pro: Sie haben in der Studie 64 Personen einer Zufallsstichprobe aus dem Erzbistum Köln qualitativ in Interviews nach ihrer Bindung an die Katholische Kirche befragt. Was haben Sie festgestellt?
Sabine Loch: Die Befragten waren überwiegend Mitglieder der Katholischen Kirche, sowohl aktive Gemeindemitglieder als auch Menschen, die nur an Weihnachten oder gar nicht in die Kirche gehen, aber auch Protestanten, Freikirchlicher und auch Ausgetretene, die wieder zurück in die Kirche wollten. Unter ihnen konnten wir verschiedene Bindungstypen ausmachen.
Was heißt das?
Unter Bindungstypen verstehen wir in der Studie Menschen, die einen Bindungsfaktor besonders repräsentieren, aber durchaus auch andere Bindungsfaktoren pflegen.
Als einen Bindungstyp haben wir unter den Gesprächspartnern Menschen identifiziert, die sich durch das Erleben der Sinnlichkeit in der Inszenierung an die Katholische Kirche binden. Etwa durch die Erbauung, die sie in einer Messe erleben. Es sind Menschen, die durch sinnliche Erfahrungen ihren Glauben immer wieder neu aufladen können. Sie sind dem Bereich der „Spirituellen Kirche“ zugeordnet.
Menschen, die bei der Kirche nach Sinn suchen, sich mit Fragen über Leben und Tod auseinandersetzen und sich sehnen nach innerer meditativer Ruhe, haben wir als Innere Einkehrer bezeichnet. Die tiefe Sehnsucht nach Erlösung und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod binden diese Menschen an die „Erlösende Kirche“.
Dann haben wir anlehnungsbedürftige Menschen ausgemacht, die etwa in Zeiten von Krankheit und Krisen Schutz bei der „Beschützenden Kirche“ finden und sich dort binden.
Viertens sind da hilfsbereite Menschen. Sie binden sich an die Katholische Kirche, wenn sie dort Möglichkeiten für persönliches Engagement finden, Verantwortung übernehmen können und Anerkennung dafür erhalten. Diesen Bindungstyp haben wir der „Fürsorglichen Kirche“ zugeordnet.
Gemeinschafts-orientierte Menschen, die eine lebendige Gemeinde und ein gemeinsames Wertesystem suchen und durch Gespräche mit dem Pfarrer, durch die Beichte kirchliche Seelsorge erfahren, binden sich an die „Seelsorgerische Kirche“.
Und dann gibt es pragmatische Menschen, die als Nutzer alltagsnahe Angebote suchen, etwa einen Kindergarten, oder bei der Kirche arbeiten. Sie wollen in der Kirche auch Gleichgesinnte kennenlernen. Diese Menschen haben eine Bindung in der „Gemeinschaftlichen Kirche“.
Wo liegt die größte Bindungskraft der Katholischen Kirche?
Insgesamt kann man erkennen, dass die spirituellen Komponenten ein großes Pfund der Katholischen Kirche sind. Die Macht des Unendlichen, des Überirdischen, des großen Gottes, das Versprechen der Auferstehung. Die Menschen spüren, dass es etwas gibt, was über ihr Leben hinausgeht. In der Katholischen Kirche entsteht durch die kirchlichen Inszenierungen eine Art Gänsehautgefühl, von dem Menschen ihr Leben lang zehren. Gerade Kinder erleben den Weg zur Kommunion als eine fast magisch zu bezeichnende Erfahrung. Diese Bindung hält ein Leben lang. Ein jährlicher Kirchenbesuch lädt dann diesen spirituellen Akku wieder auf. In der Inszenierung und der spirituellen Erfahrung liegt sozusagen auch ein Markenkern der Katholischen Kirche. Gemeinschaftssinn, Gruppenzugehörigkeit, Spaß und Aktivitäten, Möglichkeit für soziales Engagement und nützliche Angebote können Menschen auch an anderen Orten finden.
Welche Unterschiede gibt es da zur Evangelischen Kirche? Beiden Kirchen laufen ja die Mitglieder davon.
Die Evangelische Kirche ist zurückhaltender, was die Inszenierung angeht. Protestanten handeln offenbar ihren Glauben zudem rationaler ab als Katholiken. Die magische Komponente war bei den protestantischen Befragten weniger erkennbar. Sie wollen sich auch mehr auseinandersetzen mit ihrer Kirche. Dann konnten wir feststellen, dass die Befragten aus der Evangelischen Kirche und vor allem der Freikirche sich mehr auf Augenhöhe in ihrer Kirche mit einbezogen fühlten. Das empfanden die befragten Katholiken sehr viel weniger.
In welchem Bereich verliert die Kirche an Bindungskraft?
Insgesamt schwindet die Funktion der „Erlösenden Kirche“, also der Institution, die Hoffnung auf ewiges Leben und Auferstehung verspricht. Das ist bei beiden Kirchen so. Was am Ende des Lebens geschieht, überfordert einen Großteil der Gesellschaft.
Wie meinen Sie das?
Wir leben in einem Zeitalter, das ewige Jugend anstrebt. Wir wollen mit 50 aussehen wie mit 30, mit 80 noch Marathon laufen und sexuell aktiv sein bis 90. Der Tod und der letzte Lebensabschnitt des Menschen werden tabuisiert. Sogar Altenheime verlagern Menschen zum Sterben ins Krankenhaus. Darüber, dass Kräfte schwinden und wir sterben werden, will keiner nachdenken.
Wie kann es angesichts dieser Erkenntnis den Kirchen gelingen, ihre Mitglieder zu halten?
Bindungselemente kann man nicht mit der Gießkanne verteilen. Unser Auftrag war aufzuzeigen, was die Menschen trotz allem an ihre Kirche bindet. Wir haben keine Empfehlungen gegeben. Es obliegt nun der Kirchenbasis, für ihre Arbeit aus einem Pool von Möglichkeiten das umzusetzen, was ihre Gemeinden und Gemeindemitglieder brauchen. Die momentane Debatte um die Pflege von alten Menschen ist jedenfalls kein schlechter Zeitpunkt, um den Markenkern von Kirche hervorzuheben. Viele Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Die Kirchen haben viele Einrichtungen, die sich unter dem christlichen Menschenbild darum kümmern. Auch bei der Wahl des Kindergartens bevorzugen viele die kirchlichen Einrichtungen, weil sie ein klares Wertfundament haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Norbert Schäfer