Betroffene sollen beim Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche beraten

Ein zwölfköpfiger Betroffenenbeirat soll die Evangelische Kirche in Deutschland dabei unterstützen, sexuellem Missbrauch in der Kirche beizukommen. Das hat Bischöfin Kirsten Fehrs auf der Synode in Dresden angekündigt.
Von Norbert Schäfer
Bischöfin Kirsten Fehrs hat der Synode über den Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der EKD berichtet

Die evangelische Kirche will zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen die Zusammenarbeit mit Betroffenen weiter ausbauen. Das geht aus dem Synodenbericht des Beauftragtenrates zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an die Synode in Dresden hervor. Nach Angaben der Sprecherin des Beauftragtenrates, Bischöfin Kirsten Fehrs, soll ein zwölfköpfiger Betroffenenbeirat im Frühjahr 2020 eingesetzt sein und seine Arbeit aufnehmen. Dieser Beirat soll sich kritisch in den Aufarbeitungsprozess in der Kirche einbringen. „Wir wollen der Forderung nach indivdueller Aufarbeitung nachkommen“, erklärte Fehrs vor der Synode.

Bei der zentralen unabhängigen „Anlaufstelle.help“, die am 1. Juli 2019 ihre Arbeit aufgenommen hatte, sind dem Bericht zufolge bislang 210 Anrufe eingegangen. Weil zudem die Vereinzelung der Betroffenen in der evangelischen Kirche ein Problem ist, soll ein Betroffenen-Netzwerk Hilfe und Beratung anbieten. Für den weiteren Prozess der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt hat die EKD rund 1,3 Millionen Euro für die Maßnahmen des Elf-Punkte-Handlungsplans beschlossen, zudem seien nach Angaben von Fehrs zusätzliche Mittel für diesen Bereich in Höhe von rund einer Million Euro in Aussicht gestellt worden.

770 Fälle sind bekannt

In dem Synodenbericht erklärte Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamtes der Evanglisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Mitglied im EKD-Beauftragtenrat, dass derzeit in der evangelischen Kirche und der Diakonie rund 770 Fälle bekannt seien. Auf der Herbstsynode vor einem Jahr waren es noch 479 Fälle. „Aufarbeitung ist nicht nur eine Frage synodaler Beschlüsse“, erklärte Fehrs, und weiter: „Wir wollen nicht die Täter schützen, sondern die Betroffenen.“

Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamtes der Evanglisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Mitglied im EKD-Beauftragtenrat, musste der Synode mitteilen, dass 770 Fälle sexualisierter Gewalt in der EKD bekannt geworden sind Foto: pro/Norbert Schäfer
Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamtes der Evanglisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Mitglied im EKD-Beauftragtenrat, musste der Synode mitteilen, dass 770 Fälle sexualisierter Gewalt in der EKD bekannt geworden sind

Mittels einer Gewaltschutzrichtlinie will die EKD nun erreichen, dass in allen Landeskirchen verbindliche Maßnahmen festgelegt werden, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen und zu bekämpfen. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag sagte Fehrs dazu: „Die Kritik an der unterschiedlichen Herangehensweise ist verständlich. Das ist für viele Betroffene nicht nachvollziehbar.“ Die Richtlinie sieht auch vor, dass in allen Landeskirchen entsprechende Meldestellen geschaffen werden, die im Verdachtsfall angerufen werden können.

Erinnerung: „Null-Toleranz“ bei sexuellem Missbrauch

Kerstin Claus, Missbrauchsopfer und Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), hat vor der Synode daran erinnert, dass der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm auf der Synode vor einem Jahr zu „Null-Toleranz“ im Fall sexuellen Missbrauchs aufgerufen hatte. Nach Claus’ Einschätzung sind die Täter in den Reihen der EKD jedoch bislang kaum belangt worden. In einem ihr bekannten Fall sei ein Täter – es handele sich um einen Pfarrer – mit Tauffragen und der Seelsorge in einer Gemeinde betraut.

Kerstin Claus, selber Missbrauchsopfer, erinnerte die Synode an das „Null-Toleranz Foto: pro/Norbert Schäfer
Kerstin Claus, selber Missbrauchsopfer, erinnerte die Synode an das „Null-Toleranz“-Versprechen beim Umgang mit sexuellem Missbrauch

Claus forderte, dass Tätern der Verkündigungsdienst versagt wird. Sie sprach sich gegen die Stigmatisierung als Opfer aus. „Um Prozesse in der Kirche und der Gesellschaft voranzubringen, braucht es das Fachwissen der Betroffenen“, erklärte sie. Konzepte ohne die Expertise der Betroffenen können ihrer Ansicht nach nicht funktionieren. Die Synode habe zugelassen, dass dieses Wissen innerhalb der Kirche nun greifen könne.

Den Prozess, in den man getreten sei, wertete Claus zunächst höher als die Frage nach Entschädigungszahlungen. „Die Lebenslasten der Betroffenen ab dem Zeitpunkt, ab dem über sie verfügt wurde, hat auch wirtschaftliche und gesundheitliche Folgen“, sagte Claus. Über Zahlungen müsse im Zuge des Dialogs zwischen Kirche und Betroffenen daher debattiert werden. Als problematisch erachtet Claus, dass der Nachweis der Taten schwer sei. Vor diesem Problem stehe auch das staatliche System, jedoch müsse die Kirche aus ihrem Selbstverständnis heraus an einer Lösung des Problems gelegen sein. Claus bemängelte zudem, dass bei der EKD und in den Landeskirchen ein organisatorischer und fachlicher Unterbau zur Prävention bislang fehlten.

„Entschlossenheit für eine umfassende Aufarbeitung“

Um den tatsächlichen Umfang des Missbrauchs in den eigenen Reihen zu ergründen, plant der Beauftragtenrat die Durchführung einer Dunkelfeldstudie. Nach Blums Angaben wünscht der Beauftragtenrat dazu die Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und anderen interessierten Verbänden und Organisationen. Ein Ziel der Aufarbeitung soll sein, das Schweigen über sexualisierte Gewalt zu brechen. Dazu strebt der Beauftragtenrat der EKD unter anderem eine stärkere Vernetzung mit anderen Einrichtungen und Institutionen an.

Die Mitglieder des Kirchenparlaments stellten sich auf der Synode und in Workshops mit Betroffenen der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt. „Damit wurde ein sehr erfreulicher Meilenstein gesetzt“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig, der Beauftragte der Bundesregierung. „Ich sehe Ihre Entschlossenheit für eine umfassende Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, von sexuellem Missbrauch im Verantwortungsbereich der EKD, im Verantwortungsbereich der Landeskirchen, der Kirchengemeinden und auch der diakonischen Einrichtung“, sagte Rörig am Dienstag in einem Vortrag vor der Synode.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig Foto: pro/Norbert Schäfer
Der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig

Auch im Jahr 2009 sei sexuelle Gewalt für viele Mädchen und Jungen in Deutschland trauriger Alltag, zumeist in ihren Familien. Betroffene litten oft wegen der Untätigkeit aus dem Umfeld. Rörig erklärte, dass sexuelle Gewalt im sozialen Umfeld vermehrt durch Gleichaltrige erfolge. „Viele neue Komplexe und Gefährdungen sind jetzt durch die digitalen Medien hinzugekommen“, sagte der Beauftrage. Im Internet gebe es bislang keinen wirksamen Kinder- und Jugendschutz. Rörig fordert, dass Kinder während ihrer gesamten Schulzeit „auf ihrem Weg in die digitale Welt unbedingt medienpädagogisch stärker begleitet werden“ müssen. Dabei gehe es auch um die Vermittlung grundlegender Werte wie Menschlichkeit und Respekt.

In diesem Jahr steht die Herbstsynode der EKD unter dem Motto: „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“. Bei der Tagung des Kirchenparlamentes in Dresden beraten die 120 Delegierten vier Tage lang über Gerechtigkeit und Frieden sowie die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den EKD-Gliedkirchen. Die Synode in Dresden tagt noch bis zum Mittwoch.

Von: Norbert Schäfer

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