„Sonne, steh still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon!“, sprach Josua mitten im Kampf gegen die Amoriter in seinem Gebet. Der Bibeltext in Josua 10 berichtet: „Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen, bis sich das Volk an seinen Feinden gerächt hatte.“ Weiter heißt es, die Sonne blieb mitten am Himmel stehen und ging „fast einen ganzen Tag“ nicht unter.
Nun sind der britische Physiker Colin Humphreys und seine Kollegen von der Universität Cambridge auf eine Idee gekommen, wie der scheinbare Sonnenstillstand damals zustande gekommen sein könnte. Die Erklärung könnte in einer ringförmigen Sonnenfinsternis über Kanaan in jener Zeit liegen. Humphreys, der von Königin Elisabeth II. in den Ritterorden erhoben wurde, befasste sich schon früher mit wissenschaftlichen Erklärungen von biblischen Berichten. So veröffentlichte er im Jahr 2011 etwa die These, dass das letzte Abendmahl Jesu an einem Mittwoch stattfand, und nicht, wie traditionell angenommen, am Donnerstag (Gründonnerstag).
Wie das Magazin Scinexx berichtet, fanden die Forscher anhand ägyptischer Aufzeichnungen heraus, dass es am 30. Oktober im Jahre 1207 vor Christus über dem Nahen Osten eine ringförmige Sonnenfinsternis gab. Dabei wird die Sonne nicht vollständig vom Mond verdeckt, sondern lässt einen leuchtenden Ring rings um die dunkle Fläche des Mondes erscheinen. Dabei würde es sich um die älteste dokumentierte Sonnenfinsternis überhaupt handeln.
Nach Meinung Humphreys könne das Wort „Stillstehen“ im hebräischen Text im Zusammenhang von Sonne und Mond so interpretiert werden. „Wir haben herausgefunden, dass diese Formulierungen auch bedeuten können, dass Sonne und Mond damit aufhörten, das zu tun, was sie normalerweise tun: Sie hörten auf zu scheinen“, erklärt der Forscher.
Der 30. Oktober 1207 vor Christus
Ägyptische Quellen gaben den Forschern Hinweise darauf, wann die Sonne sich verfinsterte. Auf der sogenannten Merenptah-Stele in Karnak, einem Text aus der Regierungszeit von Merenptah, des Sohnes von Ramses II., wird von einem Feldzug der Ägypter in Kanaan berichtet. Die Hieroglyphen berichten von einem Sieg Ägyptens in Kanaan – über ein Volk namens Israel. Weil auch ein Volk namens „Israel“ auf der Stele erwähnt wird, könnte es sich nach Ansicht einiger Historiker um den Krieg handeln, der auch in der Bibel erwähnt wird. Sollte dies stimmen, dann müssten sich die im Buch Josua geschilderten Ereignisse etwa um 1200 vor Christus abgespielt haben.
Um festzustellen, ob es in jener Zeit tatsächlich eine Sonnenfinsternis gab, suchte man bisher ausschließlich nach totalen Sonnenfinsternissen. Humphreys und seine Kollegen fanden dank astronomischer Berechnungen, dass es in dem entsprechenden Zeitrahmen tatsächlich eine Sonnenfinsternis gab, allerdings eine ringförmige, auch annuläre genannt. „Die einzige annuläre Eklipse zwischen 1500 und 1050 vor Christus ereignete sich am Nachmittag des 30. Oktober 1207 vor Christus“, teilten die Forscher mit. „Für die Israeliten muss dieses Ereignis wie eine doppelte Abenddämmerung gewirkt haben.“
Bei dieser Sonnenfinsternis nahm die Helligkeit der Sonne ab 15:30 Uhr ab. Bis etwa 16:50 Uhr war die Helligkeit etwa nur ein Zehntel so stark wie normalerweise. Für die Bevölkerung muss dies so ausgesehen haben wie eine frühzeitige Abenddämmerung. Doch gegen 17:10 Uhr stieg die Helligkeit noch einmal an. Schließlich ging die Sonne ganz normal um 17:38 unter. „In vor-wissenschaftlichen Kulturen muss solch eine unerwartete Abweichung vom normalen Geschehen Furcht ausgelöst haben“, schreiben die Autoren der Studie.
Die Forscher verweisen auf den Bericht eines Beobachters einer Sonnenfinsternis im Sudan im Jahre 1860. Mahmoud Bey berichtet: „Die zwei Minuten währende Sonnenfinsternis kam allen Anwesenden wie zwei Stunden vor. Mehrere Beobachter, die ich anschließend fragte, gaben an, die Finsternis habe zwei Stunden gedauert.“ So wäre die Aussage der Bibel zu erklären, dass die Sonne „fast einen ganzen Tag“ nicht unterging. Der sichelförmige Rest der Sonne vor und nach der vollen Bedeckung könnte den Israeliten zudem wie ein Mond zur falschen Zeit erschienen sein.
Von: Jörn Schumacher