Großkirchen verlieren weiter Mitglieder

Die beiden deutschen Großkirchen schrumpfen. 2017 büßten Katholiken und Protestanten zusammen rund 660.000 Mitglieder ein. Die Gründe liegen wohl im gesellschaftlichen Wandel. Doch es gibt auch positive Entwicklungen.
Von PRO
Immer mehr Menschen kehren den Großkirchen den Rücken (Symbolbild)

Die beiden Großkirchen in Deutschland verlieren weiter Mitglieder. Am Freitag gaben sie ihre aktuelle Zahlen bekannt. 2017 sind demnach rund 660.000 Menschen aus den beiden großen Kirchen ausgetreten. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland angab, verließen im vergangenen Jahr rund 390.000 Mitglieder die EKD. Bei jetzt noch 21,5 Millionen bedeutet dies einen Schwund von 1,8 Prozent. Auf katholischer Seite sank die Zahl der Mitglieder nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz um rund 270.000 auf 23,3 Millionen.

Aus Sicht des Religionssoziologen Detlef Pollack von der Universität Münster sind an dem Schwund allerdings nicht die Kirchen selbst schuld. Im Gegenteil: Würden die Mitgliederzahlen steigen, käme das „einem Wunder gleich“, sagte Pollack der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Mitglieder seien überaltert, die Jugend werde „so wenig im Glauben erzogen, wie das in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nie der Fall war“.

Zu viele Alternativen zur Kirche

Der Mangel an Glaubenserziehung wiegt schwerer als die Demographie, meint der kahtholische Publizist Andreas Püttmann, der das Buch „Gesellschaft ohne Gott“ geschrieben hat. Püttmann sprach gegenüber dpa von „erdrutschartige[n] Abbrüche[n] in der jungen Generation“. Die seien vor allem durch gesellschaftlichen Wandel bedingt. „Die Selbstbezeichnung als religiöser Mensch ist seit Jahrzehnten im leichten Sinkflug.“ Mit anderen Worten: Die Kirche gebe nicht unbedingt schlecht weiter – die Jugend sei schlicht weniger interessiert.

Das habe mit einem reichhaltigen Angebot an alternativen Sinnstiftungsmöglichkeiten zu tun. Die Kirchen seien beileibe nicht mehr der einzige Ort, an den existenzielle Fragen getragen werden können – sofern diese überhaupt aufkommen. Für Püttmann sind „zunehmender Wohlstand, Individualisierung, Urbanisierung, vielfältige Freizeitmöglichkeiten, Bildungsexpansion, Mobilitätszunahme“ Gründe für das schwindende Interesse an Religion.

Es scheine sich hier also auf umgekehrte Weise eine alte amerikanische Binsenweisheit zu bestätigen: „There are no atheists in foxholes“ („Im Schützengraben gibt es keine Atheisten“). Demnach wendeten sich Menschen vor allem in existentiellen Notlagen der Religion zu. Je wohlhabender eine Gesellschaft sei, desto seltener kommen dies vor. Wenn doch einmal eine Existenzkrise auftrete, gebe es außerdem andere Möglichkeiten, sie zu kurieren, etwa durch Reisen.

Hoher Wohlstand bedeutet weniger Religion

Die These scheint außerdem durch den Vergleich mit anderen Ländern bestätigt. Wie verschiedene Studien belegen, wachsen die Kirchen in der so genannten „Dritten Welt“ am schnellsten. Der Blog „Juicy Ecumenism“ („saftige Ökumene“) etwa berichtet, dass mittlerweile die weltweite Mehrheit der Christen in Industrie- und Schwellenländern lebt, wo das Niveau an Komfort und ökonomischer Sicherheit vergleichsweise niedriger ist.

Doch auch hierzulande gibt es Wachstum, nämlich in den Freikirchen und damit in den Gemeinden, die nicht zu den beiden Großkirchen gehören. Das berichtet unter anderem „Focus online“. Demnach böten die unabhängigen Gemeinden mehr Möglichkeiten, Religion individuell und ohne vorgegebene Liturgie auszuleben. Das passe besser zum Zeitgeist.

Kirchen nach wie vor gesellschaftlich wertgeschätzt

Auch die Großkirchen erleben positive Entwicklungen. So falle der Schwund laut Püttmann überraschend gering aus. Bedenke man, dass nur etwa jedes zehnte Kirchenmitglied im Schnitt am Gottesdienst teilnehme, so sei es überraschend, dass sich nicht mehr Leute für einen Austritt entscheiden. „Insofern ist nicht erklärungsbedürftig, warum jedes Jahr ‚wieder so viele‘ die Kirchen verlassen, sondern, warum es so wenige sind. Der Aderlass der Volksparteien und vieler Vereine war größer.“ Taufen und Eintritte blieben weiterhin stabil, auch wenn sie die Austritte nicht völlig auffangen könnten.

Den Grund für den weichen Fall der Kirchen sieht Püttmann darin, dass ihr Beitrag zu einer menschenwürdigen Gesellschaft noch immer sehr geschätzt werde. „Die Furcht vor einer Gesellschaft ohne Gott ist auch bei kirchlich Randständigen und Agnostikern verbreitet. Deshalb scheuen auch viele Zweifler eine Totaldistanzierung von der Kirche“, erklärt der Publizist. Der Soziologe Pollack stimmt ihm zu: „Die Kirche ist in unserer Kultur und Geschichte und auch in den Familien tief verankert. Die Menschen spüren, dass sie etwas Gutes und Sinnvolles aufgeben, wenn sie die Kirche verlassen.“

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