Verhalten positiv klingen die aktuellen Nachrichten aus dem Irak: Regierungstruppen aus dem Süden und kurdische Truppen aus dem Norden rücken gegen den „Islamischen Staat“ (IS) vor. Die Schlacht um Mossul, der Terror-Hochburg, von der aus der IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi sein Kalifat ausgerufen hatte, dauert allerdings schon über einen Monat an. Andrea Wegener, Mitarbeiterin der internationalen Hilfsorganisation GAiN (Global Aid Network), unterstützt die Flüchtlinge vor Ort. Sie hat pro einen Einblick in die Verfassung der Menschen gegeben.
Wegener hat die vergangenen Tagen mit vielen Christen gesprochen, die im Sommer 2014 vom IS vertrieben wurden und heute in Flüchtlingsunterkünften wohnen. Diese Familien überlegen, ob sie jetzt in ihre Dörfer zurückkehren sollen. Im Zuge des Vorrückens der irakischen und kurdischen Armee sind viele christliche Dörfer vom Einfluss des IS befreit worden. Aber die Situation sei nicht so einfach. „Die Menschen vor Ort haben viel Angst und würden in ihre Dörfer nur zurückkehren, wenn sie von der Weltgemeinschaft eine sichere Zone garantiert bekämen“, sagt Wegener. Zur Angst kommen Schreckensnachrichten aus den befreiten Dörfern hinzu.
Brüchige Wände, Terrortunnel und Minen
„Es hat sich als ganz schwerer Schlag herausgestellt, dass die Häuser vom IS nicht einfach zurückgelassen worden sind“, sagt Wegener. Obwohl es in den Dörfern keine Kämpfe gegeben hat, habe der IS nur Chaos hinterlassen. Brandsätze seien in die Häuser geworfen worden. Das habe alles angekokelt und die Wände brüchig gemacht. Der IS hat laut den Berichten in den Dörfern Tunnel gegraben, aus denen jeder Zeit Gefahr drohen kann. Manche Häuser und Straßen seien auch vermint worden. An eine einfache Rückkehr sei so nicht zu denken.
„Wir haben jedes Gefühl von Sicherheit verloren“, erzählte ein ehemalige Rektor einer assyrischen Oberschule in Karakosch, südöstlich von Mossul, der GAiN-Mitarbeiterin: „Die Vorstellung, dass wir noch einmal vertrieben werden könnten, ist unerträglich.“ Er und seine Familie hätten darauf hingelebt, in ihr Dorf zurückgehen zu können. Als sie aber die Zerstörung mit eigenen Augen sahen, sei das wie ein zweiter harter Schlag gewesen.
Die Menschen seien jetzt ähnlich erschüttert wie nach der Vertreibung vor zwei Jahren, weiß Wegener, die seit dem Sommer 2014 mit der Organisation GAiN Hilfsgüter unter Flüchtlingen in Camps und Containersiedlungen im Irak verteilt. Mit Decken, Kleidung oder Babybrei sichern sie die Grundversorgung. In den Gesprächen in den Unterkünften hört Wegener immer wieder die tiefe Erschütterung heraus. GaiN arbeitet aktuell in Kurdistan, dem Autonomiegebiet im nördlichen Irak, weil dort die größte Bewegung unter den Flüchtlingen ist.
UN plant Nothilfe für Mossul
Am Montag war Wegener bei einem Treffen des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) der Vereinten Nationen. Dort werde über Nothilfe für die Menschen beraten, die aktuell aus Mossul fliehen. Sie versuchen Kapazitäten für bis zu 500.000 flüchtende Menschen zu schaffen. „Aber jetzt schon an Wiederaufbau zu denken, ist zwei Schritte zu weit gedacht“, sagt Wegener. Es werde viel an den Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen hängen. Den Flüchtlingsstrom könnten die Kurden gar nicht allein stemmen.
Die GaiN-Mitarbeiterin findet die aktuellen Entwicklungen ereignisreich. Es sei, als ob die Geschichte zurückgespult werde: „Es kehrt sich gerade alles um.“ Menschen, die dem IS nicht feindlich gesinnt waren, würden jetzt vertrieben. Und Menschen, die mit dem Siegeszug des IS aus den Städten flüchteten, könnten jetzt eventuell zurückkommen: „Es liegt viel in der Luft.“ (pro)Verfolgte Christen im Irak: „Riesen des Glaubens“ (pro)
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