„Lasst uns Dinge mutig ausprobieren“

In einem Online-Barcamp haben sich am Wochenende Multiplikatoren der Jugendarbeit Gedanken über die Zukunft der Kirche gemacht. pro hat bei einem der Initiatoren, Florian Karcher von der CVJM-Hochschule Kassel, nachgefragt, was seine wichtigsten Erkenntnisse waren und warum Kirche Jugendlichen einen Raum zum Experimentieren geben sollte.
Von PRO
Sechs Personen haben das CVJM-Barcamp organisiert und Impulse für die Jugendarbeit der Zukunft gegeben

pro: Herr Karcher, wenn Sie an gelungene kirchliche Projekte der Jugendarbeit denken, was kommt Ihnen in den Sinn?

Florian Karcher: Ich denke dabei in erster Linie an Projekte, die jungen Menschen einen Freiraum geben, um Dinge zu gestalten, auszuprobieren und Neues zu schaffen. Außerdem sind es häufig Ideen, die ihren gesellschaftlichen Kontext, die Region oder den Stadtteil im Blick haben und hinhören, wo der jeweilige Bedarf vor Ort ist.

Unter welchen Voraussetzungen haben Kirche und Jugendarbeit eine Zukunft?

Neben dem Hören auf den konkreten Kontext, ist die wichtigste Voraussetzung, dass Kirche und Jugendarbeit sich neu ihrem Sendungsauftrag, also ihrer Mission, bewusst werden und sich darin verorten. Wir müssen immer wieder neu fragen, was es heißt, Teil von Gottes Mission zu sein, und was das konkret für uns bedeutet. Das kann ja ganz unterschiedlich aussehen.

Am Samstag haben Bischöfin Beate Hofmann (Evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck) und Karsten Hüttmann (CVJM Deutschland) Impulse gesetzt. Wo lagen deren Schwerpunkte?

Die Bischöfin hat zunächst das Thesenpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland mit seinen Leitsätzen als „Sprungbrett“ genutzt, um allgemein über die Zukunft von Kirche und Jugendarbeit zu diskutieren. Sie hat den missionalen Charakter der Kirche unterstrichen. Kirche soll der Sendung Gottes in die Welt folgen und das in möglichst vielfältigen Formen. Wenn sie Räume für Neues öffnet, bedeutet dies keine Abwertung des Bewährten. Sie erhofft sich einen „Push für Innovationen“, um neue Wege zu gehen.

Und Karsten Hüttmann?

Er hat selbstkritisch eingeräumt, dass unsere Jugendarbeit meist auf bestimmte Milieus verengt ist. Er hat dazu ermutigt, Form und Sprache unserer Arbeit zu hinterfragen. Die Jugendlichen haben völlig unterschiedliche religiöse Sozialisationen. Zudem soll Jugendarbeit Räume zur Verfügung stellen, um christliche Spiritualität zu erfahren, die Jugendliche zu Hause nicht mehr erleben. Jugendarbeit soll Laborcharakter haben. Sowohl Hüttmann als auch Hofmann haben betont, dass eine zukunftsfähige Jugendarbeit über konfessionelle und Verbandsgrenzen hinweg denkt.

Sie haben gemeinsam Erfahrungen geteilt. Wo lag der Schwerpunkt des Austauschs?

Die Teilnehmer haben diskutiert, wie in der Jugendarbeit Orte entstehen, an denen Menschen Glauben entdecken können, ohne dass sie bestimmte christliche Narrative mitbringen müssen. Außerdem ging es darum, wie Kirche ihre Struktur verändern muss, damit Neues möglich wird, und welche Grundlagen für eine missionale Kirche wichtig sind. Mit dem Barcamp wollten wir vor allem erreichen, dass unterschiedliche Ideen ausgetauscht werden und Vernetzung geschieht. Das haben die Teilnehmenden genutzt und müssen die Erkenntnisse und Kontakte jetzt für ihre Situation fruchtbar machen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat im Juni 2020 elf Leitsätze veröffentlicht. Inwiefern hatte die Kirche dabei die Jugend im Blick?

Die Bischöfin hat klar gemacht, dass bald eine überarbeitete Version der Leitsätze veröffentlicht wird. Diese enthält auch einen Absatz über die junge Generation. Viel wichtiger als die Frage, welche Gruppen in dem Papier vorkommen, finde ich aber den Punkt, dass es eine grundsätzliche Neuausrichtung gibt, die der Jugendarbeit zugute kommt. Wir müssen junge Menschen in den Blick nehmen. Sie bringen das Innovationspotenzial mit, um neue Formate und Ideen und die Kirche der Zukunft zu entwickeln.

Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus dem Online-Barcamp mitnehmen?

Für mich ist wichtig, dass auf vielen Ebenen, von der Bischöfin bis zum Ehrenamtlichen, Antworten auf die Fragen der Zukunft gesucht werden und es immer mehr Experimente gibt, wie zum Beispiel die Bewegung Fresh X oder Erprobungsräume für neue Formate. Wir sollten uns hier nicht entmutigen lassen. Kirche und Jugendarbeit haben Zukunft, auch wenn der aktuelle Prozess anstrengend ist und sicher auch Rückschläge bereithält. Aber es ist ein großer Transformationsprozess, den wir gestallten dürfen.

Was ist die größte Herausforderung beim Blick in die Zukunft?

Wir sollten den Wunsch nach Veränderung und Innovation jetzt ernst nehmen und die Bedingungen dafür anpassen. Wir müssen jetzt aktiv werden und nicht erst 2030. Außerdem dürfen wir den Wandel nicht zerreden. Wichtig ist, dass wir Dinge mutig ausprobieren.

Wie kann es gelingen, diese Transformation zu gestalten?

Für uns an der CVJM-Hochschule heißt das konkret, dass wir mit einer Weiterbildung in Menschen investieren wollen, die in Gemeinde und Jugendarbeit neue Schritte wagen. Außerdem arbeiten wir an einer digitalen Toolbox, die vor Ort helfen soll, Jugendarbeit neu zu denken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Florian Karcher ist Professor für Religions- und Gemeindepädagogik an der CVJM-Hochschule in Kassel und lehrt und forscht dort zu Themen der Jugendarbeit und neuen Formen von Kirche (Fresh X). Foto: privat
Florian Karcher ist Professor für Religions- und Gemeindepädagogik an der CVJM-Hochschule in Kassel und lehrt und forscht dort zu Themen der Jugendarbeit und neuen Formen von Kirche (Fresh X).

Die Fragen stellte Johannes Blöcher-Weil

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