Ein kurzes Video im Internet hat alles verändert. Es war die sogenannte Ibiza-Affäre, die nach nur zwei Jahren zum Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung und schließlich zur Neuwahl des Nationalrats in Österreich geführt hat. Der von Süddeutscher Zeitung und Spiegel aufgedeckte Skandal schlägt sich deutlich im Wahlergebnis von Sonntagabend in Österreich nieder: Die rechtspopulistische FPÖ, deren ehemaliger Parteichef vor versteckter Kamera Korruptionsfantasien geäußert hatte, hat am stärksten verloren.
Sie erzielt laut vorläufigem Endergebnis 16 anstatt wie zuvor knapp 26 Prozent. Ein wenige Tage vor der Wahl bekannt gewordener Skandal rund um mutmaßlich veruntreute Parteigelder durch Ex-Chef Heinz-Christian Strache dürfte zusätzlich Verluste gebracht haben. Jedenfalls rückt die Partei von der Anzahl der Wählerstimmen her in die Nähe der Grünen. Letzteren ist mit knapp 14 Prozent hingegen eine deutliche Rückkehr ins Parlament gelungen – nachdem sie 2017 unter anderem aufgrund einer Parteispaltung aus der Bürgervertretung geflogen waren. Auftrieb hat ihnen offenbar die Fridays-for-Future-Bewegung beschert.
Wahlsieger ist aber in erster Linie die christdemokratisch-konservative ÖVP unter Sebastian Kurz, der seine hohen Beliebtheitswerte in Österreich in ein Plus von fast 6 Prozentpunkten für seine Partei verwandeln konnte. Mit über 37 Prozent sind die Christdemokraten nun mit Abstand die stärkste Kraft im Land, was ihr bestes Wahlergebnis seit 2002 bedeutet.
Geschichte wiederholt sich
Gewissermaßen wiederholt sich hier die Geschichte, wenn auch etwas weniger krass: Auch 2002 ging eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ zu Bruch, was zu einem Zugewinn von 15 Prozentpunkten für die ÖVP unter Wolfgang Schüssel und zu einem Verlust von 17 Prozentpunkten für die damals intern stark zerstrittene Jörg-Haider-FPÖ führte. Anders als damals hat die SPÖ – eine Partei, die Österreich gemeinsam mit der ÖVP seit 1945 entscheidend geprägt hat – diesmal ihr geschichtlich schlechtestes Ergebnis erzielt: gut 21 Prozent fuhr sie ein und damit ein Minus von etwa 6 Prozentpunkten im Vergleich zu 2017. Grund dafür ist einerseits ein europaweiter Niedergang der Sozialdemokraten, wie er sich bekanntermaßen auch in Deutschland zeigt. Andererseits mangelt es der SPÖ in Österreich an einer charismatischen Führungspersönlichkeit und einem modernen Image.
Die liberalen NEOS können hingegen mit 8 Prozent, also einem Plus von rund 3 Punkten, einen Achtungserfolg verbuchen, die Liste JETZT, eine Abspaltung der Grünen, flog hingegen mit bloß 2 Prozent der Stimmen aus dem Parlament – sie hätte 4 Prozent gebraucht, um die in Österreich gültige Sperrklausel zu überwinden.
Koalition mit den Grünen?
Sebastian Kurz wird aller Voraussicht nach bis Ende dieser Woche von Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen offiziellen Auftrag zur Regierungsbildung erhalten und muss sich mangels absoluter Mehrheit einen Koalitionspartner suchen. Leicht wird das für den erst 33-jährigen ÖVP-Chef jedenfalls nicht. Und das, obwohl drei verschiedene Koalitionsvarianten im Parlament eine Mehrheit hätten. Eine Neuauflage der Zusammenarbeit mit der FPÖ hat nicht nur durch das schlechte Abschneiden letzterer an Attraktivität verloren, sondern wurde auch bereits von führenden FPÖ-Funktionären ausgeschlossen. So erklärte FPÖ-Chef Norbert Hofer, er sehe „kein[en] Auftrag zu einem progressiven Eintritt in Koalitionsgespräche“. Er ziehe es vor, in der Opposition „aus den Fehlern der Vergangenheit“ zu lernen.
Eine Zusammenarbeit mit der SPÖ erscheint realpolitisch schwierig und jedenfalls aus Sicht der nun ohnehin schon geschwächten Sozialdemokraten wenig erstrebenswert. Bleibt noch eine Koalition mit den Grünen, die jedoch inhaltlich für beide Parteien mindestens herausfordernd wird, da es zwischen ÖVP und Grünen programmatisch nur wenige Überschneidungen gibt – insbesondere beim Klimaschutz sowie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik tun sich hier gegensätzliche Sichtweisen auf.
Christen wählen eher ÖVP
Aus christlicher Sicht interessant ist, dass eine christdemokratische Partei, deren politische Grundlage jedenfalls laut Eigendarstellung im Parteiprogramm das „christlich-humanistische Menschenbild“ ist, erhebliche Stimmenzuwächse für sich gewinnen konnte – und das, obwohl die Religiosität der Bevölkerung im traditionell katholischen Österreich langsam, aber stetig schwindet. Das wird etwa an einer kontinuierlich steigenden Zahl von Kirchenaustritten deutlich, zeigt sich aber auch daran, dass immer weniger Österreicher Gottesdienste besuchen. Die Hälfte derer, die regelmäßig in eine Messe gehen, favorisiert die ÖVP, wie der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik anhand zweier Studien für die Tageszeitung Der Standard herausgefunden hat.
Die ÖVP ist jedoch nicht die einzige Partei, die in ihrem Parteiprogramm explizit auf christliche Werte eingeht. Auch in den Parteiprogrammen von FPÖ und Grünen finden sich christliche Bezüge.
Bei der FPÖ, die eigentlich einer antiklerikalen Tradition entstammt, heißt es etwa, dass man sich „zu einem europäischen Weltbild, das wir in einem umfassenden Sinn als Kultur-Christentum bezeichnen“, bekenne. Die Grünen wiederum betonen in der Präambel ihres Parteiprogramms, dass sie unter anderem auch von „kritischen ChristInnen“ gegründet wurden.
Die letzte Regierung wurde von christlicher Seite teilweise positiv, teilweise kritisch gesehen. Etwa kritisierte der Wiener Kardinal Christoph Schönborn – einer der hochrangigsten Katholiken im Land – mehrmals öffentlich die Asylpolitik des Landes. Lobende Worte fand er für die Budgetpolitik der Regierung. Wie österreichische Christen nun eine mögliche Koalition von ÖVP und Grünen bewerten würden, bleibt abzuwarten.
Von: Raffael Reithofer