Am Ende steht ein Name

Am 10. Dezember 1968 starb der womöglich bedeutendste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts: Karl Barth. Zu seinem 50. Todestag wird das Karl-Barth-Jahr 2019 eingeläutet.
Von PRO
Karl Barth im Jahr 1955

„Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie ‚Gnade‘, sondern ist ein Name: Jesus Christus,“ sagte der Schweizer Theologe Karl Barth in einem Interview im November 1968, wenige Wochen vor seinem Tod. Der jährt sich am 10. Dezember zum 50. Mal. Es ist ein Gedenktag für einen der streitbarsten und konfliktfreudigsten, aber auch einen der größten Theologen des 20. Jahrhunderts. Zu den Großen gehört Karl Barth, weil er seinen eigenen Ratschlag, diesen Namen Jesus Christus ernst zu nehmen, in seiner Theologie konsequent umzusetzen suchte. Gegen alle Widerstände – gerade des Nationalsozialismus – war Karl Barth ein Vorkämpfer einer auf Christus ausgerichteten Theologie.

Zu Ehren seines Werkes hat der Reformierte Bund in Deutschland – der Zusammenschluss der reformierten deutschen Kirchen – zusammen mit der EKD, der Union Evangelischer Kirchen in Deutschland (UEK) und dem Schweizer Evangelischen Kirchenbund (SEK) das Jahr 2019 zum Karl-Barth-Jahr erklärt. Es kommt also die evangelisch-landeskirchliche Landschaft seines Heimatlandes und des Landes, in dem er viele Jahre lang wirkte, zusammen. Über das Jahr verteilt wird es verschiedenste Veranstaltungen rund um Karl Barth geben. Den Anfang machte bereits am 9. und 10. November die Vollversammlung der UEK, bei der Barth und sein Verhältnis zum Theologen Friedrich Schleiermacher im Mittelpunkt standen. Geleitet wird das Themenjahr von Pfarrer Dr. Johannes Voigtländer aus Köln.

1922: Theologisches Erdbeben

Neben Barths Todestag erinnert das Jahr gleichzeitig auch an das hundertste Jubiläum des Erscheinens von Barths Kommentar zum Römerbrief im Januar 1919. Vor allem die zweite Auflage von 1922 machte Barth damals quasi über Nacht bekannt. Sie glich einem theologischen Erdbeben.

Das Anliegen: Eine Theologie zu entwickeln, die die Andersartigkeit Gottes wieder radikal ernst nimmt und die Grenzen jedes noch so ausgeklügelten theologischen Lehrgebäudes, aber auch jeder Theologie „vom Menschen aus“ aufzeigt.

„Wenn ich ein ‚System‘ habe“, schreibt Barth im Vorwort der zweiten Auflage, „so besteht es darin, dass ich das, was Kierkegaard den ‚unendlichen qualitativen Unterschied‘ von Zeit und Ewigkeit genannt hat … möglichst beharrlich im Auge behalte. Gott ist im Himmel und du auf Erden!“ In der Theologie seiner Zeit, so die Diagnose Barths, sei das Bewusstsein für diese Andersartigkeit Gottes verloren gegangen. Verkürzt gesagt sei das Reich Gottes immer mehr mit menschlichen Gesellschaftsprojekten identifiziert und die Offenbarung Gottes immer mehr in die menschliche Kultur verlegt worden. So sei das kritische Potential der Theologie in einem Maße verloren gegangen, das sie schließlich unfähig gemacht habe, der Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs entgegenzutreten.

In dieser Urkatastrophe, so Barth, ist der Mensch – speziell der Deutsche – radikal mit der Gebrochenheit seines eigenen Lebens konfrontiert worden. Der „unendliche qualitative Unterschied“ zwischen Gott und Mensch ist schmerzhaft hervorgetreten. Jeder menschliche Versuch, aus sich selbst heraus zu Gott zu gelangen – etwa via Religion oder Kultur – ist zum Scheitern verurteilt. Den „Kontakt“ zwischen Gott und Mensch, so Barth, kann nur Gott selbst herstellen. Daher lautet der vielleicht berühmtestes Ausspruch Barths, dass die Offenbarung Gottes „senkrecht von oben“ zum Menschen komme.

Wort-Gottes-Theologie

Wegen dieser radikalen Grenzziehung ist die von Barth entscheidend mitbegründete theologische Strömung nach dem Ersten Weltkrieg oft als „dialektische Theologie“ bezeichnet worden. Barth selbst sprach lieber von der „Wort-Gottes-Theologie“. Nur das Wort, das Gott selbst in Jesus Christus an die Menschen richtet, kann wahre Gottesoffenbarung sein. Dieses Wort wiederum kann nur von „außerhalb“ der Welt, aus der Transzendenz Gottes kommen. In die Welt schlägt es „senkrecht von oben ein“ und hinterlässt in dieser selbst nur „Einschlagstrichter und Hohlräume“ – so eine weitere berühmte Formel –, also nur negative Abdrücke des eigentlichen Gottesgeschehens.

Die Dialektik des Wortes Gottes ist also darin begründet, dass nur Gott selbst von Gott sprechen kann. Der Mensch kann streng genommen nur darauf antworten und versuchen, dieses Wort Gottes konstruktiv aufzunehmen, ohne ihm aber seine „eigenen“ Worte beizumischen. Das ist ein unmögliches Unterfangen. So entsteht eine Spannung, die der Mensch auszuhalten hat. 1922 formuliert Barth das so: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen, und eben damit Gott die Ehre geben.“

1934: Christus im Widerstand

Mit dieser Ablehnung jeder eigentlich menschlichen Möglichkeit der Rede von Gott legt Barth den Grundstein, der seine Theologie zur vielleicht bedeutendsten Strömung des 20. Jahrhunderts macht. Denn so ist auch jeder „natürlichen Theologie“, also jedem Versuch, in Voraussetzungen der Natur eine Offenbarung Gottes zu sehen, eine Absage erteilt. Schon rund 10 Jahre später wird dieser Grundsatz auf eine harte Probe gestellt.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten spaltet sich die evangelische Kirche in Deutschland in zwei Lager: In die „Bekennende Kirche“ und die „Deutschen Christen“. Letztere versuchen, die nationalsozialistische Ideologie mit dem Christentum zu vereinbaren, indem sie neben die Offenbarung der Bibel – ihrer jüdischen Elemente beraubt – die Offenbarung der Natur stellen, durch die Gott ebenfalls rede und durch die er die arische Rasse zur Krone der Schöpfung erkoren habe. Die Deutschen Christen argumentieren: Ebenso wie die Schrift sei auch die „Natur“ – rassistisch verstanden – eine Quelle wahrer Gottesoffenbarung.

Die dialektische Theologie im Sinne Barths eignet sich wunderbar, dem theologisch Widerstand zu leisten – und so wird Barth zu einem der Rädelsführer der Bekennenden Kirche. Deren wichtigstes Dokument, die „Barmer Theologische Erklärung“ von 1934, ist maßgeblich von ihm verfasst. Auf einer Synode in Barmen bei Wuppertal beschließt die Bekennende Kirche unter Federführung Barths den Bekenntnisnotstand. In der ersten von insgesamt sechs Thesen liest sich die theologische Absage an den Nationalsozialismus wie folgt:

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Barth im Jahr der Barmer Erklärung 1934 (Karl-Barth-Archiv, KBA_9012_033) Foto: Karl-Barth-Archiv, KBA_9012_033
Barth im Jahr der Barmer Erklärung 1934 (Karl-Barth-Archiv, KBA_9012_033)

Der Weg nach Basel

Ein Jahr später, 1935, zieht Barth, mittlerweile Professor an der Universität Bonn, die persönliche Konsequenz aus seiner Theologie und verweigert den Eid auf den Führer. Ihm wird die Lehrerlaubnis entzogen und er muss in die Schweiz zurückkehren. Die Universität Basel bietet ihm umgehend einen Lehrstuhl an, den er bis zu seiner Emeritierung 1962 innehaben wird.

Die gesamte Kriegszeit über wirkt Barth von der Schweiz aus weiter im kirchlichen Widerstand gegen Hitler. Dabei erhitzt er auch christlich-pazifistische Gemüter, als er etwa 1938 – noch vor Kriegsbeginn – die Tschechoslowakei explizit zum bewaffneten Widerstand gegen Nazideutschland auffordert. Den Dienst an der Waffe gegen die Nazis bezeichnet er dabei sogar als Dienst im Sinne der Kirche Christi. Die Sache der Bekennenden Kirche verfolgt er über die gesamte Kriegszeit. Das Schicksal Deutschlands liegt ihm am Herzen. Noch 1945 kehrt er auf Besuch in das zerstörte Bonn zurück und hält Vorlesungen, in denen er zu Hoffnung und Versöhnung aufruft.

Die Kirchliche Dogmatik

Nach dem Krieg hat Barth durch seinen konsequenten theologischen Widerstand endgültig theologischen Superstar-Status erreicht. Dazu trägt auch maßgeblich sein Magnus Opus, die „Kirchliche Dogmatik“ bei, die er bereits 1932 beginnt und bis zu seinem Tod nicht fertigstellen kann. Über insgesamt dreißig Jahre erscheint die nun rund 9000 Seiten umfassende Schrift in mehreren Bänden. Sie bedeutet nicht weniger als den Versuch einer Neukonstituierung der evangelischen Theologie und gehört nun zu deren wichtigsten Texten.

Barth fasst dabei zahlreiche klassische dogmatische Punkte auf kreative Weise neu. So begründet er etwa die Trinitätslehre auf einem Verständnis von Gott als dem in Freiheit Liebenden und versteht den Menschen als durch die Erlösung Jesu Christi bereits in die trinitarische Gemeinschaft hineingestellt. Auch den jahrhundertealten Streit um die Prädestinationslehre – also darum, wie es sei kann, dass Gott manche Menschen zum Heil und andere zur Verdammnis erwählt – versucht er über die Christologie zu lösen. Nach Barth ist Christus insofern Stellvertreter der Menschen, als die doppelte Erwählung zu Heil und Verdammnis sich rein auf ihn überträgt. Die Erwählung zur Verdammnis trägt Gott selbst und allein am Kreuz; in die Erwählung zum Heil hingegen sind alle Menschen durch die Auferstehung einbezogen. Ob das bei Barth eine Allversöhnungslehre bedeutet, darüber wird bis heute gestritten.

Vorkämpfer der Versöhnung

In den späten 40er, 50er- und 60er-Jahren tritt Barth immer wieder in die Öffentlichkeit. Er bemüht sich um Versöhnung zwischen Ost und West, lange bevor die Politik ernsthafte Annäherungen versucht. Strikt wehrt er sich gegen die deutsche Wiederbewaffnung. Immer bleibt er präsent und streitbar. Der nächsten Theologengeneration dient er als Mentor, der Richtungen weist, an dem man sich aber auch immer wieder kritisch abarbeitet.

Karl Barth stirbt am 10. Dezember 1968. Seine Theologie hat ihr Jahrhundert da längst geprägt. Bis heute bleibt er eine streitbare Figur. Immer wieder kommt auch berechtigte Kritik an ihm auf, etwa an seiner häuslichen Situation – Barth lebte in einer sogenannten „Dreiecksbeziehung“ mit seiner Frau Nelly und seiner Geliebten Charlotte von Kirschbaum – oder an seinem theologischen Israelverständnis. Barth selbst hätte und hat diese Kritiken wohl begrüßt, auch wenn er selten um eine Antwort verlegen war. Denn in seiner Theologie ist bereits die Erkenntnis angelegt, dass kein Mensch der Weisheit letzter Schluss erfassen kann. Der Kern der Barthschen Lehre ist die immer wieder neue Verwiesenheit auf Christus, das immer wieder neue Ringen um die Wahrheit des Evangeliums. So ist Barths theologisches Wirken auch 50 Jahre nach seinem Tod sowohl positiv als auch kritisch immer noch mit diesem einen Namen verbunden: Jesus Christus. Er ist es, von dem Barth immer sprach und er ist es, an dem sich Barth selbst immer wieder messen lassen müssen wird. Nicht anders hätte er es gewollt.

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