Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reist am Donnerstag nach Ägypten und wird dort den Staatspräsidenten Abdel Fattah al-Sisi treffen. Auch eine Begegnung mit dem koptischen Papst Tawadros II. steht auf dem Programm. In ihrer wöchentlichen Videobotschaft vom vergangenen Samstag sagte die Kanzlerin, die koptischen Christen in Ägypten hätten eine „sehr gute Situation für die Ausübung ihrer Religion”. Die ägyptische Regierung unterstütze die Christen, was für ein muslimisch geprägtes Land beispielhaft sei.
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen sehen diese Einschätzung kritisch. Die „Gesellschaft für bedrohte Völker” warf der Bundeskanzlerin in einer Mitteilung vor, mit solchen Äußerungen Präsident Al-Sisi zu hofieren. „Wenn die Bundeskanzlerin Ägypten für seine angeblich beispielhafte Christen-Politik lobt, dann ist dies ein Schlag ins Gesicht der Kopten. Denn Ägyptens Christen leiden auch unter Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi noch immer unter Diskriminierung, Willkür und Straflosigkeit”, sagte der Afrika-Referent der Organisation, Ulrich Delius. Die tatsächliche Lage der Kopten sei sehr viel schlechter als ihre vermeintlich positive rechtliche Situation erwarten lasse. Merkel beschönige die Menschenrechtssituation in Ägypten und schade damit den Christen in der arabischen Republik.
Kein Schutz vor Gewalt und Diskriminierung
Die katholische Hilfsorganisation „Kirche in Not” sieht die Einschätzung der Kanzlerin, Christen hätten eine „sehr gute Situation” in Ägypten, als „schlicht nicht richtig” an. Zwar demonstriere die jetzige Regierung unter Präsident Al-Sisi eine neue Nähe zur christlichen Minderheit. So habe er wiederholt den koptischen Weihnachtsgottesdienst in Kairo besucht und nach dem Anschlag auf die größte Kairoer Kathedrale im Dezember vergangenen Jahres mit 25 Toten eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Jedoch klärten Polizei und Justiz Straftaten gegen Christen „nicht mit dem nötigen Ernst auf” oder ahndeten diese. „Oft passiert auch gar nichts. Das ist eine der vielen Formen der Diskriminierung von Christen im Alltag”, teilte Berthold Pelster, Menschenrechtsexperte von „Kirche in Not”, auf Anfrage von pro mit.
Seit Jahren gehe von extremistischen Gruppen und Einzeltätern Gewalt gegen Christen aus. Erst in den vergangenen Wochen flohen deswegen hunderte Christen aus dem Sinai. „Immerhin hat die ägyptische Regierung dabei geholfen, Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden. Insofern hat die Bundeskanzlerin Recht, wenn sie sagt, die Christen in Ägypten erführen die Unterstützung der Regierung.” Jedoch seien Regierung und staatliche Behörden nicht in der Lage oder willens, Christen vor christenfeindlicher Gewalt zu schützen.
Darüber hinaus seien Christen oft von Schlüsselpositionen in der staatlichen Verwaltung, in Armee und Polizei sowie im Bildunsgwesen ausgeschlossen und hätten beruflich häufig nicht die gleichen Chancen wie Muslime. Das bestätigt auch Martin Lessenthin von der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte”. Die ägyptische Regierung sei nicht derart feindlich gegen Christen eingestellt, dass sie diese selber verfolge. „Sie mag und will jedoch nicht die prinzipielle Diskriminierung von Christen beenden”, sagte Lessenthin im Gespräch mit pro.
„Merkel soll Terror gegen Christen ansprechen”
Er verwies auch darauf, dass der Staat nicht in allen Teilen des Landes gleichermaßen präsent sei. So lebten auf der Sinai-Halbinsel vor allem Beduinen und Palästinenser, die sich nicht als Ägypter sähen. Dort sei auch der Einfluss von Islamisten wie der Terrororganisation Islamischer Staat größer. Lessenthin fordert von Kanzlerin Merkel, sie solle bei ihrem Besuch in Ägypten den Terror gegen Christen ansprechen; sie solle deutlich machen, dass die ägyptische Regierung sich nicht nur den Terrorgruppen, sondern vor allem den Ursachen des Extremismus zuwenden müsse. Langfristig gebe es sonst keine Aussicht auf Erfolg. Selbst in staatlichen Institutionen wie der Al-Azhar- Universität werde extremistisches Gedankengut verbreitet.
Die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International” stellt Ägypten ebenfalls kein gutes Zeugnis aus. Im aktuellen Jahresbericht heißt es über das Land unter anderem: „Die Regierung unterdrückte nach wie vor religiöse Minderheiten und verfolgte Personen wegen ‚Diffamierung der Religion'“. Religiöse Minderheiten wie Christen, Schiiten und Baha’i würden weiterhin durch Gesetze diskriminiert und bei der Ausübung ihrer Religion eingeschränkt. (pro)
Von: jst