pro: Ihr Fraktionsvorsitzender Volker Kauder kündigte im Dezember an, von der Bundesregierung einen neuen Bericht zur Lage der Religionsfreiheit weltweit zu verlangen und in diesem Jahr auch eine Debatte im Deutschen Bundestag dazu zu führen. Was bringt es unterdrückten Christen im Nahen Osten, wenn deutsche Politiker über Religionsfreiheit debattieren?
Christian Hirte: Weltweit nehmen religiöse Spannungen zu. Vor allem in den autokratischen Regimen im Nahen und Mittleren Osten; auch in Indien und Myanmar; wir haben etliche Probleme in Osteuropa, in China. Deshalb tun wir gut daran, intensiv darüber nachzudenken, wie wir zur Deeskalation beitragen können. Wir sind ein Land, das ökonomisch und politisch in der Lage ist, Einfluss zu nehmen. Diesen müssen wir nutzbar machen, um denjenigen zu helfen, die in anderen Ländern unter Verfolgung leiden – indem wir dort darauf hinweisen, dass die universalen Menschenrechte, zu denen Religionsfreiheit gehört, aus unserer Sicht geschützt werden müssen.
Sie sind auch Mitglied der deutsch-indischen Parlamentariergruppe. Wie nehmen Sie die Situation der Christen in Indien wahr?
Es gibt definitiv Probleme. Das Besondere in Indien ist, dass die Verfolgung nicht vom Staat ausgeht, sondern von der Bevölkerung. Indien ist eine stabile, etablierte Demokratie, die für sich den Anspruch hat, rechtsstaatlichen Grundsätzen zu entsprechen. An genau diesen Maßstäben muss es sich messen lassen. Gerade weil Indien eine Demokratie ist und eine Verfassung hat, in der Religionsfreiheit geschützt ist, muss es dafür sorgen, dass die staatlichen Institutionen effizient die Verfolgten schützen, wenn es aus der Bevölkerung heraus zu Übergriffen kommt. Das trifft nicht nur Christen, sondern auch Muslime. Ich habe im Übrigen den Eindruck, dass Muslime aufgrund der Geschichte sogar noch stärker unter Druck sind.
Seit 2014 stellt die Partei Bharatiya Janata Party (BJP) die Regierung und die Parlamentsmehrheit. Die Partei ist der politische Arm der hindu-nationalistischen Bewegung. Das christliche Hilfswerk Open Doors beobachtet, dass sich seitdem die Situation der Christen verschlechtert. Hat der Staat also doch etwas mit der Verfolgung zu tun?
Mein Eindruck ist eher, dass es Strömungen innerhalb der BJP gibt, die nicht unproblematisch sind, etwa die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh, „Nationale Freiwilligenorganisation“, Anm. d. Red.), die tatsächlich etwas hindu-nationalistisch ausgerichtet ist. Das eigentliche Problem ist, dass man nicht effizient staatliche Strukturen nutzt, um in Verfolgungssituationen Einhalt zu gebieten. Indien hat ein Justizsystem, das auf der höchsten staatlichen Ebene allerhöchsten Ansprüchen genügt. Allerdings gibt es bei unteren staatlichen Behörden und Gerichten auf lokaler Ebene große Schwierigkeiten. Das indische Justizsystem ist in der Fläche des Landes ineffizient und korruptionsanfällig. Das ist übrigens nicht nur ein Problem bei der Christenverfolgung, sondern ich nehme das auch durch Hinweise aus der Wirtschaft wahr. Zur Wahrheit gehört, dass Indien, auch wenn es die größte Demokratie der Welt ist, in vielen Bereichen noch ein Dritte-Welt-Land ist. Die eigentlich große Herausforderung für Indien ist es, den Rechtsstaat in der Fläche des Landes mit 1,3 Milliarden Einwohnern bei extremer Heterogenität zu gewährleisten.
Inwiefern thematisieren Sie dieses Problem innerhalb der Parlamentariergruppe und im Austausch mit den indischen Kollegen?
Ich habe in den vergangenen Jahren einige Vertreter der indischen Politik kennengelernt. Manche von ihnen habe ich so häufig getroffen, dass ich ihnen gegenüber auch offen solche Themen ansprechen kann. Sie sagen auch, dass es Probleme gibt, aber manches sehen sie natürlich anders. Sie sagen etwa, dass der Hindu-Nationalismus kein allgemeines Problem des Staates oder der BJP sei. In den Berichten von Open Doors, der Evangelischen und Katholischen Kirche sieht das etwas anders aus.
Hatte es konkrete politische Konsequenzen, dass Sie die Probleme bei der Religionsfreiheit angesprochen haben?
Es ist unsere Aufgabe als Politiker in Deutschland, solche Themen anzusprechen, damit den Politikern dort klar und bewusst ist, dass sie international bei diesen Fragen beobachtet werden. Ob das konkret sofort hilft, kann ich nicht sagen. Da muss man schauen, wie es sich entwickelt. Der jetzige Premierminister Narendra Modi war zum Beispiel international sehr umstritten. 2002 gab es im Bundesstaat Gujarat gewalttätige Ausschreitungen gegen Muslime mit über 1.000 Toten. Aus Sicht vieler internationaler Beobachter ist Modi in seiner damaligen Funktion als Chefminister (Regierungschef des Bundesstaates, Anm. d. Red.) zu wenig eingeschritten, um das zu unterbinden und nachher die Täter vernünftig und effektiv abzuurteilen. Er stand deshalb auf der Liste derjenigen indischen Politiker, die nicht in die USA einreisen durften.
Wie bewerten Sie Modi jetzt in seinem Amt als Premierminister?
Mein Eindruck ist, dass das Hindu-Nationale eine deutlich untergeordnete Rolle spielt hinter der gesellschaftlichen Modernisierung des Landes. Es ist klar erkennbar, dass die Agenda von Modi eher darauf gerichtet ist, das Land ökonomisch, infrastrukturell und unter dem Gesichtspunkt der Bildung voranzubringen. Es ist nur ein Teilaspekt seiner Politik, die gesellschaftliche, kulturelle Identität in den Blick zu nehmen. Der Schwerpunkt von Modi ist nach meiner bisherigen Einschätzung eher wirtschaftlich-progressiv.
Im November haben Sie zusammen mit Nalin Kohli, Sprecher der BJP und Anwalt am Höchsten Gericht, ein indisch-deutsches Bündnis zur Kooperation in Rechtsfragen ins Leben gerufen. Welche Rolle spielen in der Zusammenarbeit auch Fragen der Menschenrechte?
Zunächst wollen wir überwiegend Anwälte an Bord haben, damit es eine geschäftlich getriebene Motivation gibt, die Zusammenarbeit voranzubringen. Das wollen wir dann ausweiten, den Rechtsstaatsdialog in den Blick nehmen und dabei Wissenschaftler, Politiker und auch Verfassungsrichter mit einbinden. Rechtsstaatsdialog meint, auch über ganz grundsätzliche Themen zu sprechen, wie Menschenrechte und Religionsfreiheit.
Kann das Netzwerk dazu beitragen, den Rechtsstaat auf unteren Verwaltungsebenen in Indien effektiver umzusetzen?
Da darf man sich selbst nicht überbewerten. Aber das gleiche, was auf politischer Ebene gilt, gilt auch bei den professionell juristisch Tätigen: Man muss ein Bewusstsein schaffen, dass Rechtsstaatsverstöße im Ausland als Problem gesehen werden. Wenn das auf möglichst vielen Ebenen kommuniziert wird, dann entsteht nach meiner Überzeugung auch der Wille, das abzustellen.
Haben Sie auch noch andere politische Möglichkeiten Druck auszuüben, oder bleibt es eher beim Appell?
Die Frage ist, in welcher Weise man politischen Druck ausüben kann. Das ist im Konkreten oft schwierig. Es ist ein Thema in Gesprächen bei Regierungskonsultationen, es ist Thema bei Gesprächen auf parlamentarischer Ebene. Wir sind weit davon entfernt, irgendwelche Sanktionen zu initiieren. Ich glaube, dass wir deutlich machen müssen, dass wir es im Blick haben. Ich bin optimistisch, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtert, sondern mit der zunehmenden Modernisierung des Landes, und vor allem mit der zunehmenden Bildung eine positive Entwicklung eintreten könnte.
Sie engagieren sich im Stephanuskreis der Unionsfraktion im Bundestag für Religionsfreiheit. Warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Das Christentum ist weltweit eine der stark verfolgten Religionen. Ich bin selbst praktizierender Christ. Daher ist es nur folgerichtig, sich für die eigenen Glaubensgeschwister zu engagieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wie bewerten Sie Modi jetzt in seinem Amt als Premierminister?
Mein Eindruck ist, dass das Hindu-Nationale eine deutlich untergeordnete Rolle spielt hinter der gesellschaftlichen Modernisierung des Landes. Es ist klar erkennbar, dass die Agenda von Modi eher darauf gerichtet ist, das Land ökonomisch, infrastrukturell und unter dem Gesichtspunkt der Bildung voranzubringen. Es ist nur ein Teilaspekt seiner Politik, die gesellschaftliche, kulturelle Identität in den Blick zu nehmen. Der Schwerpunkt von Modi ist nach meiner bisherigen Einschätzung eher wirtschaftlich-progressiv.
Im November haben Sie zusammen mit Nalin Kohli, Sprecher der BJP und Anwalt am Höchsten Gericht, ein indisch-deutsches Bündnis zur Kooperation in Rechtsfragen ins Leben gerufen. Welche Rolle spielen in der Zusammenarbeit auch Fragen der Menschenrechte?
Zunächst wollen wir überwiegend Anwälte an Bord haben, damit es eine geschäftlich getriebene Motivation gibt, die Zusammenarbeit voranzubringen. Das wollen wir dann ausweiten, den Rechtsstaatsdialog in den Blick nehmen und dabei Wissenschaftler, Politiker und auch Verfassungsrichter mit einbinden. Rechtsstaatsdialog meint, auch über ganz grundsätzliche Themen zu sprechen, wie Menschenrechte und Religionsfreiheit.
Kann das Netzwerk dazu beitragen, den Rechtsstaat auf unteren Verwaltungsebenen in Indien effektiver umzusetzen?
Da darf man sich selbst nicht überbewerten. Aber das gleiche, was auf politischer Ebene gilt, gilt auch bei den professionell juristisch Tätigen: Man muss ein Bewusstsein schaffen, dass Rechtsstaatsverstöße im Ausland als Problem gesehen werden. Wenn das auf möglichst vielen Ebenen kommuniziert wird, dann entsteht nach meiner Überzeugung auch der Wille, das abzustellen.
Haben Sie auch noch andere politische Möglichkeiten Druck auszuüben, oder bleibt es eher beim Appell?
Die Frage ist, in welcher Weise man politischen Druck ausüben kann. Das ist im Konkreten oft schwierig. Es ist ein Thema in Gesprächen bei Regierungskonsultationen, es ist Thema bei Gesprächen auf parlamentarischer Ebene. Wir sind weit davon entfernt, irgendwelche Sanktionen zu initiieren. Ich glaube, dass wir deutlich machen müssen, dass wir es im Blick haben. Ich bin optimistisch, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtert, sondern mit der zunehmenden Modernisierung des Landes, und vor allem mit der zunehmenden Bildung eine positive Entwicklung eintreten könnte.
Sie engagieren sich im Stephanuskreis der Unionsfraktion im Bundestag für Religionsfreiheit. Warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Das Christentum ist weltweit eine der stark verfolgten Religionen. Ich bin selbst praktizierender Christ. Daher ist es nur folgerichtig, sich für die eigenen Glaubensgeschwister zu engagieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Jonathan Steinert