Das Coronavirus mache deutlich, wie nutzlos die Kirche geworden ist. Das schreibt Gerhard Wegner, früherer Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland, in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Religiös Hilfreiches zum Umgang mit der Pandemie sei von ihnen nicht zu hören gewesen, fährt er fort. „Gleich zu Beginn der Pandemie haben es die Bischöfe auf den Punkt gebracht: Gott habe mit Covid-19 nichts zu tun. Damit schossen sie sich selbst aus allen Debatten zur Bewältigung der Krise raus.“ Selbst regelmäßige Totenwachen stellvertretend für die Verstorbenen habe es nicht gegeben – damit hätten die Kirchen eine zivilreligiöse Funktion wahrnehmen können. Stattdessen hätten sie sich auf „geistliche Digitalangebote für die Gemeinde“ konzentriert.
Kirche ist überflüssig geworden, stellt Wegner fest. Das habe Corona gezeigt, sei aber längst keine neue Entwicklung. Er erklärt das aus soziologischer Perspektive: In einer ausdifferenzierten Gesellschaft sind demnach Religion und Kirche nicht notwendig für die anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft funktionieren auch ohne sie. Ebenso Kultur und Soziales: Nützlich seien die Einrichtungen der Kirche und Diakonie durchaus, aber es brauche sie nicht, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Glück können Menschen außerhalb der Konfessionen finden, auch für die Erklärung des Bösen spiele Gott keine Rolle mehr, heißt es in dem Artikel.
Warum sollte man sich dann überhaupt auf die Kirche einlassen? Es gebe immer weniger Anlass, aus nichtreligiösen Beweggründen religiös zu sein, also von außen in die Religion hineinzukommen, erklärt Wegner mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann. „Sie löst keine Probleme in der Welt.“ Und: „Die Sündhaftigkeit des Menschen leuchtet nur denjenigen ein, die von ihr erlöst worden sind.“
Wegner stellt klar, dass Religion deshalb aber nicht sinnlos ist. Ihre „Sichtachsen zum Himmel“ hätten das Potenzial, die Welt gewissermaßen von außen zu beobachten und das, was darin als bedeutsam gilt, zu relativieren: „Dann muss die Steigerung des eigenen Lebens, der Machtgewinn des Egos oder die totale Vermarktlichung der Welt nicht das Letzte sein.“ Es ließe sich ergänzen: Auch Gesundheit muss dann nicht das höchste Gut und Tod der finale Feind sein. Religion eröffne neue Perspektiven, erklärt Wegner und sieht das Virus theologisch als Versuchung: „ein Test darauf, Glaube, Liebe und Hoffnung nicht zu verlieren“. Dem standzuhalten, sei der Beitrag, den Christen zur Bewältigung der Krise leisten können.
Von: Jonathan Steinert