargo aber vor allem die einfachen Bürger Syriens, denn so bleibt das Land wirtschaftlich am Boden.

„Vom US-amerikanischen Kongress fordern die Christen vor allem einen konstruktiven Ansatz. Was Syrien jetzt braucht, ist der Wiederaufbau von Häusern, Schulen, Krankenhäusern und Straßen. Der Wiederaufbau eines stabilen Syriens ist das beste, was der Region passieren kann“, sagt Pfarrer Harout Selimian. Unmittelbar wird das Embargo auch Syriens Nachbarland Libanon treffen, das jüngst von einer schweren Explosion in Beirut erschüttert wurde. Der Libanon ist auf Heizölimporte aus Syrien angewiesen, da er eine durchgängige Stromversorgung selbst nicht garantieren kann. Gegenwärtig durchlebt der Libanon die schwerste Wirtschaftskrise seit seiner Staatsgründung 1943. Dadurch sind die Lebensmittelpreise im Land in die Höhe geschnellt, sodass Menschen vermehrt Hunger leiden. Ein Großteil des Güterverkehres für Syrien geht durch den Libanon. Viele christliche Organisationen und Kirchen mit Ablegern in Syrien haben ihre Zentralen in der Hauptstadt Beirut und schicken von dort aus Geld für kirchliche Projekte nach Syrien. Das wird durch das Embargo in Zukunft noch schwieriger.

Kaum Perspektiven

Das Coronavirus erreichte Syrien offiziell im April. In Aleppo ordnete der Bürgermeister an, ganze Straßenzüge samt Mülleimer zu desinfizieren. Öffentliche Verkehrsmittel, wie Busse, aber auch Schulen und Kirchengebäude wurden von außen desinfiziert. Über WhatsApp-Gruppen wurden Menschen über die wichtigsten Präventionsmaßnahmen, wie Schutzmasken und Handschuhe tragen, aufgeklärt. „Wir weisen unsere Leute an, vorsichtig zu sein, die Pandemie nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und den nationalen Vorschriften zur Prävention Folge zu leisten”, berichtet Pfarrer Selimian.

Die armenisch-evangelische Kirche in Aleppo bekommt eine Desinfektions-Dusche Foto: Christlicher Hilfsbund im Orient
Die armenisch-evangelische Kirche in Aleppo bekommt eine Desinfektions-Dusche

Mehr als drei Monate gab es in Syrien keine Gottesdienste. Teilweise wurden Liturgien online gefeiert. Taufen und Hochzeiten durften nur im engsten Familienkreis gefeiert werden. Die von der Regierung verhängte Ausgangssperre verunsicherte die Menschen. „Lokale, Kinos und andere Ausgeh-Möglichkeiten wurden geschlossen. In den Supermärkten erlebt man hin und wieder Panikkäufe. Man sieht den Menschen an, dass sie Angst haben“, berichtet Jany Haddad, ein Arzt aus Aleppo.

Die Covid-19-Pandemie stellt die Menschen in Syrien nicht nur vor finanzielle Herausforderungen, sondern hat auch psychologische Folgen. „Familien wurden einander entfremdet. Viele der Beziehungen innerhalb von Familien veränderten sich zum Schlechten hin. Die Trink- und Rauchgewohnheiten haben sich verändert; leider auch bei Jugendlichen. Die Brotverdiener sitzen häufiger zu Hause und haben ihren Job verloren. Eine Perspektive auf eine neue Arbeitsstelle gibt es kaum“, klagt ein Geistlicher der chaldäischen Kirche.

Momentan sind Universitäten, Schulen, Geschäfte und öffentliche Plätze in Syrien wieder geöffnet. Kirchen verteilen die so dringend benötigten Hygieneartikel wie Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel. Von staatlicher Seite kommt wenig Unterstützung. In ganz Syrien können zurzeit fünf Labore auf Covid-19 testen. In allen Regierungsbezirken gibt es insgesamt 33 Quarantäne-Zentren. Davon ausgenommen ist Idlib.

Offiziellen Angaben zufolge wurden in Syrien bislang rund 1.000 Infizierte registriert. Pfarrer Selimian geht davon aus, dass es tatsächlich weit mehr sind. „Die Menschen haben Panik, weil die Anzahl der Krankenhäuser auch schon vor Corona nicht annähernd ausreichte, um die Menschen in Syrien zu versorgen“, sagt er. Ein Großteil der syrischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Nach neun Jahren brutalem Bürgerkrieg nun auch noch Corona. Der Weg hin zu stabilen Verhältnissen scheint immer länger und schwerer zu werden.

Lukas Reineck arbeitet für die Hilfsorganisation „Christlicher Hilfsbund im Orient e.V.“

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