Die evangelikale Bewegung ist für ihre Streitfreudigkeit bekannt. In seinem neuen Buch hat der Theologe, pro-Kolumnist und evangelikale Szenekenner Jürgen Mette genau das gewürdigt – dabei aber auch betont, dass bei all dem Streit schon mal die Liebe verloren geht.
Streiten können, aber mit Wertschätzung und Verständnis: Das ist eines von Mettes Anliegen für seine geistliche Heimat. Die Forderung nach einer gesunden evangelikalen Streitkultur hat sich die Evangelische Hochschule Tabor in Marburg – wo Mette selbst einst studiert hat – anlässlich des Erscheinens von „die Evangelikalen“ zu Herzen genommen.
Tabor ehrt Mette mit Podiumsdiskussion
Unter dem Titel „Marburger Streitkultur – Abschied von Gott oder Weiterglauben?“ hat die Hochschule zusammen mit dem Verlag Gerth Medien einen Streit vom Zaun gebrochen – im positiven Sinne. An einem Abend, der „nicht nur eine Werbeveranstaltung, sondern Begegnung“ sein sollte – wie Tabor-Direktor Matthias Frey betonte – bat sie zwei Marburger Denker zum Streitgespräch: Den Philosophen, Theologen und bekennenden Atheisten Joachim Kahl und den der evangelikalen Bewegung entstammenden Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie in der Evangelischen Hochschule Tabor. Beide lieferten sich einen intellektuellen Schlagabtausch über die Plausibilität des Glaubens, der im Geist von Mettes Buch gleichwohl respektvoll und sachlich ablief.
Kahl vertrat einen „klassischen Atheismus“, den er bewusst vom „neuen Atheismus“ – wie ihn etwa Richard Dawkins vertritt – abgegrenzt sehen wollte. Sein Atheismus sei keine Glaubensfeindschaft, sondern ein „weltlicher Humanismus“, der „Ja“ zum Menschen sagt. Seine Absage an den Gottesglauben begründete Kahl zunächst mit dem berühmten Argument des Philosophen und Religionskritikers Ludwig Feuerbach: Gott sei eine Projektion, die der Mensch gemäß seiner eigenen Wünsche selbst erdacht habe.
Frage nach der Gerechtigkeit Gottes
Kahl betonte auch das Argument der so genannten „Theodizee“, der Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts des Leidens. Dieses sei in der Welt strukturell angelegt – insofern sei die Frage nach der Theodizee unlösbar und mache den Glauben an einen gütigen Gott unplausibel. Als Nihilismus wollte Kahl seine Position indes nicht verstanden wissen. Es gebe „ein menschenwürdiges Leben ohne Transzendenzbezug – in einer sinnleeren, aber nicht sinnlosen Welt“. Der Mensch sei selbst gefordert, das Leben lebenswert zu machen.
Thorsten Dietz betonte dagegen zunächst die Wichtigkeit von intelligenter Religionskritik auch für die Kirche. Diese sei ein notwendiges Korrektiv, schließlich habe Jesus selbst schon nicht mit Zweiflern, sondern mit den Schriftgelehrten gestritten. Insofern würdige er Kahls Kritik ausdrücklich, erteilte dem Theodizee-Argument allerdings eine klare Absage. Das Leiden sei zwar nicht immer verständlich, aber der Umgang mit ihm sei im Christentum von vornherein angelegt. „Wir brauchen keine Theologie des Verrats an Hiob. Damit ist viel Zeit verloren, die ins Klagen und Helfen besser investiert wäre“, sagte Dietz.
Glauben ist kein Welterklärungsmodell
Weiterhin sah Dietz ein Missverständnis in vielen atheistischen Darstellungen unserer Zeit. Der Glaube sei kein Wissen im engeren Sinne, keine Theorie der Weltentstehung und Welterklärung, sondern eine gelebte und erfahrbare Beziehung mit Jesus Christus. Der Glaube fuße somit nicht auf Gründen im engeren Sinne, sondern auf Erfahrung und Lebenspraxis. Vor diesem Hintergrund ließ sich Dietz auf die klassischen apologetischen Begründungsmodelle des Glaubens – die sein Gegner natürlich kannte – nicht ein.
Diskutiert wurde aber dennoch reichlich, etwa über eine mögliche ethische Überlegenheit des Christentums. Hier betonte Dietz dessen „Wegcharakter“. Auch die Kirche, so seine Antwort auf eine Anfrage Kahls, sei natürlich im Laufe ihrer Geschichte nicht frei von Schuld geblieben. Auch im Neuen Testament finde sich zum Beispiel die Akzeptanz von Sklaverei. Im Vergleich zur jeweiligen Umwelt allerdings – in diesem Fall der antiken – seien die ethischen Schritte stets beträchtlich. „Hier sind mir die Wegweiser – die Richtung – wichtiger als der jeweilige Status quo“, betonte Dietz.
Neben dem Streit auch viel Humor
Nicht nur gestritten wurde allerdings an diesem Abend. Unter Moderation von Johanna Klöpper ging es vor allem um eine Würdigung von Jürgen Mettes Buch. Neben Beiträgen von SCM-Verlagsleiter Detlef Holtgrefe und Cheflektor Johannes Leuchtmann hatten auch einige Gastautoren aus „die Evangelikalen“ sowie der Autor selbst einen Auftritt – er las einen humorvollen tiefgängigen Abschnitt aus seinem Buch.
Besonderer Höhepunkt war die ebenfalls humorvolle Würdigung des Buches durch Gisa Bauer, Kirchenhistorikerin und Evangelikalismus-Expertin und selbst nicht dem evangelikalen Lager entstammend, die auch einen Beitrag in dem Buch geschrieben hatte. Für Streit im besten Sinne, so ihre Prognose, werde Mettes Buch auch in zwanzig Jahren noch sorgen. Dieser Abend war ein guter Anfang.