Wolfgang Huber: „Beim Klimawandel ist Panik kein guter Ratgeber“

Ein mündiger Christ sollte sich angesichts des Klimawandels nicht einer Panik vor Untergangsszenarien hingeben. Manche Entwicklungen würden geradezu „religiös interpretiert“, erklärt der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber im Interview der Zeitung Die Welt.
Von Jörn Schumacher
Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber

Der Theologe Wolfgang Huber hat mit „Auf dem Weg zur Freiheit“ eine Biographie über den Widerstandskämpfer und Theologen Dietrich Bonhoeffer veröffentlicht. Bonhoeffer gehörte dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus an und wurde deswegen am 9. April 1945 hingerichtet. Das biografische Porträt Hubers sei auch eine Auseinandersetzung mit der Verantwortungs- und Mündigkeitsethik Bonhoeffers, schreibt die Welt.

Der Chefredakteur der Zeitung, Ulf Poschardt, spricht im Interview mit Huber vor allem über das Ideal eines „mündigen Christen“, aber auch über die Lage der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Gegenwart. Als Poschardt fragt: „Die EKD ist aktuell ja auch ein Hort des Opportunismus und der Antimündigkeit – oder ist das eine Polemik?“, antwortet Huber: „Wir begegnen in kirchlichen Kreisen, die zur Konsensmaschinerie gehören, der Tendenz zu sagen: Das haben wir doch immer so vertreten; deshalb wissen wir, dass es so richtig ist. Allerdings richten sich solche Gewissheiten eher auf politische als auf Glaubensüberzeugungen.“ Auch das Festhalten an Positionen, die als progressiv und veränderungsbereit ausgegeben würden, habe eine konservative Seite, sagt Huber. „Meinungen, die einmal gefasst sind, werden einfach beibehalten.“

„Wenn aktuelle Entwicklungen religiös interpretiert werden“

Danach gefragt, wie etwa ein mündiger Christ in der Klimadiskussion am besten agiere, sagt der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende: „So, dass er weder der Euphorie, die mit technischen Innovationen verbunden wird, noch der Apokalyptik, die sich an Untergangsszenarien orientiert, nachläuft. Ein mündiger Christ sollte sich gerade dann herausgefordert fühlen, wenn aktuelle Entwicklungen religiös interpretiert werden.“ Zwar werde behauptet, die Gesellschaft sei säkular. „Aber diese säkulare Gesellschaft schwimmt ja in religiösen Bildern, mit denen gerade die großen Fragen unserer Zeit interpretiert werden. Dies geschieht häufig in der Polarisierung zwischen Segen und Fluch, zwischen Paradies und Hölle.“

Eine solche „religiös aufgeladene Polarisierung“ sei dem Einsatz der dem Menschen von Gott anvertrauten Vernunft nicht gerade förderlich, erklärt Huber weiter. „Deshalb haben Christen – und unter ihnen insbesondere die Theologen – eine religionskritische Aufgabe. Man kann junge Leute verstehen, die alarmistisch auf den Klimawandel reagieren. Doch wenn es darum geht, dieser Entwicklung wirksam Einhalt zu gebieten, sind Panik und Angst keine guten Ratgeber.“

Nicht abwerten, sondern miteinander reden

Einerseits erlebe man gerade eine große gesellschaftliche Debatte über Diversität und unterstreiche, wie großartig und bereichernd gesellschaftliche Vielfalt sei. „Nur in der entscheidenden Frage machen wir davon überhaupt keinen Gebrauch, nämlich wenn es um die tragenden Überzeugungen von Menschen geht. Da suchen wir nur Konformität.“

Dies werde „in einer gefährlichen Weise verstärkt durch die Filterblasen, in denen Menschen sich nicht nur dann bewegen, wenn sie im Internet und in den digitalen Medien unterwegs sind, sondern von denen sie auch im ,analogen‘ Teil ihres Alltags umgeben sind“. Fremde Lebens- und Überzeugungswelten nähmen wir nur selten wahr. Dafür sei der neue Populismus ein Beispiel. Huber sagt: „Unsere Kirche hat vollkommen korrekt gesagt, was an den Grundpositionen der AfD aus christlicher Perspektive nicht akzeptabel ist. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, was Menschen dazu veranlasst, einer Partei, die diese Positionen vertritt, ihre Stimme zu geben. Und mündige Christen haben nach meiner Auffassung nicht nur die Pflicht, politische Positionen, die Einzelne und Gruppen abwerten, unzweideutig abzulehnen, sondern mit Menschen zu reden, die trotz oder wegen dieser Positionen sich für populistische Parteien entscheiden.“

Von: Jörn Schumacher

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