Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) denkt über eine Senkung der Kirchensteuer für bestimmte Gruppen nach. Das sagte der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, in einem Interview der Tageszeitung Die Welt. „Viele junge Menschen sind mit Studium und Ausbildung beschäftigt, verlieren womöglich den Kontakt zur Kirche. Und wenn sie dann ihr erstes Gehalt bekommen, fragen sie sich, warum sie Kirchensteuern zahlen sollen und treten aus.“ Innerhalb der EKD werde nun diskutiert, ob daher für Berufseinsteiger die Kirchensteuer ausgesetzt oder reduziert werden sollte. Ziel sei es, die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen „in möglichst hoher Zahl in der Kirche zu halten“.
Auch könnte zukünftig auf Menschen in „bestimmten Lebenssituationen, die das Kirchenrecht bisher nicht vorsieht, die menschlich aber nachvollziehbar sind“, Rücksicht genommen werden, kündigte Bedford-Strohm an. Die Überlegungen stehen im Zusammenhang mit dem Zukunftspapier „Kirche auf Gutem Grund“. Darin werden elf Leitsätze für Reformen in der Struktur und Ausrichtung der EKD diskutiert.
Im vergangenen Jahr sind 270.000 Menschen aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Wegen der Corona-Krise erwartet die EKD außerdem einen starken Rückgang der Kirchensteuer.
Kirchliche Seenotrettung führt zu positivem Bild der Kirche
Die Ursache für den Mitglieder-Rückgang sieht Bedford-Strohm nicht in einem Bedeutungsverlust des Glaubens, sondern in der Kirche selbst. Es sei nicht gelungen, die „Bedeutung des Glaubens zu vermitteln“. Menschen ließen sich Themen wie Dankbarkeit, Rat oder Vergebung aus Glücksratgebern erklären. All das sei aber in „der Jahrtausende alten christlichen Tradition längst ausgelegt“. Aufgabe der Kirche sei es, die Relevanz der Bibel wieder besser sichtbar zu machen. Dazu gehöre auch, politisch aktiv zu sein.
Überrascht sei Bedford-Strohm von den Reaktionen auf das Engagement der EKD zur Seenotrettung im Mittelmeer gewesen, sagte er im Interview. Zwar habe er viel negative Kritik erwartet, sei aber umso erfreuter von der „Welle an Sympathie“ gewesen. „In Briefen, Mails und Facebook-Kommentaren sprechen Menschen ihre Dankbarkeit aus, betonen, noch nie so stolz auf ihre Kirche gewesen zu sein. Für Etliche ist das Engagement im Mittelmeer sogar ein Grund, einzutreten oder aber doch nicht auszutreten, weil die Kirche ihrer Ansicht nach ‚endlich‘ etwas tut.“
Von: Martin Schlorke