Zukunftspapier der Kirche sorgt für Diskussionen

Die Evangelische Kirche in Deutschland denkt über ihre Zukunft nach. In einem Positionspapier hat sie dafür elf Leitsätze geliefert. Die Thesen sollen im Rahmen der EKD-Synode im November diskutiert werden. Bereits jetzt gibt es viel Kritik, aber auch Unterstützung.
Von PRO
Die Kirchen wollen sich für die Zukunft rüsten und sich der Realität stellen, dass sie in ihren Reihen mitgliedertechnisch einen großen Aderlass zu verzeichnen haben

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat Anfang Juli einen Entwurf für Reformen in der Struktur und Ausrichtung vorgelegt. Die „Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ beschäftigen sich unter anderem mit den Themen Frömmigkeit, Mission, Ökumene, Leitung und Strukturen – und sorgen für Diskussionen.

Das Urteil des Wiener Theologen Ulrich H. J. Körtner dazu fällt hart aus. Der Professor für Systematische Theologie bemängelt in einem Beitrag der Zeit-Beilage Christ und Welt, dass darin kein Wort über Tod und Auferstehung stehe.

„Existenzrelevant ist eine Kirche, die eine Antwort auf die Frage gibt, was nach christlicher Überzeugung der einzige Trost im Leben und im Sterben ist. Dazu vernimmt man im Text nur dröhnendes Schweigen“, schreibt Körtner. Ein Positionspapier mit dem Titel „Kirche auf gutem Grund“ müsse darauf verweisen, auf wen sie baue: „Kein Wort von Sünde und Vergebung, es sei denn nur von Schuld in einem moralischen Sinne, aber nicht als Synonym für eine zerrüttete Gottesbeziehung. Kein Wort von Gottesferne oder davon, dass Gott in irgendeiner Weise fehlen könnte.“

Auch Gottes lebendiges Wirken in Welt und Kirche komme in dem Papier kaum vor. Körtner sieht es so, dass darin Gott und seine Verheißungen nur als Chiffre für die Motivation für ein ethisches Programm der Humanität dienten, das sich auch säkular vertreten lasse. Kirche als religiöse, aber ganz diesseitsorientierte soziale Bewegung schaffe sich ab: „Sie droht den beschworenen guten Grund unter ihren Füßen zu verlieren.“

Kein kirchliches Ruinenfeld hinterlassen

Dem ehemaligen Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Gerhard Wegner, ist der Text zu wenig präzise. Wenn mit dem Papier die Preisgabe der ortskirchlichen Gemeindestruktur verbunden sei, sorge dies für ein „kirchliches Ruinenfeld aus verlassenen Dorfkirchen und verkauften Pfarrhäusern“, schreibt der evangelische Theologe in der evangelischen Zeitschrift zeitzeichen. Wer sich in Zukunft stärker auf die Glaubensweitergabe und das Zugehörigkeitsgefühl konzentrieren wolle, könne dies nur gemeinsam mit den Ortskirchengemeinden tun.

Ebenfalls kritisch sieht der Bochumer Theologe Günter Thomas die Aussagen über die Zukunft der Ortskirchengemeinde. Der Systematische Theologe schrieb in zeitzeichen: „Die in den strukturellen Passagen der elf Leitsätze überall durchscheinende Option für die vermeintlich am Puls der Zeit agierende NGO-Bewegungskirche ist schlicht selbstzerstörerisch für die Kirche.“ Ohne lebendige Ortsgemeinden werde die Kirche untergehen.

Keine Gegensätze zwischen Kirche und Diakonie aufbauen

In der Leipziger Zeitung kommentiert der pensionierte Pfarrer Christian Wolff das Papier als sprachliches wie inhaltliches „Zeugnis einer horrenden Armseligkeit kirchenleitenden Handelns“. Eine Verabschiedung dieser Leitsätze käme einer Bankrotterklärung der Evangelischen Kirche gleich. Körtner sei zuzustimmen, wenn er in den „Elf Leitsätzen“ biblische Bezüge und zentrale Glaubensaussagen vermisse.

Es gehe aber nicht darum, wie jener es tue, einen Gegensatz von Glaube und Diakonie aufzubauen. Ganz im Gegenteil müssten Glaubensbildung und konkretes Handeln vor Ort verbunden werden. Weder die „Elf Leitsätze“ noch Körtners Kritik könnten etwas Wesentliches zu dem beitragen, was Kirche vor allem ausmache: „Die sich vor Ort versammelnde Gemeinde und der Gottesdienst als Quelle von Gewissheit, um Glauben im Alltag zu leben“.

Die Journalistin Hannah Bethke kommentierte am 13. Juli in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass bei einer Umsetzung des EKD-Papiers fast nichts mehr so bleibe, wie es ist. Es verdeutliche, dass die Glaubenskrise unaufhaltbar sei. Die Sichtbarkeit der Kirche werde sich stark verändern, wenn sie, wie in dem Papier gefordert, „neue Formen von Gemeinde“ erprobt, „dezentrale Formate“ entwickelt und „kirchliche Lebenspraxis“ flexibilisiert und individualisiert. Es sei ungewiss, wie religiöse Gemeinschaft überhaupt noch entstehen solle, wenn die kirchlichen Strukturen derart fragmentiert seien.

Endgültige Entscheidung trifft die Synode

Der Journalist Hanno Terbuyken beschreibt in seinem Debattenbeitrag auf der Online-Plattform Medium.com, dass es sich bei dem EKD-Papier um einen wichtigen Schritt nach vorne handele. Die Kirche habe sich vom Paradigma eines „Wachsens gegen den Trend“ verabschiedet und grundlegende Realitäten anerkannt. Darauf aufbauend habe das „Z-Team“, welches die Vorschläge für das Papier erarbeitet hat, grundlegende Anfragen an die derzeitige Form der Kirche gestellt.

Der Vizepräsident im Kirchenamt der EKD, Thies Gundlach, verteidigte das Papier im Interview des Domradio. Die Kirche der Zukunft müsse moderner und flexibler sein. Gundlach spricht von einer „agilen Kirche“. Kernauftrag bleibe es weiterhin das Evangelium zu hören und bekennen: „Wir definieren unsere Kirche nicht als Institution, sondern über diese Aufgabe.“ Das Diskussionspapier zeige eine Entwicklungsrichtung, mit der er nicht unzufrieden sei.

Die aktuell geführte Debatte mit ihren Anregungen soll, wenn sie zielführend ist, noch in das Papier eingearbeitet werden. Die Synode im November wird dann die endgültige Entscheidung über das Papier treffen. Danach geht es darum, das Ganze umzusetzen.

Von: Johannes Blöcher-Weil

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