Das Bistum Essen hat eine Studie in Auftrag gegeben, die Menschen nach ihren Austrittsgründen aus der Katholischen Kirche befragt. Die Studie der Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fakultäten bilanziert, dass für viele der 4.300 Befragten die Kirchensteuer zwar ein Argument ist, aber auch „häufig nur der letzte Schubser“.
Bisher habe die Kirche ihre Gläubigen nach einem Austritt belehrt und auf den Austritt als Verfehlung hingewiesen, schreiben Hannes Leitlein und Fabian Klask in einem Artikel in der Zeit-Beilage Christ und Welt. Die Kirche habe ihnen die Sakramente und häufig auch das kirchliche Begräbnis verwehrt.
Geld, fehlende Moral und Arroganz
Klaus Pfeffer, Generalvikar in Essen, fordert, dass sich die Kirche mit den Menschen und ihren Motiven auseinandersetzt. Sie müsse fragen „was hätte helfen können oder könnte künftig helfen, Kirchenaustritte zu vermeiden?“ Kirche müsse genau hinhören und ihr Angebot verbessern.
Die Kirchensteuer wurde zwar häufig als Austrittsgrund genannt, war aber nur einer von vielen Gründen, sagt Tobias Faix von der CVJM-Hochschule in Kassel.
Die von der Kirche vertretene Moral passe häufig nicht zum eigenen Weltbild. Auch störten sich viele Befragte an der Arroganz der Kirchenoberen, so die Autoren der Studie. Die Studie belegt, dass viele Menschen bereit wären, Kirchensteuern zu zahlen, wenn Kirche ihnen die richtigen Angebote machte. Es gehe um eine Kosten-Nutzen-Rechnung.
Am häufigsten verließen Menschen die Kirche in der Phase der Karriere- und Familienplanung. Jeder zehnte Befragte nannte die zahlreichen Missbrauchsfälle oder die Affäre um die teure Residenz von Limburgs Ex-Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst als Austrittsmotiv.
Auch Ehrenamtliche sollen Positionen vertreten können
Die Menschen wünschten sich Transparenz, vor allem was die Aufarbeitung der Skandale angehe. Auch die fehlende emotionale und praktische Bindung an die Kirche wurde genannt. Die Autoren der Studie empfehlen deswegen, dass die Kirche klar ihre Standpunkte vermittelt und auch mit ihrer (Sexual-)Moral offensiv umgeht. Positionen müssten so formuliert sein, dass sie „auch Ehrenamtliche vertreten können“. Klare Standpunkte teile zwar nicht jeder, sie schärften aber das Profil und verdienten zumindest Respekt.
Kirche müsse Orte bieten, an denen sich die Menschen beschweren könnten. Aus diesen Beschwerden ließen sich bessere Angebote ableiten. Viele nähmen die Angebote ihrer Kirche gar nicht mehr in Anspruch. Kleine Aufmerksamkeit könnten helfen, die Bindung zu stärken. Die Wissenschaftler schlagen vor, Zugezogene mit einem Brief willkommen zu heißen oder Beerdigungen und Taufen zur direkten Ansprache zu nutzen. Kirche müsse darüber hinaus an Orten präsent sein, „die jungen Familien wichtig sind: in Kindergärten und Schulen“.
Kirche solle auch Angebote für diejenigen schaffen, denen Kirche nicht mehr spirituell genug ist. Viele Menschen seien aufgrund einer persönlichen Enttäuschung in der Seelsorge ausgetreten. Dies lasse sich durch bessere Personalplanung und Fortbildungen vermeiden. Vor allem in Norwegen habe die Kirche nach dem Amoklauf auf der Insel Utøya mit der Aufarbeitung der Vorfälle ihre gesellschaftliche Reputation verbessert.
In Deutschland habe die Kirche in der Flüchtlingskrise die Deutungshoheit und die Orientierung einzelnen Politikern überlassen. Die Wissenschaftler raten deshalb den Bischöfen, sich stärker als Identifikationsfiguren in ihrer Region zu verstehen und auch als solche aufzutreten.
2016 hatten 162.000 Menschen die katholische Kirche verlassen, etwas weniger als im Vorjahr.
Von: Johannes Weil