In seiner Rede zum jährlichen Johannisempfang in Berlin hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, eindringlich für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer geworben. Unter seinen über 500 Zuhörern in der Französischen Friedrichstadtkirche befanden sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
In seiner Rede sagte Bedford-Strohm, der Brand in der französischen Kirche Notre Dame habe viele bewegt, weil damit ein Stück der europäischen Seele hätte verloren gehen können. Doch der Kontinent „verliert erst recht seine Seele, wenn das Doppelgebot der Liebe, auf das diese Kathedrale mit ihren hohen Türmen hinweist, im Meer zu versinken droht“. Schlepperbanden seien nicht dadurch zu bekämpfen, „dass man unterlassene Hilfe beim Ertrinken von Menschen als Abschreckungsmittel einsetzt oder gerettete Flüchtlinge in menschenverachtende Lager ins Bürgerkriegsland Syrien zurückschickt“. Die kulturelle Bedeutung von Kirche liege dort, wo Humanität und die Menschenfreundlichkeit Gottes zum kritischen Korrektiv würden. Niemals könne sie als Mittel der Ausgrenzung benutzt werden.
„Ein absoluter moralischer Skandal“
In einem Pressegespräch am Nachmittag in Berlin hatte Bedford-Strohm erklärt, seine Kirche arbeite gemeinsam mit den Katholiken und anderen gesellschaftlichen Akteuren daran, ein eigenes Schiff zur Seenotrettung auf den Weg zu bringen. Erst kürzlich hatte Bedford-Strohm das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ besucht, das derzeit mit 42 Flüchtlingen an Bord keinen Platz zum Anlegen in einem naheliegenden europäischen Hafen findet. Am Mittwoch erklärte die Besatzung angesichts der Notlage der Geretteten den Notfall und fuhr ohne Genehmigung in italienisches Hoheitsgewässer. Dort könnte es nun beschlagnahmt werden.
Bedford-Strohm zeigte sich bestürzt über die Vorgänge: Es sei „ein absoluter moralischer Skandal“, dass es einem Kontinent mit über 500 Millionen Einwohnern nicht gelinge, ein Schiff mit einigen Dutzend Flüchtlingen an Land zu bringen. Seine Kirche wolle sich mit „einer Politik des Sterbenlassens auf dem Mittelmeer nicht zufriedengeben“. Wo und wie ein neues Schiff zur Seenotrettung künftig anlegen könne, sei noch nicht klar. Afrikanische Häfen, etwa an den Küsten Tunesiens oder Marokkos, schloss Bedford-Strohm aus. Die Bedinungen für Flüchtlinge seien dort nicht ausreichend. Er sehe in vielen europäischen Städten die Bereitschaft zur Aufnahme von Menschen, oft scheitere eine Umsetzung aber an den Regierungen.
Deutschland muss sich auf christliche Orientierung besinnen
Am Mittwochabend machte der EKD-Chef auch den Mord am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zum Thema. „Niemand kann jetzt mehr den Rechtsextremismus verharmlosen“, sagte Bedford-Strohm. Und weiter: „Und niemand kann mehr den Zusammenhang zwischen verbaler Gewalt in den Sozialen Netzwerken und verbrecherischer physischer Gewalt leugnen.“ Deutschland müsse sich neu auf seine christlichen Grundorientierungen besinnen und sich klar gegen die Verrohung der öffentlichen Diskurskultur stellen. Lübcke war am 2. Juni ermordet worden. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der in Untersuchungshaft sitzende Stephan E. die Tat gestanden hat. E. galt in der Vergangenheit als gewaltbereiter Rechtsextremist.
Von: Anna Lutz