„Ich lade ein, mehr Bibel zu lesen“

Die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an Mitgliedschaftszahlen oder Finanzkraft. Das sagt der Ratvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm gegenüber pro. Die Bibel und den Glauben neu zu entdecken und weiterzugeben, sei entscheidend.
Von PRO
Für den EKD-Ratsvorstitzenden Heinrich Bedford-Strohm bestimmt die Ausstrahlungskraft die Zukunft der Kirche

Forscher der Albert-Ludwig-Universität Freiburg haben für die Katholische und Evangelische Kirche in Deutschland errechnet, dass die Mitgliederzahlen bis 2060 einbrechen. Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) prognostizieren die Wissenschaftler einen Rückgang von rund 11 Millionen Mitgliedern von derzeit 21,5 Millionen auf 10,5 Millionen im Jahr 2060. pro wollte vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wissen, was das für die Kirche in Deutschland bedeutet.

pro: Herr Landesbischof, wenn die Projektion 2060 stimmt, dann werden sich die Mitgliederzahlen bis 2060 halbieren.

Heinrich Bedford-Stohm: Die Projektion 2060 beschreibt die Auswirkungen eines Trends, der schon vor Jahren von der Sozialforschung festgestellt worden ist. Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon. Die Kirchen wollen die Erkenntnisse der Studie nutzen, um sich langfristig auf Veränderungen einzustellen. Diese Veränderungen werden kommen und es ist gut, in einer heute wirtschaftlich guten Lage die Fragen von morgen in den Blick zu nehmen.

Wie steht es damit, neue Mitglieder zu gewinnen? Welche Maßnahmen werden von der EKD dafür getroffen?

Überall in Deutschland haben sich Christinnen und Christen auf den Weg gemacht, die Ausstrahlungskraft unserer Kirche für die Zukunft so nachhaltig wie möglich zu stärken. In den Zukunftsprozessen, die in den Landeskirchen laufen, steht die Menschennähe im Zentrum. Wie – so wird gefragt – können sich die gewachsenen Strukturen an das anpassen, was die Menschen brauchen, anstatt zu erwarten, dass die Menschen sich an die gewachsenen Strukturen anpassen? Die vielen Millionen Menschen, die sich in unseren Gemeinden und diakonischen Einrichtungen aus Freiheit und nicht aus gesellschaftlicher Konvention engagieren, sind schon heute die besten Botschafter der Kirche von morgen.

Kardinal Marx sprach davon, dass Mission nötig sei – was sagen Sie dazu?

Die Weitergabe des Glaubens von der einen auf die nächste Generation ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Menschen entscheiden heute aus Freiheit, ob sie einer Religionsgemeinschaft angehören wollen. Deshalb müssen wir als Christinnen und Christen natürlich auch Auskunft über unseren Glauben geben. Nichts anderes beschreibt ja der Begriff Mission, als dass wir Zeugnis von den eigenen Quellen geben. In diesem Sinne ist Mission eine unverzichtbare Dimension der Kirche und des Christseins. Das heißt auch, dass wir alle Christinnen und Christen ermutigen, ihren Glauben und ihre Traditionen kennenzulernen und zu leben, vom Glauben zu erzählen und so zum Glauben einzuladen, dass die Freiheit und Würde aller Menschen gewahrt wird.

Reinhard Bingener schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass der Weg in die Zukunft nur an der Basis mit überzeugender Verkündigung beginnen kann. Was tut die Kirche dafür?

Neben guter Ausbildung für die Verkündigung ist das Entscheidende, dass wir selbst unsere eigene Botschaft immer wieder neu entdecken. Denn die Botschaft, die uns als Christen trägt, ist eine richtig starke. Wenn man uns die Begeisterung für diese Botschaft anmerkt, dann verkündigen wir als Kirche authentisch und überzeugend.

Was entgegnen Sie Kritikern, die die Meinung vertreten, Kirche solle sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren und das Evangelium verkündigen, statt sich politisch zu äußern?

Weil wir das, was wir verkündigen, auch ernst meinen, lassen sich diese beiden Dimensionen doch gar nicht voneinander trennen. Das Zentrale, was uns Jesus mit auf den Weg gibt, ist das Doppelgebot der Liebe. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matthäus 22,37.39). Diese untrennbare Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe ist ein wesentliches Merkmal unseres Glaubens. Deshalb heißt Gottesdienst und Frömmigkeit immer zugleich auch, alles zu tun, um die Not des Nächsten zu überwinden. Ich kann mir keinen Glauben vorstellen, der die Politik außen vorlässt.

Der Volksmund sagt: „Wo Du nicht bist, Herr Jesu Christ, da läuten keine Glocken!“ Wie wird sich nach Ihrer Einschätzung der Rückgang der Mitgliederzahlen und der daraus resultierenden Folgen auf unsere abendländische, christliche Kultur auswirken?

Wir sind dazu aufgerufen, selbst dazu beizutragen, dass die Kraft des christlichen Glaubens wieder sichtbarer wird. Ich kann nur jeden einladen, sich wieder neu zu interessieren für die Kirchengemeinde, in die Gottesdienste zu gehen, die Bibel wieder mehr zu lesen und das, was man zu verlieren befürchtet, als großes Geschenk wieder neu zu entdecken.

Mit Hilfe der Daten aus der Studie sollen die Kirchenhaushalte an die zu erwartende Entwicklung angepasst werden. Was bedeutet das konkret?

Die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an Mitgliedschaftszahlen oder Finanzkraft, sondern an ihrer Ausstrahlungskraft. Dennoch sollte niemand unterschätzen, wie viele segensreiche Aktivitäten für Kirche und Gemeinwesen insgesamt durch die Kirchensteuer möglich sind. Viele Menschen wollen mit ihrer Kirchensteuer einen bewussten Beitrag dazu leisten, dass wir in unserer Gesellschaft besser zusammenleben. Dennoch stellen sich die Kirchen mit regionalen Reformprozessen seit Jahren auf rückläufige Einnahmen ein. Meine bayerische Landeskirche befindet sich zum Beispiel mitten in einem großen Reformprozess „Profil und Konzentration“, der 2017 begonnen hat. Unter breiter landesweiter Beteiligung hat die Landessynode jetzt die neue strategische Ausrichtung der Arbeit in der Landeskirche beschlossen. In den kommenden Jahren müssen die laufenden regionalen Reformprozesse noch konsequenter verbunden werden. Das betrifft etwa die Beteiligung junger Menschen oder die Digitalisierung. Da müssen wir noch viel besser werden.

Mit dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) und seinen Produkten ist die EKD auch verlegerisch aktiv. Allerdings muss der Absatz der Produkte sich nicht an marktwirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren sie werden von der EKD „alimentiert“. Wie werden sich Ihrer Einschätzung nach sinkende Mitgliederzahlen und klamme Kassen auf diesen Bereich auswirken?

Das GEP macht eine sehr gute Arbeit. Wenn die Hälfte der Mitglieder weg ist, fehlt auch die Hälfte der Gelder. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Finanzierung unserer kirchlichen Arbeit – egal um welche Bereiche es geht. Dass die Kommunikation in die Gesellschaft hinein, für die das GEP steht, ein zentraler Aufgabenbereich bleibt, ist für mich aber auch klar.

Wir erleben gerade die Dematerialisierung unserer Lebenswirklichkeit und der Arbeitswelt. Die Digitalisierung nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. Wie kann sich Kirche die Digitalisierung (auch unter dem Eindruck der Projektion 2060) – besser – nutzbar machen?

Die Digitalisierung bietet Chancen, Kirche neu zu beleben und außerhalb der Kirchenmauern ins Gespräch kommen. Um digitale Entwicklung gestalten zu können, braucht es die vernetzten Vielen. Dass alle Ebenen unserer Kirche beim Projekt „Kirche im Digitalen Wandel“ so eng zusammenarbeiten, ist ein deutliches Zeichen, dass die Kirche die Zeichen der Zeit erkannt hat. Als Kirche kann es uns aber nicht nur darum gehen, die Möglichkeiten der Digitalisierung in unserer Kommunikation, der kirchlichen Verwaltung und den Leitungs- und Organisationsstrukturen zu nutzen. Uns geht es dabei immer auch um die theologisch-ethische Reflexion der Digitalisierung in der öffentlichen Debatte.

Vielen Dank!

Heinrich Bedford-Strohm hat die Fragen der pro-Redaktion schriftlich beantwortet.

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