Bund und Länder haben sich am Dienstag auf schärfere Auflagen für Präsenzgottesdienste verständigt. So müssen nun medizinische Masken (FFP2-Masken oder sogenannte OP-Masken) während des Gottesdienstes getragen werden. Das Abstandsgebot von 1,5 Metern bleibt, auch der Gesang in den Gemeinden ist weiterhin verboten. Politiker haben nun Freikirchen für die Verschärfung verantwortlich gemacht.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet am Donnerstag, dass die „Politik auf die zahlreichen Verstöße gegen die geltenden Hygieneregeln in Freikirchen mit schärferen Auflagen für Gottesdienste“ reagiert habe. Bund und Länder hatten sich am Dienstag unter anderem darauf verständigt, dass religiöse Zusammenkünfte mit mehr als zehn Teilnehmern mindestens zwei Tage zuvor beim zuständigen Ordnungsamt angemeldet werden müssen, wenn vorher keine „generellen Absprachen“ mit Behörden getroffen wurden. Wie die FAZ weiter berichtet, sei die Einschränkung bei der Planung im Kanzleramt nicht vorgesehen gewesen, sondern „unter anderem auf Druck der großen Kirchen“ eingefügt worden.
Die großen Kirchen sowie Moscheen und Synagogen würden die Regeln zur Corona-Eindämmung „fast ausnahmslos befolgen, zitiert die FAZ den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), allerdings würden immer wieder „größere Ausbrüche im Zusammenhang mit religiösen Treffen von kleinen Religionsgemeinschaften“ festgestellt.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Armin Laschet (CDU), will nach FAZ-Angaben Regelverstöße „einzelner freikirchlicher Gemeinden“ nicht länger dulden. Nach Angaben der Zeitung haben sich Ausbrüche in den vergangenen Monaten vor allem in „solchen Freikirchen, die eine fundamentalistische oder charismatische Ausrichtung haben“, ereignet. Diese Gemeinden stünden teilweise auch dem Staat ablehnend gegenüber. „Aus den gemäßigten Freikirchen gab es kaum Berichte über Verstöße“, schreibt die FAZ unter dem Titel „Druck auf Freikirchen“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte bereits am Dienstag Kritik an Freikirchen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Covid-Maßnahmen in seinem Bundesland auf einer Pressekonferenz durchscheinen lassen. Am Dienstag bemängelte Ramelow, dass sich „freikirchliche Kirchengemeinden“, die nach seinen Worten „nicht an einer der großen Organisationsformen“ angegliedert sind, in den „freiwilligen Selbstverpflichtungen nicht einbezogen sind, sich auch nicht einbeziehen lassen“. Diesen Gemeinden will der Ministerpräsident nach eigenem Bekunden „die Chance“ bieten, jetzt mit den zuständigen Behörden – Ramelow nannte Ordnungsamt und Gesundheitsamt – zu erörtern, „wie die Regeln sind“. Ramelow sprach in dem Zusammenhang von „Superspreader-Events“, die es gegeben habe in „solchen Gottesdienstformen […] wo wir dringend empfehlen, dass man sich vorher abstimmt“.
Die mitteldeutsche Kirchenzeitung „Glaube & Heimat“ sprach am Dienstag hingegen von „scharfer“ Kritik des Ministerpräsidenten zur „Rolle der Freikirchen in der aktuellen Corona-Pandemie“ (pro hatte unter Bezug auf die Zeitung zunächst ähnlich berichtet). Dem hat der thüringische Ministerpräsident am Mittwoch auf Twitter widersprochen. Es handle sich um einen „Appell“ an die Adresse der freikirchlichen Gemeinden, sich „mit den zuständigen Behörden abzustimmen“.
Nach Meinung des Politik-Beauftragten der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Uwe Heimowski, habe sich Ramelow mit seiner Kritik an den Freikirchen „vergaloppiert“. Gegenüber „Glaube & Heimat“ wehrte sich Heimowski am Mittwoch gegen die Pauschalierung. „Es mag einzelne Kirchgemeinden gegeben haben, die Gottesdienste ohne Hygienekonzept abgehalten haben. Aber diverse Verlautbarungen von Kirchenleitungen, etwa der Baptisten, der Adventisten sowie der Vereinigung evangelischer Freikirchen (VEF) oder der Evangelischen Allianz in Deutschland strafen den Ministerpräsidenten Lügen.“ Nach Heimowskis Angaben sei bei den offiziellen Gesprächen im Innenministerium des Bundes ein Vertreter der VEF anwesend gewesen.
Die DEA hatte im November 2020 gemeinsam mit Vertretern von Kirchen, Freikirchen und Werken „Gedanken zu Herausforderungen in der gegenwärtigen Corona-Krise“ formuliert. Darin steht: „Wir sind dankbar, dass das Grundgesetz das Grundrecht der ‚ungestörten Religionsausübung‘ gewährleistet. Dieses Grundrecht gewinnt gerade in Krisenzeiten an Bedeutung. Menschen suchen in Zeiten großer Verunsicherung und Existenzängste Trost und Halt, zum Beispiel in Gottesdiensten. Wir wollen achtsam mit diesem Grundrecht umgehen, auf geltende Ordnungen achten und auf keinen Fall durch Leichtfertigkeit zu einer verstärkten Corona-Verbreitung beitragen.“ Gegenüber der Kirchenzeitung erklärte Heimowski: „Die Freikirchen übernehmen Verantwortung für dieses Land. Niemand hat das Recht, sie so pauschal zu diskreditieren.“
Von: pro