Kirchentagspräsident Hans Leyendecker möchte bewusst konservative Gäste zum Kirchentag einladen. „Ich würde mich beispielsweise freuen, wenn Markus Söder käme, obwohl er sicher nicht nach dem Geschmack vieler Teilnehmerinnen ist. Und der Historiker Andreas Rödder aus Mainz, der dankenswerterweise bereits zugesagt hat, wird von manchen bereits als zu rechts gesehen.“ Allerdings betonte er: „Wir laden Wähler und Sympathisanten der AfD ausdrücklich ein – nicht aber Repräsentanten der AfD.“
Zur Begründung sagte Leyendecker: „Wir müssen mit Blick auf die Repräsentanten der AfD ein Zeichen setzen. Was in den vergangenen Wochen passiert ist, in Chemnitz und anderswo, passt nicht mehr zu einer Haltung, bei der wir sagen: Wir müssen offen für alles bleiben.“
Die AfD von heute sei nicht mehr die AfD von vor zwei oder vor fünf Jahren, so der Journalist. „Die AfD entwickelt sich rasend weiter nach rechts, die Radikalisierung der Partei schreitet voran.“ Der Ausschluss gelte nur für die Diskussionsveranstaltungen; von den Gottesdiensten, Bibelarbeiten und vom Segen werde indes niemand ausgeschlossen. Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag 2019 in Dortmund steht unter der Losung „Was für ein Vertrauen“.
Das Signal gehe an alle Besucherinnen und Besucher des Kirchentages, sagte Leyendecker: „In die Gesellschaft hinein signalisieren wir damit: Es ist ein Punkt erreicht, an dem wir uns als Demokraten fragen müssen, ob wir diesen Demokratiefeinden nicht mehr entgegensetzen müssen, als wir es bisher getan haben. Der Kirchentag will alle diejenigen stärken, die sich für respektvolle Toleranz und Zusammenhalt der Gesellschaft einsetzen. Keine Toleranz der Intoleranz. Das steht in unserem Beschluss.“ Weiter sagte Leyendecker: „Dem Kirchentag geht es ums Zuhören, aber ich möchte nicht Herrn Gauland zuhören.“
„Sehnsucht nach Gerechtigkeit“
Das katholische Pendant, der Katholikentag, hatte 2016 AfD-Politiker noch verbannt, für 2018 aber wieder zugelassen. Zur Begründung sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg: „Die AfD darf keine Gelegenheit bekommen, sich als Märtyrer zu inszenieren.“ Leyendecker kontert: „Ich warne davor, auf das Opfer-Märchen der AfD hereinzufallen. Diese Partei wird sich immer als Opfer darstellen.“ Der Journalist weiter: „Dass die AfD im Parlament sitzt, ändert doch nichts daran, dass sie auf dem Weg zu einem Frontalangriff auf die liberale Demokratie ist. (…) Da muss man Kante zeigen, Position beziehen.“
Der renommierte Publizist (Spiegel, Süddeutsche Zeitung), der vor allem durch die Aufdeckung der Spendenaffäre Helmut Kohls bekannt wurde, war im Mai 2017 zum Präsidenten des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages gewählt worden, der vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund stattfinden wird. Früher sei er katholisch gewesen und wollte sogar eine Weile lang Priester werden. Seit 50 Jahren gehe er in evangelische Gottesdienste. Seit 1975 gingen er und seine Frau zu den Kirchentagen. Auf die Frage, was den Kirchenmann Leyendecker mit dem Journalisten Leyendecker verbinde, sagte er, da gebe es viele Verbindungen. „Das fängt schon an mit der Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Sie spielt in der Theologie eine große Rolle und hoffentlich auch im Journalismus. Auf der Seite der Schwächeren zu stehen hat mich in beiden Rollen beschäftigt: Das Leben ist nicht bloß Gnade, die irgendjemand irgendjemandem gewährt. Das wäre zu wenig. Menschen haben Rechte, für die es sich einzusetzen lohnt. Und da ist natürlich auch die Suche nach Wahrheit, die hoffentlich Theologen und Journalisten antreibt.“
Hans Leyendecker gilt als einer der profiliertesten investigativen Journalisten Deutschlands. Er deckte seit 1982 zahlreiche politische Affären im In- und Ausland auf. Er arbeitete fast 20 Jahre für die Süddeutsche Zeitung (SZ) und war lange Zeit Leiter des Investigativ-Ressorts. Für seine Enthüllungen erhielt er zahlreiche Preise im In- und Ausland, darunter den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis, den Erich-Fromm-Preis, den Wächter-Preis und den Henri-Nannen- Preis. Das Wallstreet-Journal nannte ihn den deutschen Bob Woodward. Im Herbst 2016 trat er mit 67 Jahren bei der SZ als Ressortleiter ab und arbeitet seitdem als freier Mitarbeiter für die Zeitung.
Von: Jörn Schumacher