Das neue Theaterstück „Das 1. Evangelium“, frei nach dem Matthäus-Evangelium, von Regisseur Kay Voges feierte am Freitag am Stuttgarter Schauspielhaus Premiere. pro hat mit dem Künstler über das Werk, seinen Glauben und Bibelstunden am Theater gesprochen.
pro: Herr Voges, was reizt Sie an dem biblischen Text des Matthäus-Evangeliums?
Kay Voges: Ich bin ein großer Fan der Bergpredigt, weil ich in der Bergpredigt den Grundstein des Humanismus oder der Aufklärung sehe. Die Kultur, in der wir leben, unsere abendländische Kultur, hat ihr Fundament im Neuen Testament. Das ist uns oft nicht bewusst. Da ist es schön, mit dem Theater die Chance zu haben, außerhalb von Religionszugehörigkeit und außerhalb von politischen Haltungen dieses Thema zu behandeln und zu fragen: Was sind unsere kulturellen Wurzeln? Über welche Bilder reden wir da eigentlich?
Inwieweit unterscheidet sich für Sie die Arbeit an einem Text aus der Bibel zu der Arbeit mit säkularen Texten von Shakespeare, Lessing oder Brecht?
Anders als ein Gläubiger kann ich als Regisseur auf diesen Text erst einmal zugehen wie auf einen Theatertext. Ich darf ihn befragen, wie man auch einen Goethe oder einen Schiller befragen darf. Ich darf ihn montieren. Und versuchen, entgegen der gängigen Klischees von Interpretationen dies auch einmal aus anderen Perspektiven auszuprobieren. So war unsere Probenarbeit in den vergangenen sieben Wochen. Wir haben uns jeden Morgen – was im Theater sehr unüblich ist – zur Bibelstunde getroffen und versucht, diese Texte zu verstehen. Wir haben unsere verschiedenen Interpretationen, unsere verschiedenen Erfahrungen mit diesen Texten ausgetauscht und darüber improvisiert. Wir haben uns viel mit Gottesbildern und Jesus-Bildern auseinander gesetzt.
Was kam dabei heraus?
Durch die Zusammenführung von verschiedenen Interpretationen ist dadurch ein Vielklang entstanden, oder auch manchmal eine Kakophonie, die die Sehnsucht zeigt, von einem Jesus-Bild zu erzählen. Aber man merkt auch gleichzeitig, dass es ein Scheitern ist, über den Jesus zu reden. Wenn jemand über Jesus redet, dann redet er über den persönlichen Jesus, den er gerade hat, über seinen eigenen Glauben, über seine eigene Interpretation.
Was ist Ihre Intention hinter dem Stück?
Es ist wichtig, sich bewusst mit dem christlichen Glauben auseinander zu setzen. Dieser Theaterabend soll ein Angebot sein zum Nachdenken darüber, was mein persönliches Gottesbild ist. Dieser Abend gibt keine Interpretation vor, sondern er gibt hoffentlich Inspiration zum Nachdenken, zum Zustimmen, zum Ablehnen, zum Neuverknüpfen von Zusammenhängen. Der Zuschauer ist der Monteur.
In Ihrer Jugend waren Sie gläubiger Christ und in der Kirche aktiv. Was hat Sie damals bewegt?
Mit Goethe gesprochen: Ich wollte erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und dieser Gedanke, dass da ein Gott ist, der mich behütet, der mich befreit, das war ein schöner Glaube, der sich allerdings nach und nach in einen Fundamentalismus bei mir gedreht hat. Der sagte: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“, er wurde ausgrenzend und rechthaberisch. Ich stand mit einem Holzkreuz in Amsterdam auf der Straße und habe die Wahrheit gepredigt.
Wie ging es weiter?
Irgendwann stellte ich fest, dass ich die Wahrheit nicht leben kann. Ich kann gar nicht dem Anspruch genügen, den ich mir selbst predige und ich will ihm auch gar nicht genügen, weil meine eigene Erwartungshaltung zu lebensfern wurde. Und gleichzeitig wurde es anmaßend, wenn ich den Menschen die Welt so erklärte, dass es bestimmte Gruppen ausgrenzte. Ich habe Nicht-Gläubige verurteilt. So habe ich mich ziemlich radikal abgewendet von der Religionszugehörigkeit und stattdessen die Antwort im Widerspruch, im Zweifel, im Scheitern gesucht.
Da ist natürlich die Kunst der Ort, an dem die Freiheit des Nichtwissens stattfinden darf und die Poesie auf einmal Antworten kommen lässt, die anderes als theologische, religiöse-dogmatische Antworten sind. Sie sind durchweht, sie haben einen Hauch von Möglichkeit, aber sie haben nicht den starren Zugriff des Dogmas.
Sind Sie jetzt auf der Suche?
Ich bin einer, der an den Widerspruch und an die Komplexität glaubt und der sich freut, wenn er sie findet. Ich schaue heute auf die Bühne und sehe auf einmal Zusammenhänge, wo ich vorher nicht gewagt hatte, welche zu denken.
Sie sehen es als wichtig an, dass jungen Menschen Medienkompetenz vermittelt wird. Welchen Beitrag kann Theater dabei leisten?
Theater ist die einzige Kunstform, bei der ich die Herstellung und die Wirkung von Bildern live verfolgen kann. Das ist auch bei unserem Theaterstück so: Wir sehen, mit was für einem trivialen Vorgang Johannes der Täufer und Jesus in einer schwarzen Box stehen und dann sehe ich aber, wie die Kameras mit schönen Farbkorrekturen, mit Nebel und mit großer Musik und schönen Brennweiten auf einmal eine Ikonografie schaffen, die aber in Wirklichkeit überhaupt nicht stattfindet, sondern die nur hergestellt ist. Es ist wichtig, dass wir unterscheiden lernen zwischen der Wirklichkeit und dem Bild, und dass das Bild auch immer nur eine Perspektive ist, die etwas erzählen will, aber nur eine Krücke von Wahrheit ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
In Ihrer Jugend waren Sie gläubiger Christ und in der Kirche aktiv. Was hat Sie damals bewegt?
Mit Goethe gesprochen: Ich wollte erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und dieser Gedanke, dass da ein Gott ist, der mich behütet, der mich befreit, das war ein schöner Glaube, der sich allerdings nach und nach in einen Fundamentalismus bei mir gedreht hat. Der sagte: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“, er wurde ausgrenzend und rechthaberisch. Ich stand mit einem Holzkreuz in Amsterdam auf der Straße und habe die Wahrheit gepredigt.
Wie ging es weiter?
Irgendwann stellte ich fest, dass ich die Wahrheit nicht leben kann. Ich kann gar nicht dem Anspruch genügen, den ich mir selbst predige und ich will ihm auch gar nicht genügen, weil meine eigene Erwartungshaltung zu lebensfern wurde. Und gleichzeitig wurde es anmaßend, wenn ich den Menschen die Welt so erklärte, dass es bestimmte Gruppen ausgrenzte. Ich habe Nicht-Gläubige verurteilt. So habe ich mich ziemlich radikal abgewendet von der Religionszugehörigkeit und stattdessen die Antwort im Widerspruch, im Zweifel, im Scheitern gesucht.
Da ist natürlich die Kunst der Ort, an dem die Freiheit des Nichtwissens stattfinden darf und die Poesie auf einmal Antworten kommen lässt, die anderes als theologische, religiöse-dogmatische Antworten sind. Sie sind durchweht, sie haben einen Hauch von Möglichkeit, aber sie haben nicht den starren Zugriff des Dogmas.
Sind Sie jetzt auf der Suche?
Ich bin einer, der an den Widerspruch und an die Komplexität glaubt und der sich freut, wenn er sie findet. Ich schaue heute auf die Bühne und sehe auf einmal Zusammenhänge, wo ich vorher nicht gewagt hatte, welche zu denken.
Sie sehen es als wichtig an, dass jungen Menschen Medienkompetenz vermittelt wird. Welchen Beitrag kann Theater dabei leisten?
Theater ist die einzige Kunstform, bei der ich die Herstellung und die Wirkung von Bildern live verfolgen kann. Das ist auch bei unserem Theaterstück so: Wir sehen, mit was für einem trivialen Vorgang Johannes der Täufer und Jesus in einer schwarzen Box stehen und dann sehe ich aber, wie die Kameras mit schönen Farbkorrekturen, mit Nebel und mit großer Musik und schönen Brennweiten auf einmal eine Ikonografie schaffen, die aber in Wirklichkeit überhaupt nicht stattfindet, sondern die nur hergestellt ist. Es ist wichtig, dass wir unterscheiden lernen zwischen der Wirklichkeit und dem Bild, und dass das Bild auch immer nur eine Perspektive ist, die etwas erzählen will, aber nur eine Krücke von Wahrheit ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martina Blatt.
Lesen Sie einen Hintergrundartikel zum Regisseur Kay Voges und seinem Theaterstück in der Ausgabe 1/2018 des Christlichen Medienmagazins pro, die Mitte Februar erscheint. Bestellen Sie sie schon jetzt kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.
Von: Martina Blatt