Vorwurf: World-Vision-Direktor in Gaza arbeitete für Terroristen

Israel hat einen palästinensischen Mitarbeiter der christlichen Hilfsorganisation World Vision verhaftet. Er soll internationale Gelder an die radikal-islamische Hamas weitergeleitet haben.
Von PRO
Geld und Material für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau der durch Kämpfe zerstörten Infrastruktur im Gazastreifen kommt vor allem von internationalen Hilfsorganisationen. Möglicherweise werden Mittel jedoch an Terroristen abgezweigt.
Der Hamas-Aktivist Muhammad el-Halabi war der Direktor der Gaza-Niederlassung der globalen humanitären Hilfsorganisation World Vision. Am 15. Juni wurde er vom israelischen Geheimdienst am Grenzübergang Eres verhaftet. Er steht im Verdacht, Gelder in Millionenhöhe und Hilfsgüter, die für World Vision bestimmt waren, direkt an den militärischen Arm der Terror-Organisation Hamas umgeleitet zu haben. World Vision veröffentlichte eine erste Stellungnahme: „Am 15. Juni 2016 wurde Muhammad el-Halabi, Direktor für World Vision im Gazastreifen, auf dem Weg von seinem Haus zu Routine-Treffen verhaftet. Am 4. August, nach 50 Tagen in staatlicher israelischer Haft, wurde Muhammad vorgeworfen, die Hamas unterstützt zu haben. World Vision ist schockiert, von diesen Vorwürfen gegen Muhammad zu erfahren.“ World Vision ist eine angesehene globale humanitäre christliche Hilfsorganisation. Sie ist in über 100 Ländern mit einem Budget von 2,6 Milliarden US-Dollar und 46.000 Mitarbeitern aktiv. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Hilfe für Kinder, vor allem in Kriegsgebieten. In ihrer offiziellen Mitteilung heißt es weiter: „World-Vision-Programme in Gaza wurden regelmäßig intern und durch unabhängige Kontrolleure überprüft (…), um sicherzustellen, dass die Hilfsgüter die vorgesehenen Bedürftigen erreichen, entsprechend bestehender Gesetze und den Anforderungen der Spender.“ Zu der Verhaftung von Halabi heißt es: „Aufgrund derzeit vorliegenden Informationen haben wir keinen Anlass zu glauben, dass die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen. Wir werden jegliche Beweise genau prüfen und aufgrund dieser Beweise entsprechende Handlungen vornehmen. Wir fordern weiter ein faires Rechtsverfahren.“

7,2 Millionen Dollar veruntreut

Der israelische Inlandgeheimdienst Schabak veröffentlichte nach der Lockerung einer richterlichen Nachrichtensperre ungewöhnlich viele Details über die vermeintlichen Aktivitäten des verhafteten World-Vision-Direktors im Gazastreifen. Israel entdeckte demnach, dass Halabi in Wirklichkeit eine führende Figur des militärischen Armes der Hamas war. Er habe 60 Prozent des Jahreshaushalts, zirka 7,2 Millionen US-Dollar, von zivilen Hilfsprojekten im Gazastreifen an den militärischen Zweig der Hamas umgeleitet. 1,5 Millionen US-Dollar seien an die Kampfeinheiten der Hamas in bar ausgezahlt worden. 4 Millionen US-Dollar seien für den Bau von Angriffstunneln und den Kauf von Waffen verwendet worden. Der größte Teil der Hilfsgelder sei von den Regierungen der USA, Englands und Australiens gespendet worden. Australien hat mittlerweile angekündigt, die Unterstützung für die Arbeit im Gazastreifen vorerst auszusetzen. Das „American Jewish Committee“ (AJC) hat das Auswärtige Amt aufgerufen, die Mittelvergabe an die Hilfsorganisation transparent und zügig zu untersuchen. Halabi wurde 1978 in Dschabalija im Gazastreifen geboren. Angeblich wollte er bei seiner Verhaftung nach Israel einreisen, um für die Hamas zu spionieren. Diese Angabe widerspricht der Stellungnahme von World Vision, wonach er sich bei seiner Verhaftung auf dem Heimweg von einem Routine-Treffen befunden habe.

Verdächtiger gesteht Auftrag der Hamas

Beim Verhör gestand der Verdächtige, seit seiner Jugend ein Mitglied der Hamas gewesen zu sein und organisatorisches wie militärisches Training erhalten zu haben. 2005 habe er den Auftrag erhalten, World Vision zu infiltrieren. Seine Chancen hätten gut gestanden, da sein Vater, Halil el-Halabi, die Bildungseinrichtungen der UN-Organisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) leitete, obgleich auch er ein Hamas-Mitglied war. Der Sohn habe für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) gearbeitet und Bauern nahe der Grenze zu Israel „beschäftigt“, um als Spionageposten der Hamas zu dienen. Schon früh habe Halabi Gelder umgeleitet, ehe er zum Direktor der Gaza-Abteilung aufstieg und damit den Haushalt, die Arbeitsgeräte und die Hilfspakete im Wert von Dutzenden Millionen Dollar kontrollierte. Er habe „fiktive Hilfsprojekte“ entworfen, darunter den Bau von Gewächshäusern, psychologische Hilfe für die Bevölkerung und Unterstützung für Behinderte, wobei er die Gelder an die Terrororganisation weitergab.

Militärstützpunkt und Baumaterial finanziert

Nach Angaben des israelischen Geheimdienstes beschäftigte er unter einem Vorwand Hamas-Kämpfer und stellte fiktive Rechnungen aus. So wurde der Bau des Militärstützpunktes der Hamas unter dem Codenamen „Palästina“ vollständig mit britischen Spendengeldern finanziert. Von World Vision bestellte Eisenstäbe, Rohre und Baumaterial wurden von Israel für den Export in den Gazastreifen freigegeben. Doch Halabi leitete sie angeblich weiter an die Hamas, um Angriffstunnel zur Grenze Israels zu errichten. Ein Projekt zur Rehabilitierung der Fischer des Gazastreifens habe in Wirklichkeit dazu gedient, die Militärmarine der Hamas mit Schiffsmotoren und Taucheranzügen auszustatten. Lastwagen, die vom Grenzübergang Kerem Schalom kamen, sollen angewiesen worden sein, ihre Ladung in Lagern von World Vision zu löschen. Doch in Wirklichkeit hätten die Lagerhäuser der Hamas gehört. Nachts kamen Hamas-Leute vorbei und holten die Waren ab. Im Widerspruch zu den Grundsätzen der Hilfsorganisationen seien Nahrungsmittel, Medikamente und andere Güter ausschließlich an Familienangehörigen von Hamas-Anhängern und nicht an die wahren Bedürftigen. Während des Gazakriegs 2014 sollen Kämpfer der Hamas die Essenspakete bekommen haben, die eigentlich für Bedürftige gedacht waren.

„Hochgebildet und kinderfreundlich“

Der israelische Rundfunk meldete, dass Halabi vor ein Gericht in Be‘er Scheva gestellt worden sei. Israel wolle jetzt auch andere im Gazastreifen aktive internationale Hilfsorganisation auf mögliche Kontakte zur Hamas überprüfen. Die UNO hatte nach dem Gazakrieg von 2014 eingestanden, dass die Hamas tatsächlich Raketen und Sprengstoff in UNRWA-Schulen eingelagert hatte. Diese Waffen seien nach dem Krieg „an die zuständigen Stellen“ übergeben worden, also an die Hamas, die selbst von der UNO als Terrororganisation betrachtet wird. Für World Vision wäre ein Nachweis der Beschuldigungen gegen Halabi, der unter den Mitarbietern der Hilfsorganisation als „hochgebildet, nett und kinderfreundlich“ gilt, ein schwerer Schlag. Nach eigenen Angaben habe World Vision interne wie äußere Prüfer eingesetzt, um ihre Arbeit genau zu kontrollieren und um sicherzugehen, dass die vom Ausland finanzierten Hilfen auch wirklich die Bedürftigen erreichen. Laut einer Stellungnahme, die auch auf der Internetseite des deutsche Zweiges veröffentlicht wurde, billigt World Vision „keine der angeblichen Aktivitäten“.

Wiederholter Vertrauensbruch

Aus guten Gründen hat Israel kein Interesse an einer echten humanitären Krise im Gazastreifen oder gar an einem Ausbruch von Seuchen, die sofort auch auf Israel übergreifen könnten. Sogar mitten im Gazakrieg 2014 ließ Israel über den einzigen verbliebenen Warenterminal „Kerem Schalom“ am Grenzdreieck Ägypten, Israel, Gaza täglich bis zu tausend vollbeladene Lastwagen in den Gazastreifen rollen. Gemüse, Mehl, Medikamente, medizinische Geräte und Windeln werden dort nach einer genauen Sicherheitskontrolle durchgelassen. Alle anderen Warenterminals wurden von der Hamas zerstört. Zeitweilig hat Israel die Lieferung von Zement, Rohren, Eisenstangen oder Steinen unterbunden. Erst nachdem sich die internationalen Hilfswerke, darunter auch World Vision, verpflichtet hatten, die Baumaterialien allein für den zivilen Wiederaufbau zu verwenden, war Israel bereit, auch diese durchzulassen. Dennoch wurde das israelische Vertrauen immer wieder gebrochen. So tauchten Bilder von israelischen Zementsäcken in frisch von der Hamas gebauten und mit viel Beton abgesicherten Angriffstunneln auf, durch die Kämpfer unbemerkt in Kibbutzim und Ortschaften entlang der Grenze wechseln wollten. Israelische Sicherheitskräfte entdeckten zwischen den Hilfssendungen nach Gaza Taucheranzüge für Kampfschwimmer der Hamas, auseinander genommene Drohnen, Chemikalien für Sprengstoff oder für die Herstellung von Raketentreibstoff. Bisher hat Israel noch keine Organisation in flagranti ertappt. Doch schon vor der Verhaftung von Halabi war klar, dass die internationalen Hilfsorganisationen keine volle Kontrolle haben, oder aber dass ihre Mitarbeiter in großem Umfang verbotene Materialien in den Gazastreifen schmuggeln, um sie an die Hamas weiterzugeben.

Lieferungen ohne internationale Hilfe nicht möglich

Fast alle Angaben in den jetzt veröffentlichten Beschuldigungen stammen nach Aussage des Geheimdienstes aus den Geständnissen von Halabi. So wurden auch die Wege der Finanzierung der Hamas sehr detailreich beschrieben. Die kann nur ein Insider kennen. Zweifellos kann Endgültiges über die Vorwürfe gegen Halabi erst nach einem Prozess gesagt werden, nachdem Richter das Belastungsmaterial gesichtet haben. In jedem Fall geht es hier aber um einen schweren Vertrauensbruch, der bisher ein offenes Geheimnis war, weil jeder sehen konnte, wie die Hamas ihre militärische Infrastruktur ausbaute. Da die Schmugglertunnel nach Ägypten inzwischen zerstört sind, können der Zement und andere Materialien nur aus Hilfslieferungen über Israel stammen. Doch Israel ist im Gazastreifen seit 2005 nicht mehr präsent, und vermeidet aus politischen Gründen jeden direkten Kontakt mit der Hamas. Alles muss über internationale Organisationen laufen, von der Koordination der Warenlieferungen bis hin zum Geldfluss. Jeder einzelne im Tunnel verbaute Sack Zement stammt notwendigerweise aus Lieferungen, die von irgendeiner internationalen Hilfsorganisation in den Gazastreifen gebracht worden sind. (pro)
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