pro: Sie leiten seit vergangenem Jahr die Stabsstelle Digitalisierung bei der EKD und kommen eigentlich aus der Wirtschaft. Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Amt gekommen?
Christian Sterzik: Ich habe das Stellenangebot der EKD gesehen und mich da hineinverliebt. In meinem letzten Job war ich als Führungskraft für viele verschiedene Sachen zuständig und eine davon war Digitalisierung. Hier bei der EKD steht Digitalisierung im Fokus. Also das, was mir fachlich die größte Freude macht. Außerdem ist mir Kirche unglaublich wichtig. Deshalb ist der Job für mich der Hauptgewinn.
Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?
Wir haben die froh machende Botschaft von der Liebe Gottes, die wir Menschen weitersagen wollen. Die Digitalisierung eröffnet riesige Möglichkeiten, das zu tun. Da brauchen wir Hände an Deck, die helfen, das umzusetzen.
Eine Bestandsaufnahme: Wie ist es derzeit um das Thema Digitalisierung in der EKD bestellt?
Unterschiedlich. Auf der Ebene der Kirchengemeinden haben wir teilweise junge Ehrenamtliche, die innovative, pfiffige Ideen haben. Auf der institutionellen Ebene sind wir hinter der Wirtschaft ein bisschen zurück. Da holen wir aber schnell auf. Wir haben letzten Monat ein Videokonferenzsystem eingeführt. In der Wirtschaft gibt es das seit zehn, zwanzig Jahren. Bei uns erst jetzt, aber jetzt können wir damit Webinare anbieten, Vernetzung zu wichtigen Themen voranbringen. Wir holen Schritt für Schritt die Dinge nach, die nachzuholen sind und entwickeln Vorhandenes weiter. Teilweise setzen wir auch ganz moderne Pilotprojekte um.
Welche Projekte sind das?
Zum Beispiel das Projekt „Kirche bei dir“. Das richtet sich an Menschen, die einen Gottesdienst suchen. In den letzten 15 Jahren haben viermal so viele Menschen den Begriff „Gottesdienst“ gegoogelt wie davor. Die finden nicht immer eine Kirche. Bei den Suchergebnissen stehen Sekten teilweise ganz weit oben, weil die sich viel Mühe machen, gut gefunden zu werden. „Kirche bei dir“ haben wir mit der Evangelischen Kirche im Rheinland gestartet. Über 700 Kirchen sind dort jetzt richtig gut im Netz auffindbar. Mehr als eine Million Menschen haben diese Kirchen jetzt im Netz gesehen. Vorher waren es etwa 250.000. Mehr als verdoppelt hat sich in einem Monat die Zahl der Menschen, die mit dem Smartphone über Google Maps zu den Kirchen navigieren. Vorher haben etwa 2.300 dem Navi gesagt: „Bring mich zur Kirche.“ Jetzt sind es über 6.000 monatlich.
Bei den Evangelischen Medientagen im September haben Sie gesagt, dass es auf YouTube mehr konservative Angebote als liberale gibt, und dass persönliche Angebote stärker genutzt werden als institutionelle. Was bedeutet das für die Kanäle der EKD?
Wir haben gelernt, dass Kommunikation in den Sozialen Medien sehr gut über Einzelpersonen funktioniert. Institutionen haben es da viel schwerer. Deshalb ist es wichtig, dass Einzelne dort von Kirche und vom Glauben erzählen. Wir haben 21 Millionen Mitglieder in Deutschland, das sind gefühlt 21 Millionen Meinungen. Denen allen gerecht zu werden, würde jede Einzelperson überfordern. Deswegen startet Anfang nächsten Jahres ein größeres Netzwerk mit verschiedenen Profilen. Da wird sowohl für konservative als auch für liberale Geschmacksrichtungen was dabei sein. Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) wird ein Multi-Channel-Network starten. Die vielen christlichen Influencer, die es gibt, sollen unterstützt und mehrere Positionen gestärkt werden.
Was sind für Sie besonders gelungene christliche Digitalangebote, von denen Sie sich mehr wünschen?
Auf der institutionellen Ebene finde ich rpi-virtuell richtig gut. Das ist ein religionspädagogisches Institut. Die haben schon vor vielen Jahren eine Plattform gebaut, bei der 50.000 Religionspädagogen in Deutschland registriert sind. Religionslehrer, Konfirmandenunterrichtslehrer und viele andere können sich darüber austauschen, wie man Wissen vom Glauben weitergeben kann, und sich gegenseitig helfen. Auf der individuellen Ebene gefällt mir Pastor Gunnar Engel sehr gut. Der Pastor aus der Nordkirche erklärt den Menschen auf YouTube, wie Beten geht, wie man in der Bibel liest und hat teilweise 15.000 Aufrufe pro Video. Das zeigt, dass jeder aus der eigenen Wohnung heraus ein relevantes Angebot etablieren kann.
Viele digitale Angebote kann man dem freikirchlichen und evangelikalen Sektor zuordnen. Gefühlt sind es mehr als die der Landeskirchen. Machen die Evangelikalen etwas besser?
Über besser oder schlechter will ich nicht urteilen. Wir haben eine Erhebung von 300 Podcasts gemacht über die Angebote, die bei iTunes in Deutschland unter „Religion/Christentum“ gerade beliebt sind. Dazu haben wir 36.000 Podcast-Folgen analysiert. Da sind auf den ersten Blick viel mehr freikirchliche Inhalte drin als landeskirchliche. Aber viele Freikirchen stellen einfach jede Woche ihre Gottesdienste rein. Für landeskirchliche Gottesdienste gibt es vom Bayerischen Rundfunk zum Beispiel einen aufwändig produzierten Podcast. Aber ja: Beim Thema Menge haben wir was nachzuholen. Da sind wir zum Beispiel mit der Deutschen Bibelgesellschaft im Gespräch, um neue Angebote in die Medienlandschaft zu bringen.
Könnten EKD und Freikirchen zusammenarbeiten, um digital stärker zu werden?
Ich kann mir da viel vorstellen. Aber man muss schon auch genau hinschauen, wo das gut geht und wir auch theologisch gemeinsame Nenner finden. Die Landeskirchen der EKD und die Freikirchen haben teils durchaus unterschiedliche theologische Positionen, über die wir diskutieren. Aber die Menschen, die Gott nicht kennen, gucken ganz anders auf uns. Die verstehen teils gar nicht, warum wir heute überhaupt Christinnen und Christen sind. Den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch verstehen viele schon gar nicht mehr. Mich würde es deshalb freuen, wenn wir schauen, wie wir Menschen, die Gott nicht kennen, von ihm erzählen können. Der Glaube ist für unsere Zeit heute hochrelevant. Und deshalb gehen wir die Kooperationsmöglichkeiten ganz gezielt auch in der internationalen Ökumene an. Zurzeit sind wir mit der Church of England im Gespräch. Die Anglikaner haben ein digitales Labor, das sie drei Jahre vor uns gestartet haben. Und wir sind auch im Gespräch mit der reformierten Kirche in der Schweiz. Es ist ja schade, wenn jeder das Rad für sich neu erfindet, obwohl man gut nutzen könnte, was andere schon entwickelt haben.
Wie kann Kirche im Zeitalter von Fake News, Hasskommentaren und ähnlichem eine positive Stimme im Netz sein?
Die Church of England hat es uns vorgemacht. Die haben dieses Jahr digitale Werteempfehlungen herausgegeben. Diese Empfehlungen laden Menschen zu einer Selbstverpflichtung auf digitale Grundwerte gegen Hass und Fake News im Netz ein. In der Stabstelle kümmern wir uns gerade darum, wie solche Empfehlungen bei uns aussehen könnten. Der Grundgedanke lautet: Liebe Menschen, wenn ihr im Internet miteinander redet, bedenkt, dass auf der anderen Seite immer ein Mensch sitzt. Seid höflich, auch wenn ihr eine andere Meinung habt. Die christlichen Werte, die wir im Zwischenmenschlichen beherzigen, gelten auch im Netz.
Was wünschen Sie sich von Kirche im digitalen Zeitalter?
Eine Aufbruchsstimmung, dass wir uns etwas mehr trauen. Die technische Entwicklung schreitet so schnell voran. Hier können wir nicht überall perfekte Lösungen am Reißbrett entwerfen, sondern müssen auch ausprobieren und „auf Sicht fahren“. Mit Mut und Verantwortungsbewusstsein können wir auch hier etwas erreichen. WhatsApp, Facebook und Twitter sind datenbezahlte Geschäftsmodelle und es gibt ethische Probleme, bei denen wir als Kirche wachsam sein müssen. Aber wir müssen auch die Menschen erreichen und draußen sein.
Wie nutzen Sie die Sozialen Netzwerke persönlich?
Ich nutze sie viel. Gerade bei Twitter vernetze ich mich mit anderen Akteuren unter #digitalekirche. Das ist ein ganz toller Austausch. Neulich kam eine Statistik raus darüber, wie viel junge Menschen im Internet unterwegs sind: Sechs Stunden pro Tag. Ich habe dann getwittert: „Moin, digitale Kirche, wie viele Minuten von den sechs Stunden kriegen die denn unsere froh machende Botschaft von der Liebe Gottes mit?“ Da kamen viele Antworten und Vorschläge, über 2.000 Leute hatten das am Ende angesehen. Es ist einfach toll zu sehen, wie sich die Leute vernetzen und Dinge nach vorne bringen. Ich nutze die Sozialen Medien aber auch wachsam. Bei Facebook gehe ich behutsam mit den Daten meiner Mitmenschen um, und poste meist Bilder, auf denen keine Personen erkennbar sind.
Danke für das Gespräch!
Christian Sterzik, Jahrgang 1976, leitet seit 2018 die Stabsstelle Digitalisierung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Außerdem ist er Projektkoordinator von „Kirche im digitalen Wandel“. Sterzik war zuvor als Manager im Bankwesen tätig.
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Die Fragen stellte Swanhild Zacharias