Die Scheite im Holzofen knistern, es ist warm hier in der Stube. Wir reiben unsere Finger in der Wärme. Draußen ist es klirrend kalt, minus zehn Grad. Elvis Dzafic, Mitarbeiter bei Croatian Baptist Aid (CBA), begrüßt uns. Wir, das sind aus Deutschland außer mir noch Johannes Neudeck, Gründer des Vereins Hilfe konkret, und Marco Dummler aus der Region Karlsruhe. Marco ist das fünfte Mal mit Johannes unterwegs, häufig reisen junge Leute bei den Einsätzen mit. Dazu Zeljko Mraz und Toma Magda, Generalsekretär und Vorsitzender des Baptistenbundes in Kroatien.
Wir besuchen das bosnische Bihac, nahe der Grenze zu Kroatien. Elvis räumt einige Matratzen an die Seite, bittet uns Platz zu nehmen, bietet Tee an. Das kleine Gemeindehaus ist so etwas wie die Einsatzzentrale der Flüchtlingshilfe, die die CBA hier in Bosnien leistet.
Gestrandet in Bihac
Außerdem haben hier einige christliche Flüchtlinge Unterschlupf gefunden. Mohammad ist einer von ihnen, er erzählt uns seine Geschichte: Mohammad stammt aus dem Iran. Vor zwölf Jahren war der damals 36-Jährige in einer schweren Krise. Er nimmt Drogen, kann nicht mehr arbeiten, die Familie ist am Ende. In seiner Not betet er zu Gott. Eines Nachts hat er einen Traum: Er sieht einen früheren Freund, zu dem er seit Jahren den Kontakt verloren hat, und eine Stimme sagt ihm, dass er den Mann besuchen soll.
Tatsächlich macht sich Mohammad auf den Weg und findet seinen Bekannten. Als der von dem Gebet und dem Traum hört, lädt er Mohammad zu einer geheimen Versammlung ein: dem Hauskreis einer Untergrundkirche. Mohammad wird durch Gebet von den Drogen befreit. Er gibt sein Leben Jesus Christus, aber er weiß, dass es harte Konsequenzen haben wird, wenn jemand davon erfährt. So lebt er seinen Glauben heimlich. Nicht einmal seine Frau und die Kinder erfahren davon. Dann fliegt der Hauskreis auf. Mohammad und seine Familie werden bedroht, sein Sohn erlebt massive Nachteile an der Universität. Als die Situation sich zuspitzt, beschließen sie, nach Europa zu fliehen. Einige Christen aus dem Hauskreis haben es nach England geschafft, dorthin wollen sie auch. Ihr Weg führt sie über die Türkei und Griechenland. Mittlerweile hat die Europäische Union die sogenannte Balkanroute über Rumänien und Bulgarien geschlossen, die Familie strandet in Bosnien.
Auch viele andere Flüchtlinge stecken hier fest. Niemand kennt ihre genaue Zahl. Vor allem Pakistaner, Afghanen, Iraker, Iraner, Eritreer – alleine in der kleinen Stadt Bihac sind es etwa 3.000, die in den Lagern leben. Menschen ohne Perspektive. Auf legalem Weg können sie nicht vor und nicht zurück. Sie sind in einem sogenannten sicheren Drittland. Die EU lässt sie offiziell nicht hinein. Die Rückkehr in die Heimat ist für viele lebensgefährlich.
Socken der Nächstenliebe
Wir sitzen auf unseren Plastikstühlen in der wohligen Holzwärme, den Tee in der Hand, bewegt von Mohammads Geschichte. Elvis Dzafic steht auf und holt zwei Paar dicke Wollsocken aus einem Kleiderbeutel. Ein Geschenk für meine Frau und mich – und zugleich ein Erinnerungsstück, eine Mahnung, die Menschen hier nicht zu vergessen. Die CBA hat mit Unterstützung ihres deutschen Partners Hilfe konkret in den vergangenen drei Jahren mehr als 80.000 Flüchtlinge versorgt. Mit warmem Wasser zum Duschen, mit Hygieneartikeln, Lebensmitteln oder mit warmer Kleidung. Wie diesen Socken. Rund fünfzig Baptistengemeinden gibt es in Kroatien. Als sie von den Flüchtlingen in Bihac hörten, begannen die Frauenkreise Socken zu stricken, 3.000 Paar seit Oktober 2018.
„Socken, was ist das schon“, denke ich. Wie elementar wichtig diese Hilfe ist, soll ich bald darauf erleben. Wir fahren zu einem leerstehenden Fabrikgebäude, einem riesigen Hangar, in dem die International Organisation of Migration (IOM) Zelte und Container aufgestellt hat, in denen sie gemeinsam mit dem Roten Kreuz, Safe the Children und einigen anderen internationalen Organisationen die Flüchtlinge versorgt. 2.236 Menschen – tagesaktuell am 25. Januar 2019 – leben hier. Die humanitäre Hilfe der CBA genießt einen guten Ruf, wir dürfen das Lager besichtigen. Ich traue meinen Augen kaum: Etliche von den Flüchtlingen sind barfuß. Die Halle schützt zwar notdürftig gegen die Kälte, doch auch hier drinnen herrschen Minustemperaturen.
Die Socken, die wir verteilen, bewahren die Menschen vor bösartigen Erfrierungen. Zuhause im sicheren Deutschland frage ich mich manchmal, wenn ich die Bilder und Berichte über die Flüchtlinge sehe: Was kann ich schon großartig tun? Die Schwestern aus Kroatien zeigen mir: Schon zwei Stricknadeln und ein Knäuel dicker, grober Schafwolle können Leben retten. Mir fällt ein Zitat von Franziskus ein: „Liebe ist konkret.“
Drei Jahre auf der Flucht
Mohammads Sohn hilft uns dabei, die Socken zu verteilen. Wie er sich seine Zukunft vorstellt, fragen wir ihn. Zurück kann er auf keinen Fall, erklärt er uns. Er ist mittlerweile auch zum Glauben gekommen, als Christ sieht er im Iran für sich und seine Familie keine Zukunft. London, das ist weiterhin sein Ziel. Wie er das erreichen will? Er schaut traurig zu Boden. Sie sind bereits seit drei Jahren auf der Flucht. Einmal, erzählt er, habe ein Grenzbeamter ihn und seine Familie aufgehalten. Der Mann grinste, fragte, wieviel Geld sie noch hätten. Als sie den Kopf schüttelten, habe er schließlich auf seine achtjährige Schwester gezeigt und gesagt: „Die kann doch sicher schon die Beine breit machen, oder?“ Natürlich weigerten sie sich – und kamen nicht weiter. Und jetzt? Er zuckt mit den Schultern. Sie werden es wieder versuchen.
Aber erstmal ist die Familie dankbar, dass die kleine Gemeinde sie in ihrem Haus aufgenommen hat. „Gott hat uns beschützt und uns Geschwister geschenkt“, sagt Mohammad, „er wird auch einen Weg und eine Aufgabe für uns haben. Wir brauchen Geduld. Und bis dahin helfen wir mit, die Hilfsgüter hier zu verteilen.“ Wir verabschieden uns, es fröstelt mich.
Von: Uwe Heimowski