Annette Frier ist „Gott“. Im schlicht-eleganten weißen Outfit und nach der Pause im paillettenbesetzten glitzernden Hosenanzug gibt sie sich mal despotisch, mal sentimental. An ihrer Seite Erzengel Gabriel, gespielt von Kai Lüftner, im legeren Jogging-Overall mit fedrigen Engelsflügeln auf dem Rücken. Er stellt Fragen ans Publikum und gibt „Gott“ die Stichworte für seine beziehungsweise ihre Klarstellungen. Heute brauche es keinen Vermittler, keinen Mose, Gott sei persönlich gekommen, um die „neuen zehn Gebote“ zu verkünden.
Das erste Gebot ist das bekannte aus der Bibel. Annette Frier alias „Gott“ nutzt es, um die Erschaffung der Welt Revue passieren zu lassen. Mit den entsprechenden Korrekturen, versteht sich. Gabriel wirft die Frage nach Darwins Evolutionstheorie auf. Die Beweise habe er alle selbst in der Schöpfung platziert, trumpft der Bühnen-Gott auf: „Ich habe Fossilien modelliert, ich habe Dinsosaurier ausgesetzt, ich habe DNA’s modifiziert, ich habe den Galapagos-Finken ihre Schnäbel gespitzt, zum Kuckuck!“ Annette Frier gerät in Rage. Jedes Mal, wenn ein Wissenschaftler in den Himmel komme, werde er mit Lob überschüttet, dass er seinen Verstand gebraucht habe. „Und dann rufe ich: ‚Reingelegt, du Trottel!‘, eine Falltür öffnet sich und ich schicke ihn direkt in die Hölle!“
Das zweite Gebot klingt schon unbekannter: „Du sollst anderen nicht sagen, mit wem sie Unzucht treiben sollen“. „Gott“ nutzt es, sich an die Erschaffung des Menschen zu erinnern. Eva sei zuerst „Ewald“ gewesen, mit Adam das erste Homo-Paar der Welt. Die Verwandlung in eine Frau war laut „Gott“ die Strafe für das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis. „Jegliche Variation sexueller Aktivität wird nach ihrer moralischen Verdammung genussvoller“, gibt er zu bedenken und stellt klar, dass er nichts gegen Schwule habe. Gabriel zitiert den Bibelvers aus dem dritten Buch Mose, doch „Gott“ behauptet, das habe an einem Hörfehler gelegen, es müsse heißen: „Du sollst nicht bei einem Mann lügen“ statt „liegen“. Auf der sexuellen Schiene geht es weiter, „Hört auf, beim Sex meinen Namen zu rufen“, zeigt sich die blonde Gottesverkörperung genervt.
Auch Noahs Geschichte wird korrigiert. Niemals habe er gesagt, Noah solle von jeder Art ein Paar mit in die Arche nehmen, das sei doch „Schwachsinn“, höhnt „Gott“. Stattdessen habe es geheißen „von einer Art ein Paar“, und er habe Noah zu Hunden geraten. Er habe alle Tiere umgebracht und nach der Sintflut durch Klone ersetzt, behauptet er. Als das Thema Inzest bei den ersten Menschen zur Sprache kommt, entzieht er sich wie auch beim Thema Abtreibung einer klaren Aussage unter Hinweis auf laufende Verfahren. Des Weiteren offenbart „Gott, der Allwissende“ dem vollbesetzten Theatersaal einige Geheimnisse: Das Turiner Leichentuch sei eine plumpe Fälschung, Lee Harvey Oswald ein Einzeltäter, der Yeti existiere nicht, das Ungeheuer von Loch Ness dagegen schon und Bielefeld gebe es nicht.
„Aktenkundige“ Gebete
„Du sollst mit mir keine Beziehung führen“ lautet ein weiteres Gebot, deshalb habe er den Verwaltungsapparat geschaffen, bekennt „Gott“. Einzig zu Abraham habe er eine Beziehung gehabt. Recht eindrücklich erzählt Annette Frier auf der Bühne die Begebenheit mit der Fast-Opferung Isaaks. Abrahams Vertrauen und seine Qualen, Gott das Liebste zu opfern, werden nachvollziehbar. Sein Eingreifen scheint sich „Gott“ am Ende allerdings als Schwäche auszulegen. „Du sollst meinen Namen nicht missbrauchen“ kommt wieder bekannt daher. „Ich bin eine Marke“, behauptet der Schöpfer, der inflationäre Einsatz ziehe den Wert der Marke herunter.
Erhört Gott Gebete? Diese Frage liege dem Publikum am Herzen, behauptet der Erzengel. „Alle eure Gebete sind aktenkundig“, versucht sich „Gott“ aus der Affäre zu ziehen, doch Gabriel insistiert. Mit Donnergrollen vom Band zitiert der Allmächtige sich selbst und antwortet dem Engel wie einst Hiob. Auch die Menschwerdung Jesu kommt zur Sprache. Jesus sei das mittlere von drei Kindern und eine regelrechte „Memme“ gewesen, beklagt sich „Gott“. Dessen Idee, auf die Erde zu gehen, habe er ihm ausreden wollen. „Jesus! Hast du die geringste Ahnung, was das bedeutet? Menschen haben Durst, Hunger, Menschen werden krank, Menschen verletzen sich, Menschen urinieren.“
Schauspielerin „mühte sich mit dem Thema ab“
Doch Jesus sei hartnäckig geblieben bis zum Tod am Kreuz. „Mein Sohn hat nicht geheult, als ihr ihn zum Tode verurteilt habt“, zeigt sich der Vater beeindruckt. Er hätte einschreiten können, sagt „Gott“: „Die Kavallerie stand bereit, den Kalvarienberg niederzubrennen, aber nein“, Jesus habe es durchgehalten. Nach dessen Worten „Es ist vollbracht“, habe er, der Vater, gerufen: „,Du hast es gepackt, Junge!‘ Mein Sohn war ein Mann und ist für eure Sünden gestorben! Und zweitausend Jahre später stirbt er immer noch jeden Tag für eure Sünden und ich habe ihn nie klagen gehört.“
Am Ende des rund zwei Stunden dauernden Theaterabends verkündet „Gott“, er habe mit dem US-Unternehmer Steve Jobs ein komplettes Update entwickelt. Der Weltuntergang sei abgesagt, das zehnte Gebot laute „Du sollst an dich selbst glauben“. „Streitet euch nicht wegen mir, ich bin nämlich jetzt weg“, sagt „Gott“, und kurz darauf stiehlt sich Annette Frier in Alltagsklamotten von der Bühne. Viel Applaus für die Darsteller, „amüsant“, „hat mir gut gefallen“, so die Kommentare der meisten Theaterbesucher nach der Vorstellung. „Ich hatte einen guten Religionsunterricht und habe vieles erkannt“, sagt eine ältere Dame. „Mir gefällt es ehrlich gesagt gar nicht“, meint dagegen ein junger Mann. „Man könnte so viel mehr draus machen, zu sagen, man ist jetzt Gott, und dann wird’s nur so eine Bibelinterpretationsnummer, die auf den ersten besten Gag setzt.“
Der Glaube an den „echten“ Gott hat wohl die wenigsten Besucher ins Theater geführt, auch wenn viele durchaus mit „Ja“ auf die Frage reagieren, ob sie an Gott glauben. Die Kölner Schauspielerin Annette Frier selbst antwortete in einem Interview des Berliner Tagesspiegel: „Auf alle Fälle. Sonst müsste ich mich mit dem Thema nicht so abmühen, wenn mir das alles scheißegal wäre. Dann würde ich das Stück auch nicht spielen. Die große Menschheitsfrage ‚Gibt es etwas nach dem Tod und wenn ja, was und warum?‘ schwingt ja immer mit. Alle, die ich bislang habe sterben sehen, sind um diese Frage nicht herumgekommen.“ Viele Kernfragen werden gestellt, zum Teil gibt das Stück durchaus Gedankenanstöße. Gläubigen Menschen wird in „Gott der Allmächtige“ allerdings wohl an zu vielen Stellen die Schmerzgrenze überschritten.
Von: Christina Bachmann