Ein Visum für die Einreise nach China zu bekommen, war schon immer kompliziert. Mittlerweile ist es zu einem regelrechten bürokratischen Hürdenlauf geworden, für den viele sogar professionelle Hilfe brauchen. Dennoch haben es tatsächlich alle 25 Personen unserer Reisegruppe geschafft, ihr Visum für China rechtzeitig zu erhalten. Südchina war unser Ziel, Gegenden mit beeindruckenden Landschaften, bizarren Gebirgen, mit Megastädten und der Insel Hainan im Südchinesischen Meer, dem chinesischen Hawaii. Doch unser besonderes Interesse galt den Christen im Land. Wir besuchten Gottesdienste und CVJM-Gruppen, hatten Gespräche mit Pastoren, Lehrern und engagierten Christen.
Weil wir auch ungewöhnliche Begegnungen hatten, nenne ich hier keine Namen und Orte – das hat mit dem Kontrollwahn der Kommunistischen Partei zu tun. Die neuen Ausführungen vom Februar 2018 zu einem längst bestehenden Gesetz wollen die Kontrolle und die Unterordnung der Kirche unter die Partei zementieren. Waren die staatlichen Religionsbehörden bisher als Regierungsorgane eingestuft, so sind sie nun direkt bei der Partei angebunden. Es geht also nicht mehr nur um Organisation, sondern um Ideologie. Gehorsam und Unterordnung unter die Kommunistische Partei sind nun Gesetz. Das bringt die Kirchen in große Schwierigkeiten. Wenn die Partei nun befiehlt, dass keine Kinder mehr unterrichtet werden dürfen, dann macht sich jeder Pastor schuldig, der dies – auch verdeckt – praktiziert.
Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei
In Peking wird die Linie festgelegt, aber in den einzelnen Provinzen gibt es eine differenzierte Praxis dazu. In vielen Provinzen weiß man die positiven Kräfte der Christen zu schätzen und will sie gewähren lassen. Aber Provinzregierungen, die dem Druck aus Peking nachgeben, lassen an Kirchen Schilder anbringen, dass der Besuch der Gottesdienste Kindern und Jugendlichen verboten ist. Andere fordern, dass neben dem Altar die chinesische Fahne zu stehen hat. Staatschef Xi Xinping hat zehn Regeln für chinesisches Benehmen in der Gesellschaft aufgestellt, denen in manchen Kirchen die Zehn Gebote Gottes weichen müssen. In manchen Provinzen müssen große Kreuze von den Kirchen abgenommen werden. Natürlich wehren sich die Christen dagegen, oft bis die Polizei mit Bautrupps anrückt und die Schändung vornimmt. Auch von Sprengung und Abriss einiger Kirchen berichten Hilfsorganisationen, die in China verdeckt arbeiten.
Offizielle, genehmigte Drei-Selbst-Kirchen kommen immer mehr unter Druck, sie sollen sich dem Staat gleichschalten. Die Pastoren brauchen eine Genehmigung der Partei, um verkündigen zu dürfen. Die nicht registrierten Hauskirchen existieren inoffiziell – und liefern sich mitunter ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, treffen sich immer wieder an anderen Orten. Aber sie wachsen gerade dadurch immer mehr in die Wohnsiedlungen hinein. Gelassen sagen sie: „Verfolgung der Gemeinde hat sie bisher immer wachsen lassen.“ Doch jede Verhaftung ist eine zu viel und muss an die Öffentlichkeit, um der Partei die Larve vom menschenfreundlichen Kommunismus herunterzureißen. Zur Zeit sitzen mehrere evangelische und katholische Geistliche in Gefängnissen oder Umerziehungslagern, ebenso Rechtsanwälte, die sich für die verfassungsmäßigen Rechte der Christen eingesetzt haben.
Nun muss man wissen, dass sich diese neue Härte des Religionsgesetzes nicht in erster Linie gegen Christen richtet! Es sind die Freiheitsbestrebungen der muslimischen Uiguren im Norden Chinas, die tibetanischen Mönche und Nonnen, die die Freiheit ihrer Religion mit Mitteln bis hin zu Selbstverbrennungen ertrotzen wollen. Es sind die Millionen Anhänger der Falun-Gong-Gläubigen, welche die Partei als Gefahr einstuft, und manche Sekte, die in China versucht, reiche Beute zu machen. Mussten wir bei jeder Bahnfahrt, beim Eintritt in Sehenswürdigkeiten unseren Pass zur Kontrolle vorlegen, so war uns klar, dass die christlichen Gruppen seit den neuen Ausführungsverordnungen zum Religionsgesetz unter verstärkter Beobachtung und Kontrolle stehen. Die dürfen und wollen wir nicht gefährden.
Im Fokus der Überwachungskameras
Überwachungskameras vor jeder Kirche sind direkt auf den Eingang gerichtet. Manchmal sind sie auch in der Kirche über dem Ausgang installiert, sodass jeder Besucher gescannt werden kann. Es wird also zum persönlichen Risiko, in die Kirchen zu gehen. Derzeit erprobt China ein Programm, bei dem jeder Bürger aufgrund seines Verhaltens Sozialkreditpunkte erwirbt oder verliert. Wenn das dahin ausgeweitet wird, dass der Gottesdienstbesuch negativ einzahlt und es dafür Punktabzug gibt, dann ist schon der Kirchgang selbst ein mutiges Bekenntnis. Dennoch: Die Kirchen sind voll, ja sie müssen drei bis fünf Gottesdienste anbieten, um allen Christen und den nach Halt suchenden Menschen das Evangelium zu bringen. Die Antwort eines Pastors: „Im Psalm 139 steht: ‚DU erkennst mich und bist bei mir. Ob ich stehe oder liege, DU weißt es.‘ Was ist schon die staatliche Überwachung? Wir stehen unter einem höheren Schutz.“
Bei der Vorbereitung auf unsere Reise sind wir durch die Berichte in der Presse sehr gespannt gewesen, was wir vorfinden. Kommen wir überhaupt noch in eine Kirche rein? Umso erstaunter waren wir, als wir in einem Gottesdienst nur noch Platz bekommen, weil ein Freund uns angemeldet hatte. Beeindruckend ist immer wieder der Gesang! Mit einer Lautstärke, die man bei keinem unserer Anbetungs-Säuselgesänge erlebt, ein erfrischendes Erlebnis, auch wenn man von der Predigt nur die Worte „Jesus“ und „Amen“ versteht. Die Atmosphäre nimmt einen mit, und wenn die chinesische Nachbarin dir die Bibel hinhält und versucht, dich Chinesisch mitlesen zu lassen, dann weiß du, sie sind mit ganzem Herzen dabei.
Nach dem Gottesdienst hatten wir ein Gespräch mit dem leitenden Pastor und einigen Verantwortlichen – in einem Raum ohne offensichtliche Kameras! 18.000 Gemeindemitglieder, fünf Gottesdienste. Unsere Frage: „Wir haben auch Kinder gesehen, ist das nicht verboten?“ – „Doch, aber wir halten Kindergottesdienst, nennen das Kinderbetreuung. Natürlich mit biblischer Geschichte, Gebeten und viel Singen. Aber sagt es nicht weiter …“
Freiheit nur für Touristen?
Zu einem anderen Gottesdienst kommen wir unangemeldet. Im Hotel hatten wir nach einer evangelischen Kirche gefragt. So etwas gebe es in der Stadt nicht, war die Antwort – sicher eine ehrliche, man wusste nichts von den Christen. Das Internet half: Zwei Kirchen gibt es in dem Ort. Das Hotel organisierte uns einen Bus und wir trafen auf eine fröhliche – wieder begeisternd laut singende – Gemeinde. Auch hier viele Kinder, die sich in einem besonderen Raum versammelten. Zwei weitere Nebenräume waren mit Monitoren ausgestattet, dort verfolgten dicht gedrängt noch einmal viele Besucher den Gottesdienst. Nach dem offiziellen Schluss des Gottesdienstes kamen etwa 30 Kinder auf den Altarplatz, zogen ihre Schuhe aus und begannen unter Anleitung von ehrenamtlichen jungen Frauen Kinderlieder zu singen. Die begleitenden Bewegungen waren eine tänzerische Einlage der Anbetung. Etliche ältere Gemeindeglieder saßen in den Bänken und es liefen ihnen die Tränen nur so über die Wangen.
Apropos Hotel: Auf einer grandiosen Terrasse setzten wir wuchtige Sessel in eine Runde und hielten zweimal miteinander Bibelarbeit. Wir sangen auch, aber das schien niemanden zu stören. Überhaupt hielten wir meist in der Hotellobby unsere Morgenandachten, manchmal in einem Tempelpark oder in einer offenen Kirche. Ist das nur Freiheit für die Touristen?
Kreuze am Fenster
Kontakt mit einem Leiter einer Hauskirche hatten wir auch. Er konnte nur zu uns kommen – die Gemeinde mit einer so großen Ausländergruppe zu besuchen, wäre für sie zu problematisch geworden. Er erzählte uns freimütig, mit welchen Behinderungen sie lebten, aber dass dies der Freude am Glauben und der missionarischen Kraft keinen Abbruch tue. Ihm war nur wichtig, dass wir alle während des Abends unsere Handys ausschalteten – was einen Einblick in eine Situation gab, die uns (noch) völlig fremd ist.
Eine unverhoffte Begegnung hatte ich bei einem Sonntagsbummel durch die Stadt. An zwei Fenstern im ersten Stock sah ich unmissverständlich Kreuze. Es war nicht einfach, in dieses Haus zu kommen, vorbei an Sicherheitspersonal, ein klappriger Fahrstuhl, finstere Gänge. Ich war in irgendeinem Gesundheitszentrum gelandet. In verschiedenen Zimmern mit offenen Türen warteten Menschen oder ließen sich behandeln. Man blickte mich verstört an, wies mir aber den Weg zu einer geschlossenen braunen Tür mit einem großen weißen Kreuz.
Ein Mann öffnete und ich stand – wie von Gottes Geist geführt – in einer Hausgemeinde. Der Gottesdienst war schon am Vormittag gewesen, aber das hier lebende Ehepaar freute sich, einen Bruder aus Europa zu treffen. Englisch ging nichts, aber wir beteten zusammen und segneten uns gegenseitig – soweit reichte mein Chinesisch.