Keine zweite Ausgrabungsstätte im Heiligen Land bietet seit Jahren so viele aufsehenerregende und für die biblische Zeit bedeutsame Funde wie der Komplex Davidstadt-Ophel. Es handelt sich um einen winzigen Hügel südlich des Jerusalemer Tempelbergs. Hier hat König David laut Bibel eine Jebusiterstadt durch gewaltige Wasseranlagen, die bis heute existieren, betreten und erobert. Ob ein riesiges Gebäude über einer etwa 3.000 Jahre alten Jebusitermauer tatsächlich der Palast Davids war, wie die Archäologin Eilat Masar behauptet, wird von anderen Archäologen heftig bestritten.
Der Streit unter den Forschern wird zwar mit wissenschaftlichen Argumenten ausgefochten, aber dahinter stecken offenkundig auch politische Motive. So wird Masar vorgeworfen, eine jüdische Präsenz im Kern Jerusalems aus „zionistischen“ Gründen mit „Geldern von Siedlern“ beweisen zu wollen. Ihre Widersacher folgen eher dem palästinensischen Narrativ. Sie behaupten, dass es weder König David noch König Salomon gegeben habe, und folglich auch keinen biblischen Tempel in Jerusalem. Mit dieser Vorstellung haben die Palästinenser sogar über befreundete arabische Länder eine entsprechende Resolution bei der Kultur-Organisation der Vereinten Nationen, UNESCO, eingebracht, in der nur vom arabischen „Haram asch-Scharif“ („ehrwürdiges Heiligtum“) die Rede war, und nicht vom Tempelberg. Sogar Deutschland stimmte zu, anstatt sich wenigstens zu enthalten. Denn eine „Abschaffung“ des Tempelbergs entspricht letztlich auch einer Abschaffung des Judentums und des Christentums.
Den Verfechtern dieser politischen Sicht sind dann natürlich die Entdeckungen Masars ein Dorn im Auge. Denn mit den Funden bestätigt sie die berühmten Geschichten der Bibel und sogar bekannte Personen – und das auch dank Siegeln mit Namensinschrift.
Geeigneter Kontext
Der neueste Fund am Ophel, dem oberen Teil der antiken Palastanlage, ist ein winziges Tonsiegel mit den Überresten einer althebräischen Inschrift. Der Name Jesaja war leicht zu entziffern. Aber bei dem zweiten Wort, auf Hebräisch „Navie“, fehlte der letzte Buchstabe. Statt „Prophet“ stand da sozusagen nur „Proph“. Während Masar mit gebührender Vorsicht vorschlägt, dass es sich um eine erstmalige außerbiblische Erwähnung des berühmten Propheten Jesaja handeln könnte, melden die üblichen Gegner Masars schon Widerspruch an.
Forscher gehen davon aus, dass Jesaja, der berühmteste aller biblischen Propheten, im 8. oder 9. vorchristlichen Jahrhundert aktiv war. Der archäologische Kontext des Fundes passt genau: Eine Schicht aus der Eisenzeit, nahe dem Urgestein in einer Grube, die fast tausend Jahre später, in der Zeit des Königs Herodes, ausgehoben worden war.
In der Nähe fanden Forscher eine sogenannte „königliche Bäckerei“. Und nur drei Meter entfernt entdeckte das Grabungsteam von Masar 2015 einen Siegelabdruck mit der Inschrift „König Hiskia von Judäa“. Dieser zwölfte König von Judäa regierte zwischen den Jahren 727 und 698 v. Christus. In der Bibel wird an mehreren Stellen ein Kontakt zwischen dem Propheten und dem König erwähnt. Jesaja sei eine Art „spiritueller Berater“ Hiskias gewesen. Wenn also Hiskia über ein Dutzend Mal in der Bibel „in einem Atemzug“ zusammen mit Jesaja erwähnt wird, dann verwundert auch nicht die physische Nähe der Fundorte von Namenssiegeln beider biblischer Figuren.
Die persönliche Nähe zwischen König Hiskia, seinen engsten Beratern und des anderen großen biblischen Propheten Jeremia konnte Masar schon 2013 nachweisen: bei der Ausgrabung des „Hauses der Medaillen“, direkt unterhalb des umstrittenen „Davids-Palastes“. Da wurden nicht nur die Siegel von mehreren Beratern des Königs entdeckt, genau so wie sie bei Jeremias verzeichnet sind. Die Funde wurden in einer Ascheschicht gemacht, wobei das Datum des zerstörerischen Großbrandes auf den Tag genau bekannt ist und bis heute im Judentum als Anlass für einen Gedenk- und Fastentag dient: der 9. des Monats Av im Jahr 586 vor Christus. An dem Tag zerstörte der babylonische König Nebukadnezer Jerusalem und den salomonischen Tempel. Danach wurden das Volk Israel und andere damals besiegte Völker, wie die Philister, in das „babylonische Exil“ getrieben. Von den Philistern hat man seitdem nie wieder gehört.
Von: Ulrich W. Sahm