Pessimistisch blickt der irakische Menschenrechtler William Warda auf eine mögliche bevorstehende Befreiung Mossuls. Selbst wenn die Stadt durch die militärisch kooperierenden Kräfte aus den Händen des Islamischen Staates (IS) zurückerobert werden könne, sei es damit nicht getan. Diese Sichtweise äußerte der Iraker im Rahmen der Vortragsreihe „Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten“ von Christian Solidarity International (CSI) am Dienstag in Zürich.
Die Rückeroberung bedeute noch keine Befreiung, sowohl für die Zivilbevölkerung als auch für die Vertriebenen, die einer religiösen Minderheit angehören. Diese könnten nur in einer föderalistischen säkularen Demokratie überleben, die politische, religiöse, ethnische und kulturelle Vielfalt anerkenne, erklärte Warda, der Vorsitzender der Allianz der irakischen Minderheiten und Mitbegründer der Hammurabi-Menschenrechtsorganisation sowie CSI-Projektpartner ist. Nur unter der Garantie von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit wäre die Mehrheit der Vertriebenen bereit, in ihre Häuser zurückzukehren.
Christen ihrer Stärke in Gewerbe und Bildung beraubt
Warda warnte vor möglichen weiteren Krisen, wenn die irakische Regierung oder eine Großmacht wie die USA oder Russland nicht im Stande wären, die Sicherheit zu gewährleisten. Er begründete seine Annahme mit den zahlreichen Gewalttaten gegen Christen und Jesiden seit der irakischen Unabhängigkeit 1932, die ihren Höhepunkt in der Terrorwelle der letzten Jahre fanden. Die daraus resultierende Massenvertreibung habe die Christen ihrer traditionellen Stärke im Gewerbe und in der Bildung beraubt. Es würden zudem weniger Ehen geschlossen und Kinder geboren. Ohne ein Ende der Gewalt „werden Christen und andere religiöse Minderheiten im Irak bald ausgerottet sein“, prognostizierte Warda.
Schuld an der Situation wies Warda auch den USA und ihren Verbündeten in der kurdischen Regierung zu, die zwar das Vorgehen des Islamischen Staates zu Recht als „Genozid“ bezeichnet hätten, gleichzeitig aber ihre Streitkräfte ohne Vorwarnung abgezogen und die Minderheiten somit allein gelassen hätten. Auch von Seiten der Regierung in Bagdad würden die nichtmuslimischen Minderheiten gering geschätzt. „Die Regierungen in Erbil und Irak haben die gleiche Haltung“, zog Warda Bilanz: „Sie wollen das Potenzial der Minderheiten entweder dominieren, kontrollieren und einschränken – oder gleich ganz auslöschen.“ Zudem beklagte Warda das insgesamt geringe internationale Engagement für Minderheiten im Irak.
Autonome christliche Provinz keine Lösung
Plänen für eine autonome christliche Provinz im vom IS zurückeroberten Gebiet steht Warda skeptisch gegenüber: „Die Christen und Jesiden werden zweifellos von gewissen Leuten dazu gedrängt, eine solche Provinz zu fordern, weil diese Leute denken, dass das Gebiet dann der Kurdischen Regionalregierung oder einer anderen Region zugeschlagen wird.“ Eine solche Lösung würde den Christen jedoch nichts nützen, sagte Warda: „Im Gebiet, das für eine solche Provinz vorgesehen wäre, wurden Hunderttausende aus ihren Häusern vertrieben – und davon haben 50 Prozent das Land bereits verlassen.“
Allein Rechtsstaatlichkeit und international garantierter Schutz bieten die Grundlage dafür, dass religiöse Minderheiten im Irak überleben können, schlussfolgerte Warda. „Die Zentralregierung und die Kurdische Regionalregierung haben das Vertrauen der Minderheiten verloren“ und „müssen von der UNO oder von einer Supermacht ein Mandat oder Unterstützung bekommen“, damit Schutz und Gerechtigkeit garantiert seien. Solange eine föderalistische säkulare Demokratie fehle, die auf Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit gründet und die politische und religiöse Vielfalt anerkennt, würden die irakischen Minderheiten den einzigen Ausweg wählen, der ihnen bleibe: die Emigration. (pro)Christen im Irak feiern Sieg über Karakosch
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