Jordan Peterson ist Professor für Psychologie an der Universität von Toronto. Er hat über zwanzig Jahre Erfahrung als Dozent und Psychotherapeut. Mittlerweile ist er aber auch ein Internet-Phänomen, ja ein YouTube-Star. Seine Videos werden millionenfach angeklickt. Fast täglich gibt es neue Clips von Vorträgen, Debatten oder Interviews mit ihm. Seine Fans machen Memes aus Petersons medialen Auftritten. Ein DJ hat Petersons Vorträge gar vertont.
Peterson ist eine faszinierende Persönlichkeit, er scheidet die Geister. Für die einen ist er politischer Aktivist, Advokat für Redefreiheit, liberaler Denker, brillanter Redner oder auch eine YouTube-„Vaterfigur“, wie es manchmal unter Kommentaren zu seinen Videos heißt. Hingegen werfen ihm Kritiker vor, patriarchale Ideale zu fördern, reaktionär oder sogar ein Nazi zu sein.
Wie das Leben gelingen kann
Noch vor zwei Jahren war er einem breiten Publikum kaum bekannt. Anfang vergangenen Jahres gab Peterson dem britischen Fernsehsender BBC ein Interview, das in den Sozialen Medien durch die Decke ging. Peterson wurde gefragt zu Themen wie Ermutigung für junge Männer, schwache Männer und starke Frauen in Beziehungen, geschlechtergerechte Bezahlung und die Postmoderne. Aus dem Interview wurde ein Streitgespräch zwischen Peterson und der britischen Journalistin Chaty Newmann. Auf YouTube wurde es mehr als 13 Millionen Mal aufgerufen.
In Deutschland ist Peterson bisher wenig bekannt. In den Niederlanden, in Skandinavien oder England wird er in Talkshows eingeladen. Die amerikanische New York Times bezeichnete ihn als wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart. Im vergangenen Jahr war er auf Europatournee und sprach in ausverkauften Theatern und Hörsälen über sein Buch mit zwölf Regeln für das Leben: „12 Rules for Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt – Dieses Buch verändert ihr Leben“, so der deutsche Titel. Das Buch ist im Herbst 2018 in Deutschland erschienen und hielt sich mehrere Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher.
Es ist eine Mischung aus biblischer Auslegung, Erkenntnissen der Psychologie und ethischen Regeln für ein gutes Leben. Die Regeln sind klar formuliert – manchmal auch zum Schmunzeln. So heißt Regel 6: „Räum erstmal dein Zimmer auf, bevor du irgendwas an der Gesellschaft kritisierst.“ Oder Regel 11: „Störe Kinder nicht beim Skateboardfahren.“ Peterson geht es nicht darum, zu unterhalten oder zu provozieren, vielmehr geht es ihm darum, dass Menschen etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen.
Peterson benutzt eine Sprache, die man versteht, obgleich die Inhalte seiner Vorträge komplex sein können. Denn er verbindet Erkenntnisse aus mehreren Disziplinen miteinander – Politik, Psychologie, Philosophie und Theologie. Hinzu kommt seine Praxiserfahrung als klinischer Psychologe. Allerdings spricht er nicht so, wie man das vielleicht von einem solchen erwarten würde. Seine Vorträge gleichen einer Predigt, seine Beispiele sind lebensnah. Man spürt ihm die Leidenschaft ab für das, was er sagt.
Die Bibel steckt voller Weisheit
Er spricht mit Begeisterung über die Bibel – manchmal mit jugendlicher Euphorie. „Es ist so cool! Die Bibel ist wohl das zusammenhängendste Buch der Menschheitsgeschichte, obwohl es so viele einzelne Bücher sind. Bücher, die von unterschiedlichen Autoren geschrieben wurden. Anders als die griechische Mythologie ist die Bibel ein Buch mit Happy End – es gibt einen Himmel.“ Die Bibel ist für Peterson die Grundlage der westlichen Gesellschaft.
Auf YouTube hat er eine Videoreihe über die Bibel gestartet: „Die psychologische Bedeutung von biblischen Geschichten“. Peterson legt die Bibel aus, in einfachen, klaren Worten. Manche seiner biblischen Vorträge wurden über drei Millionen Mal aufgerufen. Die Vorträge heißen unter anderem „Einführung in die Idee Gottes“; „Gott und die Hierarchie der Autorität“; „Adam und Eva: Bewusstsein, das Böse und der Tod“. Die biblischen Geschichten stecken für Peterson voller Weisheit. „Leben bedeutet zu leiden. Das ist völlig klar. Es gibt keine grundlegendere und unumstößlichere Wahrheit als diese. Im Grund genommen sagt Gott genau das zu Adam und Eva, kurz bevor er sie aus dem Paradies kickt“, schreibt Peterson in seinem Buch „12 Rules for Life“.
Peterson versucht biblische Weisheit den Menschen aus dem 21. Jahrhundert nahezubringen. Dabei spricht er weder über Kirche noch über Konfessionen. Es geht ihm um den biblischen Text und dessen Relevanz für das Leben hier und heute. „Wir sollten von den biblischen Geschichten lernen. Wir leben überhaupt nicht so lange, dass wir all die Erfahrung sammeln könnten, um weise genug zu sein, unser Leben gut zu gestalten“, sagt Peterson in einem seiner Vorträge zur Bibel.
Die Frage, ob er an Gott glaubt, mag Peterson nicht. „Wenn man mich fragt, ob ich an Gott glaube, dann ist das ein Versuch, mich in eine Schublade zu stecken. Ich möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden … Meine Antwort ist dann häufig: Ich verhalte mich so, als würde Gott existieren. Da kann jeder selbst entscheiden, ob man das als Glaube werten kann“, gibt Peterson in einem Interview als Antwort.
Jesus – Ideal eines Menschen
Christus ist für ihn eine historische Figur. „Es ist das einfachste anzunehmen, dass Jesus als Mensch wirklich gelebt hat. Man kann natürlich eine andere Meinung dazu haben. Doch für mich gibt es genügend stichhaltige Beweise, dass es ihn wirklich gegeben hat.“ Auf die Frage hin, ob er an die körperliche Auferstehung Jesu glaubt, wird Peterson für ein paar Momente still. Er senkt seinen Kopf und überlegt – wie er es häufig bei ernsten Fragen tut. „Ich weiß es nicht. Es ist mir nicht ganz klar. Was aber sicher ist, ist, dass der Geist Jesu weiterlebt. In der Menschheitsgeschichte hatte sein Geist eine immense Auswirkung.“
Jesus ist für Peterson der perfekte Mensch, das Ideal eines Menschen. Die Göttlichkeit Jesu erklärt er sich über den griechischen Begriff „logos“, wie er am Anfang des Johannesevangeliums benutzt und im Deutschen mit „Wort“ wiedergegeben wird: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“
„Das ‚logos‘ ist göttlich. Tod und Wiedergeburt sind Teil der Idee des ‚logos‘. Durch das ‚logos‘ kann ein Mensch demontiert, aber auch wieder auferbaut werden. Es ist wie wenn man einen Fehler macht. Die Konsequenz ist, dass man einen Teil von sich gehen lassen muss. Man muss sich verändern. Das nennt man Opfer. Das kann ganz real sein. Ich meine das nicht nur metaphorisch“, erklärt Peterson.
„Mach was aus deinem Leben: Übernimm Verantwortung“
Geschichten der Bibel, in denen es darum geht, Opfer zu bringen, sind bekannt – Abraham und Isaak, die Kreuzigung Jesu. Wenn Peterson darüber spricht, sollen seine Zuhörer verstehen, dass es gut ist, Opfer zu bringen. Seine Botschaft: Die richtigen Opfer, Verlust oder Verzicht in der Gegenwart, können helfen, eine gute, ja bessere Zukunft zu schaffen. „Schmerz und Leiden definieren die Welt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Ein Opfer kann Schmerz und Leid mehr oder weniger außer Kraft setzen“, schreibt Peterson in „12 Rules for Life“.
Petersons Grundanliegen ist es, dass Menschen Verantwortung übernehmen, ein integres Leben führen. „Die Integrität des Individuums ist die Heilung für die Gesellschaft“, so Peterson. Verantwortung zu übernehmen ist für Peterson die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Peterson ist nicht der neue C.S. Lewis oder John Lennox. Er ist kein christlicher Apologet im klassischen Sinne. Doch es gelingt ihm, in unverkrampfter und natürlicher Art über die Bibel zu sprechen. Er macht biblische Geschichten aus zum Teil unerwarteten Perspektiven für heute lebendig. Dabei hat er die Aufmerksamkeit von Millionen Zuhörern.
Von: Lukas Reineck