Hoffnung durch Bildung im Slum von Nairobi

Menschen, die zwischen Schmutz, Müll und Abwasser leben. Menschen, die nicht wissen, ob sie heute etwas zu essen bekommen. Kinder, die kein anderes Leben kennen – wenn man in den Slums von Nairobi unterwegs ist, bleibt am Ende nur eine Frage: Was kann man gegen die Armut und die Not tun?
Von PRO
Wenn dieses kenianische Mädchen die Möglichkeit bekommt, eine Schule zu besuchen, kann es auf eine Zukunft ohne Armut hoffen

Der Slum Kibera ist der größte Afrikas. Er ist einer von zehn Armutsvierteln in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Wir sind mit einer kleinen Reisegruppe auf dem Weg zu den Ärmsten der Armen. Je weiter wir in den Slum hineingehen, desto schmaler werden die Gassen. Überall liegt Müll. Die Hütten bestehen aus Wellblech, Pappe und Plastikresten. Soweit man hineinsehen kann, liegen auch innen Müllsäcke, Möbel kann man von außen nicht erkennen.

Die staubigen Wege sind voller Menschen. Einige sitzen vor ihren Hütten auf der Erde und versuchen, irgendetwas zu verkaufen. Gemüse, Elektroteile, anderen Kleinkram. Vieles davon sieht aus, als hätten sie es aus dem Müll gesammelt. Mehrere Hunderttausend Menschen sollen hier leben. Die Angaben variieren zwischen 400.000 und einer Million, aber wer will wirklich erfassen, wie viele Menschen tatsächlich hier geboren werden und hier sterben?

Die meisten Erwachsenen sehen an mir vorbei. Hoffnungslosigkeit und Leere spiegelt sich in ihren Gesichtern. An einer Mauer lehnt ein Jugendlicher, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt. Er starrt vor sich in den Staub. Ein Stück weiter liegt ein Mann auf dem Boden. Er hat ein Sakko über den Jeans an, aber keine Schuhe an den Füßen. Sein Blick geht ins Leere, über die Müllberge und Dächer der Barracken. Sie füllen das Tal aus, so weit man sehen kann.

Berge von Müll und Hütten aus Wellblech: So sieht es in den Elendsvierteln von Nairobi aus Foto: Ellen Nieswiodek-Martin
Berge von Müll und Hütten aus Wellblech: So sieht es in den Elendsvierteln von Nairobi aus

Zwei Jungen sitzen vor einer Hütte und versuchen, einen krummen Nagel wieder gerade zu schlagen. Neben ihnen läuft ein Abwasserrinnsal über den Weg. Ein Stück weiter turnen einige Kinder auf den Müllbergen herum, binden alte Plastikflaschen an eine Schnur und ziehen sie hinter sich her. Sie winken und rufen uns zu: „How are you?“ Es ist eine Standardfrage hier im Slum, eine Floskel, die hilft, in Kontakt zu kommen. Es ist Freitagvormittag, die Kinder müssten eigentlich in der Schule sein. In Kenia herrscht Schulpflicht. Aber darum scheint sich hier niemand zu kümmern. Laut dem Hilfswerk UNICEF gehen in Afrika über 30 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht zur Schule, dabei ist Bildung der einzige legale Weg, aus der Armut herauszukommen.

Seit 2003 ist der Unterricht in der Primarschule, der „Primary School“, kostenlos. Diese geht bis zur achten Klasse. Der Schulbesuch kostet nichts, aber die Schuluniform und alle Materialien müssen die Eltern zahlen. Vielen fällt das schwer, denn sie leben unter dem Existenzminimum von einem Euro am Tag.

Armut auch auf dem Land

Nicht nur in den Elendsvierteln der Stadt leben Menschen in extremer Armut, auch auf dem Land gibt es viele Familien, die kaum das Geld für die Schulmaterialien ihrer Kinder aufbringen können. Zum Beispiel bei den Massai. Früher lebten sie als Nomaden und zogen mit den Viehherden herum. Heute lebt ein Großteil von ihnen in Rundhütten aus Lehm, umgeben von Weiden für das Vieh.

Wir besuchen die Familie von Kisentu. Ich habe ihn in einem Projekt des Hilfswerkes Compassion kennengelernt. Der Zwölfjährige hat noch neun Geschwister. Die Kinder teilen sich mit ihrer Mutter eine Hütte, die diese aus Holzpfosten und Lehm gebaut hat. Wir dürfen eintreten. Drinnen ist es dunkel. Kisentu zeigt mir einen niedrigen Tisch. Hier lerne er, sagt er. Obwohl die Sonne scheint, ist es in der Hütte dämmerig. Ein kleines Loch in der Lehmwand lässt ein wenig Sonnenlicht herein. Zu wenig, um zu lesen oder zu schreiben. Kann ein Kind hier lernen?

Viele Familien auf dem Land und in den Slums können es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken Foto: Ellen Nieswiodek-Martin
Viele Familien auf dem Land und in den Slums können es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken

Kisentu läuft 30 Minuten, um zur Schule zu kommen. Manche seiner Mitschüler haben einen Fußmarsch von einer Stunde. Die Hütten der Massai sind über das Land verstreut. Wegen des weiten Schulweges schicken die Eltern ihre Kinder oft erst mit acht oder neun Jahren zu Schule, manchmal auch erst mit zehn. So verpassen die Grundschulkinder die ersten Jahre und haben eine verkürzte Schulzeit. Die Schüler sitzen mit mehreren Jahrgängen in einem Raum. Die meisten Schulen haben zu wenig Platz für die vielen Kinder und vor allem kaum qualifizierte Lehrer. Das führt dazu, dass die Klassen sehr groß sind. Nicht alle Schulen sind ausreichend ausgestattet: Oft gibt es nicht genügend Bänke für alle Schüler. Bücher oder anderes Material fehlen. Laut einer Studie der Weltbank fällt die Hälfte des Unterrichts in Kenia aus. Förderprogramme und Patenschaftsprojekte wie von Compassion setzen hier an und bieten wöchentlichen Zusatzunterricht, Biblischen Unterricht und weitere Unterstützung für die Kinder an.

Kein Geld für Bildung

Am Ende der achten Klasse legen die Schüler das Kenyan Certificate of Primary Education (KCPE) ab. Wenn sie eine gute Abschlussnote bekommen, können sie in eine Secondary School aufgenommen werden. Es gibt staatliche und private weiterführende Schulen, die jeweils Schulgebühren erheben. Da die Schulen meist weit entfernt liegen, sind sie oft mit einem Internat verbunden. Dann kommen für die Eltern noch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung hinzu. Daher können viele Familien die Kinder nicht auf eine weiterführende Schule schicken. Die Jugendlichen suchen sich dann Arbeit, um die Familie zu unterstützen.

So wie die 25-jährige Melvin: Sie ist auf dem Land aufgewachsen und ging nach der achten Klasse nach Nairobi, um dort als Haushaltshilfe zu arbeiten. Einen großen Teil des Verdienstes habe sie an ihre Mutter geschickt, erzählt sie. Aber dann habe das Geld für sie selbst nicht gereicht, um in der Stadt zu überleben. Eine Freundin erzählte ihr, dass man im Slum für wenig Geld leben könne. Seitdem lebt sie im Armutsviertel Korogocho in Nairobi.

Ähnlich erging es der 27-jährigen Josephine. Sie träumte davon, Schneiderin zu werden und Kleider zu entwerfen. Nach wenigen Monaten konnten die Eltern das Schulgeld für das College nicht mehr bezahlen. Sie verließ die Schule und heiratete. Inzwischen hat sie drei Kinder zwischen zwei und neun Jahren. Sie versucht, die Familie mit einem kleinen Gemüseverkaufsstand über Wasser zu halten. Josephine glaubt an Jesus. Ihr wichtigstes Gebetsanliegen ist, dass ihre Kinder nicht in Korogocho aufwachsen müssen.

Hoffnung und Unterstützung

Viele Kirchen und Organisationen engagieren sich in Kenia und bieten unterschiedliche Hilfe an. So wie Pastor Joel: Er lebt seit fast 40 Jahren in dem Slum Mathare in Nairobi. Seit zwölf Jahren ist er der Pastor der Redeemer Gospel Church, einer kleinen Kirche, die neben einer Müllkippe gebaut ist. Er weiß, wie wichtig Bildung und eine Berufsausbildung für junge Leute sind. 300 Kinder werden durch diese Gemeinde gefördert und erhalten dadurch eine Perspektive. Außerdem hat die Gemeinde mitten im Slum mit dem Bau einer weiterführenden Schule begonnen, in der Jugendliche eine handwerkliche Ausbildung machen können. Laut eines Berichtes des Deutschlandradios ist in Kenia jeder Dritte unter 25-Jährige ohne Job. Das will die Gemeinde ändern. Solche Initiativen geben Hoffnung im Elend.

Steve Volke, Direktor von Compassion Deutschland, erklärt das so: „Kinder im Slum haben keine Träume, keine Vision für ihr Leben. Wenn sie unterstützt werden und Wertschätzung erfahren, ändert sich ihr Selbstwertgefühl. Sie beginnen, daran zu glauben, dass Veränderung möglich ist. Sie beginnen von einer besseren Zukunft zu träumen.“

Ohne die Unterstützung von Kirchen, Paten und Hilfsorganisationen ist es Kindern, die in absoluter Armut aufwachsen, kaum möglich, ihr zu entfliehen Foto: Ellen Nieswiodek-Martin
Ohne die Unterstützung von Kirchen, Paten und Hilfsorganisationen ist es Kindern, die in absoluter Armut aufwachsen, kaum möglich, ihr zu entfliehen

Viele, die den Weg aus der Armut geschafft haben, versuchen später die Armut zu lindern. So wie die Sozialarbeiterin Agnes. Sie ist in Mathare aufgewachsen und lebt auch heute mit ihrer Familie noch hier. Freiwillig. Sie unterstützt schwangere Frauen und junge Mütter und erklärt ihnen, was sie für die Gesundheit ihrer Kinder tun können, wie sie die Kleinen fördern können. Sie betet auch mit den Frauen und liest mit ihnen in der Bibel. Viele Frauen im Slum haben durch Agnes im christlichen Glauben neue Hoffnung gefunden.

Ohne Unterstützung geht es nicht

„Arme Kinder haben ohne Förderung von außen kaum Chancen auf Veränderung“, sagt Professor Ole Ronkei. Er selbst ist das beste Beispiel dafür, dass es gelingen kann, aus der Armut herauszukommen. Der Massai wuchs in einer nahezu analphabetischen Hirtenfamilie auf. Seine Familie konnte sich das Schulgeld nicht leisten. Durch einen Paten konnte er eine Internatsschule besuchen und erhielt danach ein Stipendium an einer amerikanischen Universität. Er promovierte und wurde Berater der Weltbank. Doch dann ging er zurück nach Kenia. Er setzt sich seither für seine Landsleute ein.

„Ein Kind aus armen Verhältnissen, das Unterstützung erlebt, wird siebenmal härter arbeiten als ein Kind, das im Wohlstand lebt. Es weiß, dass der einzige Weg, aus der Situation herauszukommen, harte Arbeit ist. Es gibt keine Alternative, keine andere Option für das Kind“, davon ist er überzeugt.

Er kenne viele, die heute als Architekt, Rechtsanwalt, Sozialarbeiter, Lehrer oder Arzt arbeiten, bei denen merke man nicht, dass sie einmal arm waren, erzählt er. „Man bemerkt keinen Unterschied mehr zu Menschen, die nicht in Armut aufgewachsen sind.“ Und weiter: „Wenn jeder nur ein Kind unterstützen würde, wäre schon viel gewonnen. Schaut mich an. Ich würde nicht hier sitzen, wenn es nicht einen Menschen aus Dänemark gegeben hätte, der mein Schulgeld gezahlt hat.“

Von: Ellen Nieswiodek-Martin

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 1/2018 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441-915-151, per E-Mail an info@kep.de oder online.

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