Der Journalist Richard Gutjahr und seine Familie sind laut eigenen Aussagen Opfer von Verschwörungstheorien im Internet geworden. Davon berichtete er am Dienstag beim Evangelischen Medienkongress in München. Vor zwei Jahren filmte er während eines Urlaubs in Nizza vom Hotelzimmer aus einen Terroranschlag in der Stadt. Bei dem Attentat mit einem LKW starben 86 Menschen.
Im Anschluss verbreiteten sich im Internet Gerüchte, Gutjahr sei ein Agent des israelischen Geheimdienstes. Er sei vorab über den Anschlag informiert gewesen, hieß es. Gutjahr, seine Frau und seine Tochter erhielten Drohungen per YouTube, auf Facebook, via Twitter und E-Mail. Der „Mob im Netz“ verfolge ihn. Er wollte zuerst nicht darauf reagieren. Aber das Schweigen verschärfte den Hass laut Gutjahr weiter.
Er sprach zum Thema „Datenhighway to Hell – Parallelwelten im Internet“. Der Ton in den sozialen Netzwerken verschärfe sich. Wo es früher die Schweigespirale gab, gebe es im Internet eine „Schreispirale – der Lauteste gewinnt“, sagte Gutjahr.
Teils könnten die Macher der unterschiedlichen Plattformen nicht mehr Herr über ihre Produkte werden. So wurden etwa falsche Todesmeldungen über den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über das Portal verbreitet. Der Amerikaner habe „eine Maschine, die er erschaffen hat, nicht mehr unter Kontrolle. […] Mark Zuckerberg hat den Geist, den er aus der Flasche gelassen hat, nicht mehr im Griff“.
Auch Microsoft ließ vor einiger Zeit einen Chat-Bot namens „Tay“ mit Künstlicher Intelligenz an den Start gehen. Dieser sollte sich selbst beibringen, wie man in den sozialen Netzwerken kommuniziert und sich von anderen Nutzern Sprache und Umgangston aneignen. Innerhalb eines Tages entwickelte sich das Programm zu einem „rassistischen und hasserfüllten Bot“, sodass Microsoft diesen wieder offline stellte. Das Beispiel von „Tay“ führte Gutjahr als weiteren Beleg des Kontrollverlusts der Social-Media-Konzerne über ihre Plattformen an.
Bei Themen Islam und AfD „geht es rund“
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Stohm, wies in einer sich an den Vortrag anschließenden Diskussion auf das Doppelgebot der Liebe hin. Dieses setze voraus, dass sich Menschen in den anderen hineinversetzten.
Der bayerische Landesbischof mache online selbst die Erfahrung, dass „es rund gehe“, wenn er sich über den Islam oder die AfD äußere. Wenn Bedford-Strohm dann die Menschen persönlich treffe, reagierten diese meist anders. Es sei deswegen wichtig, „klar Flagge zu zeigen“, aber auch „dass man echte Menschen sieht“. Er plädierte für direkte Begegnungen statt virtuelle.
Von: Martina Blatt