Sandra Bils: Mit Gott an die Pommesbude

Sandra Bils möchte christliche Gemeinde zu den Menschen bringen und träumt von einer Kirche, in der es mehr um Gott geht. Ein Besuch bei der Frau, die beim Kirchentag in Dortmund vor rund 70.000 Besuchern predigen wird.
Von PRO
Sandra Bils ist Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und leitet das Büro von Kirchehoch2

Linden-Nord in Hannover. Altbauten aus rotem Backstein ragen in den Himmel, die Mauern mit Graffiti besprüht. Auf den kleinen Balkonen, dicht an dicht, trocknet Wäsche. Laute Musik dröhnt aus einigen Fenstern. Um die Ecke ein türkischer Supermarkt, gegenüber ein Edeka, daneben die typische Eckkneipe. Jugendliche auf Mofas, Mütter mit kleinen Kindern beim Großeinkauf. Die Frühlingssonne knallt auf den Backstein und es ist fast schon zu stickig.

Es gibt wahrlich schönere Ecken in der Stadt. Doch hier ist man mittendrin. Und hier findet man auch Pastorin Sandra Bils. Ins Büro von Kirchehoch2 scheint an diesem Frühlingstag die Sonne auf die spartanische Einrichtung: Knallblauer Teppich, einfache Ikea-Regale, Spanplatten-Tisch. Darauf theologische Literatur und ein MacBook. Mit der Einrichtung sei man noch nicht so weit, sagt Bils. Aber sie fühlt sich wohl hier. Bils leitet das Büro der ökumenischen Bewegung Kirchehoch2, getragen durch das Römisch-Katholische Bistum Hildesheim und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers, in der sie auch Pastorin ist. „Wir verstehen uns ein bisschen als Hebammen für die, die neue Ideen ins Leben rufen wollen, und als Unterstützer und Begleiter für die, die schon unterwegs sind“, fasst sie die Aufgabe von Kirchehoch2 zusammen. Sie selbst nennt sich Kirchenentwicklerin, oder „Ekklesiopreneur“. So beschreibt sie sich bei Facebook, Twitter und Instagram. „Ekklesiopreneure“ seien Menschen, die Kirche neu denken und vielleicht auch neu gründen wollen, erklärt Bils. Sie ist das mit Leib und Seele. Bils ist schlicht gekleidet – Jeans und Streifenhemd –, trägt kein Make-Up und das Äußere wirkt auch sonst unauffällig. Angefangen hat die gebürtige Ostfriesin („ein ganz kleines Dorf zwischen Emden und Aurich, mehr Kühe als Menschen“) als Dorfpfarrerin im niedersächsischen Gifhorn: „Ganz klassisch mit Schützenfest und Thermomix und ‚Wer mäht eigentlich den Rasen um’s Gemeindehaus?‘.“

Aber sie interessierte sich schon immer für die Frage, wie man als Kirche mit Menschen auf neue Weise in Kontakt kommen kann – nicht nur sonntagmorgens um zehn Uhr im Gottesdienst. Das habe vielleicht auch mit ihrem Hintergrund zu tun. Sie komme nicht aus einem „explizit kirchlich geprägten Umfeld“ und auch heute noch habe ein großer Teil ihres Freundeskreises eher weniger mit Kirche zu tun. Als Kind war Bils bei den christlichen Pfadfindern und kam so mit der Kirche in Kontakt. Neugierig auf das Thema Glaube sei sie schon damals gewesen und ihr damaliger Pfarrer ermutigte sie, in die Kirchenarbeit einzusteigen. Zum Theologiestudium habe sie sich entschieden, weil sie sich gefragt habe: „Glaubensmäßig interessiert mich das und wenn das nur halb so kraftvoll ist, wie immer alle sagen, warum ist dann das Marketing so schlecht?“ Und: „Warum kann ich eigentlich drei Vierteln der Leute nicht abkaufen, dass das die frei machende Botschaft ist, die stärker ist als der Tod?“

Mehr Gott in der Kirche

Wenn sie hört, dass eine aktuelle Untersuchung besagt, 2060 würden die Landeskirchen nur noch halb so viele Mitglieder haben wie heute, macht ihr das einerseits Angst und stimmt sie traurig. Aber Bils sieht das auch als große Chance. „Ich trenne da Glaube und christliche Botschaft von der Struktur.“ Ein Abbruch von festen Organisationsstrukturen müsse nicht zwangsläufig einen generellen Niedergang bedeuten, zeige der Blick auf andere Länder. Die aktuelle Lage der Kirchen ist für sie eher Ansporn und Motivation, neue Formen zu suchen, die vielleicht an die Stelle der alten treten können. Denn eigentlich gehe es ja darum, dass Kirche die Menschen erreicht. „Ich träume von einer Kirche, wo es wieder mehr um Gott geht“, sagt Bils. Kirche müsse lernen, klarer und verständlicher zu reden. „Ich mag als Theologin auch Schwarzbrottexte und Muskelkater im Kopf“, gibt sie zu. Dadurch gehe aber manchmal hermeneutisches Geschick verloren. „Ich will wieder so reden wie die Leute an einer Pommesbude“, sagt die Pastorin. Die Herausforderung sei es, zu wissen, „wann man so redet wie Pommesbude und wie man reden muss, wenn man am Pult eine Vorlesung hält“.

Dazu gehöre auch, dass man den Menschen abkaufen kann, dass sie in der Nachfolge Jesu Christi stehen und dass Glaube „nicht nur ein Job oder ein philosophisches Konstrukt“ ist. Bei all dem geht Bils von der „Missio Dei“ aus. Das ist ihr ganz wichtig. Also dass Mission von Gott ausgeht, er dabei der zentrale Dreh- und Angelpunkt ist und nicht der Mensch oder die Kirche. Und „dass wir die Chance und Gnade haben, mitzumachen, aber in keinster Weise die Bestimmer sind“, bringt Bils es auf den Punkt. Mission Gottes lasse sich deshalb nicht nur auf Kirchengebäude oder kirchliche Veranstaltungen festlegen. Das müsse sich konsequent durch den Alltag ziehen. Christen dürften kein „Herrschaftsdenken“ entwickeln, sondern müssten neugierig darauf sein, was Gott an unterschiedlichen Stellen im Alltag tut. „Was heißt das dann für mich als Christ im Feuerwehrhaus? Und was heißt das für mich als Christ an der Käsetheke?“, macht Bils es ganz praktisch.

Sie möchte, dass man ihr „die Vorfreude auf das, was kommt, und aus dem, woraus wir heute schon leben“, abspürt. Wer die Pastorin erlebt, der tut das auf jeden Fall. Über ihr Herzensthema könnte sie noch stundenlang weitersprechen. Aber sie möchte auch noch erzählen, warum sie digital so aktiv ist. Als „Pastorsandy“ ist Bils bei Instagram, Facebook und Twitter aktiv und betreibt einen Blog. Vor allem Twitter ist für sie „ein Netzwerk, das ich in die Hose stecken kann“ und das sie immer dabei hat. Mehr als 3.600 Follower hat sie dort. Twitter ist für sie ein „christlich-gemeinschaftlicher Anker“. Fast jeden Tag schreiben ihr Menschen mit der Bitte, für sie zu beten. Sie lässt sich inspirieren, teilt ihre Gedanken und führt Diskussionen. Sie schätzt an dem Medium, dass es auch Raum für Lustiges und Albernes gibt. Für ganz viel Spaß miteinander. Es sei „das Leben in allen Facetten“. Und wenn man ihr das wegnähme, würde ihr viel fehlen. Die Pastorin wünscht sich, dass die Kirche da auch aktiver wird. Dass Social-Media-Arbeit dort nicht nur Monolog („ich schreibe und die anderen lesen“), sondern Dialog („gemeinsam Themen entwickeln“) werde. Und das nicht nur innerkirchlich, sondern auch für Außenstehende relevant.

Sommelière und biblische Weinproben

Ja, und dann hält Bils auch die Abschlusspredigt beim Kirchentag in Dortmund vor geschätzt 70.000 Menschen im Stadion und sieben Millionen vor den Fernsehern. Auf die Frage, wie es dazu kam, sucht sie erst nach dem richtigen Ausdruck und sagt dann: „Ich war überrascht.“ Denn wie es dazu kam, das weiß Bils nicht, sie hätte mit dieser Aufgabe auch nie gerechnet. Themen rund um Kirchenentwicklung seien ja nicht „jedermanns Denkweise“ und eher randständig. Sie habe lediglich die Nachricht bekommen, dass sich das Präsidium des Kirchentags einstimmig für sie entschieden habe. Bils sieht das als „große Chance und große Herausforderung“. Ihre Gefühlslage wechsele zwischen „totaler Vorfreude und absolutem Respekt“. In dem Moment der Predigt sei das sowieso „Gottes Bühne und meine Aufgabe ist es, zurückzutreten“. Etwas aufgeregt ist sie trotzdem. Dass die Wahl des Kirchentags auf sie gefallen sei, weil sie mit einer Frau verheiratet ist, hält Bils für unwahrscheinlich. Immerhin sei es ja nicht so, „dass ich von morgens bis abends Regenbogenfahnen schwingend durchs Leben ziehe“. Bils weiß um die konträren Ansichten unter Christen zu diesem Thema, macht darum aber kein großes Aufheben. „Ich nehme das wahr und ernst, dass es Menschen gibt, die das in ihrem Christsein anders sehen als ich. Genauso möchte auch ich in meiner Sichtweise ernst- und wahrgenommen werden“, sagt sie dazu. Sie komme gerne mit Menschen ins Gespräch, die Dinge anders sehen als sie, und ihr ist es wichtig, dass unterschiedliche Sichtweisen nebeneinander stehen können.

Wenn Bils mal etwas ganz anderes als Kirchenthemen im Kopf bewegen möchte, dann widmet sie sich dem Wein. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie bei der Deutschen Wein- und Sommelierschule eine Ausbildung zur Sommelière gemacht. Ihr Leben sei so gleichförmig und erwartbar gewesen, dass sie das Gefühl hatte, mal etwas Neues lernen zu müssen, „wo man von Null anfängt, kein sicheres Netz hat und wo man niemanden kennt“. Essen und Trinken möge sie gerne und beim Trinken gerne Wein, habe sie sich damals überlegt. „Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und das war so fabelhaft“, sagt sie lachend über die Zeit der Ausbildung. Danach hielt sie auch die eine oder andere Weinprobe, manchmal sogar eine biblische mit Bezug zur Kirchenarbeit, weil Anfragen kamen. Aber eigentlich soll das ein privates Hobby sein. Auf Festivals findet man sie im Sommer auch. „Ich mag unglaublich gern Musik, da tanke ich auf.“ Auch die Begegnungen findet sie toll. „Neben dir können ein Student und eine Ärztin stehen und beide sind einfach da, weil die Band cool ist.“ In solchen Momenten und beim Klang der Musik fühlt sie sich Gott dann ganz nah.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 3/2019 des Christlichen Medienmagazins pro. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5667752, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.

Von: Swanhild Zacharias

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